verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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Jahrtausenden Trotz geboten (nach englischer, hundertjähriger Civilisirung hat sich erst neulich eine Wittwe nicht mit verbrennen lassen und wieder geheirathet), so hat sich auch in den Indern jene Zähigkeit entwickelt, welche langer und schwerer Druck in ursprünglich kräftigen Naturen zu erzeugen pflegt, jene Kraft des Widerstandes, welche sich beugt, aber nicht bricht, jene Schlauheit und Intriguenlust, durch welche sich der Unterdrückte an dem Unterdrücker schadlos hält, dem er mit Gewalt nichts anzuhaben vermag. (Und wenn er’s endlich in höchster Verzweiflung mit Gewalt versucht – wehe den Unterdrückern!) Die Gewohnheit der Entsagung und Peinigung, die Hoffnung, mit dem Tode allen Schein, alle Fesseln los zu werden, hat die Inder auch der wüthendsten Tyrannei des Islam und der Mongolen widerstehen lassen, und noch heute weiß der feigste Bengale, wenn es nicht anders sein kann, mit dem gelassensten Muthe zu sterben.“
Was ihre neuesten Unterdrücker betrifft, von denen die Times selbst sagte, daß sie noch nicht einmal so gethan hätten, als wollten sie auch etwas für Indien thun, von denen der Präsident der jetzigen ostindischen Compagnie, Mr. Mangles, öffentlich examinirt, erklärte, daß sie während der letzten vierzehn Jahre 2,000,000,000 – zweitausend Millionen Thaler (300,000,000 Pfund) aus Indien gezogen, und blos 1,400,000 für dasselbe wieder ausgegeben, welche Mr. Norton in seinem Werke über die Präsidentschaft in Madras mit folgendem Resultate einer hundertjährigen Civilisirung schilderte: „Eine verarmte, degradirte Bevölkerung, Straßen kaum versucht, Bewässerung vernachlässigt, Land unverkäuflich, guter Boden verlassen wegen unerschwinglicher Besteuerung, Millionen von Ackern wüst liegend, dabei keine Verbesserung der Einnahme, Erziehung vernachlässigt, Gerechtigkeit eine Farce,“ – was diese Unterdrücker betrifft, so hat sich das Volk und zwar in seinem für englische Interessen soldatisch eingelernten Theile mit Mord und Brand gegen sie erhoben. Die Nachrichten darüber sind noch unsicher und unvollständig. Bald werden ausführlichere und bestimmtere Mittheilungen uns in den Stand setzen, diese hier gegebenen und frühere Vorstudien durch ein Schlußbild der neuesten Katastrophen und Zustände zu ergänzen.
Uns Menschenkindern, die wir mit unserer Thätigkeit an’s Licht gebunden sind, erscheint es nur gar zu oft, als ob auch die ganze Natur mit uns erwache und zur Ruhe gehe. Oft weiß man im gewöhnlichen Leben nur noch, daß diese und jene einzelnen Amphibien und Insecten, wohl auch noch einzelne Säuger und Vögel auch in der Nacht wach sind. Nur diejenigen Beschäftigungszweige, die zur Wachsamkeit in der Nacht auffordern, wie die Fischer, der einsame Wachposten an der See, im Forste, im Felde oder der aus Lust zum Wissen wachende Forscher schärfen ihre Sinne, entweder hier aus Gewinnlust oder dort eben aus Opferliebe zu den Musen. Ihrem einsamen Wandel ist jedes Lebenszeichen in der dunklen Stille ein Munterungsruf und nur zu oft hat selbst die Furcht ihren Antheil an einer Entdeckung gehabt.
Die nächtliche Welt gilt allerdings für gewöhnlich als eine ruhende Welt; unzählige Male haben Dichter diese Volksmeinung in ihren Versen niedergelegt. „Alles schläft in süßer Ruh’, müder Geist, nun ruh’ auch du!“ So heißt’s in jenem Abendliede und im Allgemeinen bleibt den Worten ihr Recht belassen. Doch ist’s auch einmal des Fragens würdig, wie in der That die Nachtseite der Natur im eigentlichen Sinne aussieht. Da ist’s denn freilich anders, da ist freilich nicht Alles in süßen Schlaf versunken; ja durch alle Classen der Thiere hinab finden wir genug nächtliche Wächter.
Kaum ist Mutter Sonne hinter den Bergen versunken, so rührt und regt sich eine andere Welt. Die Sänger enden ihr letztes Lied und Dunkel, die Munterkeitsbedingung so vieler lichtscheuen Thiere, zieht auf Bergen und in Thälern ein. In letzteren und im feuchten Gebüsche, in engen, umdüsterten Bauten beginnt sich’s zuerst zu regen. Sowie in Tropenländern einige Affenarten munter sind, so verlassen nun bei uns die Fledermäuse ihre Schlupfwinkel. An ihnen wird uns sogleich klar, warum sie und die meisten der thierischen Nachtwächter jetzt munter werden. Die ganze Natur ist der großartigste und freundlichste Organismus, den es gibt; die starre, die grüne und die lebendige Natur greifen, sich stufenweise und gegenseitig bedingend, in einander ein. Dort treibt der abgekühlte, umdunkelte Boden die lichtempfindlichen Blüthen an, sich zu öffnen. Silenen und Cactusarten offnen ihre Blumen zur Nachtzeit und eine der letzteren wird geradezu als Königin der Nacht bezeichnet. Der Thau fällt und hält sich an den freistehenden Pflanzen an. Eine Menge niederer Thiere zieht aus; ihnen nach größere, jene erbeutend. Der Nahrungstrieb ist’s, der den Fledermäusen, Nachtschwalben und Anderen diese Lebensweise abdrang. Der andere Grund, der einige zur Lichtscheu zwingt, ist der Bau des Auges, welches, wie bei der Eule, bei solcher großen Pupille die Lichtfülle nicht fassen kann. Nur die tagvogelartige Sperbereule scheint hiervon eine Ausnahme zu machen. Bei noch anderen Thieren, wie Mäusen, Zieseln und Hamstern ist die Furcht der Grund, daß sie in der Nacht und am frühen Morgen herumstreifen.
Unter die ersteren rechnen wir die gemeine Fledermaus, die auf die Dämmerungs- und Nachtfalter fahndet, deren viele sich ihr durch ihr weißes Nachtgewand, wie absichtlich, verrathen. Ueber die Teichflächen jagt wüsten Flugs die blasse Speckfledermaus. Kaum das Untergehen der Sonne erwartend, flog der hungrige Rauchflügel noch im Hellen aus, hielt sich aber hoch und jagte erst später nach Motten und Schnaken, Köcherfliegen und Libellen. Die winzige Pygmäenfledermaus kommt aus ihrem Reisholze, hinter den Bretterverschlägen der Bauernhäuser hervor, die Hufeisennase vom Thurme oder aus Höhlen und die Zwergfledermaus aus Kirchenhallen oder Schloßgängen, wo sie oft, wie in Dresden, in Colonieen nebeneinander hockt. In derselben Zeit haben Katzen ihre Mordpläne auf des Nachbars Schuppendache berathen und ziehen heimtückisch aus, hier eine Maus, dort ein verspätetes Fröschlein, hier ein Vogelnest überfallend. Im Gebirgswalde morden die Luchse Hasen, Rehkälber und Hühner; Bäre, Füchse und Wildkatzen streifen durch Büsche und um einzelne Bauernhöfe und der Wolf lungert nach der Landstraße, wo der Postwagen, mit feisten Pferden bespannt, dahin rollt. Die Marder halten ihre Kämpfe auf der Scheune, morden dann in den Ställen und naschen auf den Obstbäumen oder schlürfen Vogeleier aus, das Fangeisen klug umschleichend. Iltisse und Wiesel fügen zu dem Tagraube noch größere Nachtbeutezüge. Der plumpeste unter den Finsterlingen bleibt aber immer der Igel, von dem man früher wähnte, er spieße sich höchst planvoll sein Obst an die Stacheln und trage es so heim. Er kommt aus seinem Baum- oder Erdloch hervor, freut sich, wenn er einmal eine blöde Maus überlistet, nimmt aber sonst bescheidentlich auch mit einem jungen Frosche, ja mit Würmern und Obst vorlieb. Er ist ein vorzüglicher Regenwurm- und Schneckenvertilger und darum von allen Jüngern der Flora gern gesehen, selbst wenn er einmal scharren oder Vogelnester stören sollte. Dazu kommt, daß so ein alter „Schweinigel“ mit seinen jungen „Hundsigeln“ auch vor Schlangen, selbst vor der Kreuzotter, keine Furcht hat.
Von ähnlichen, feuchten Orten, wo Blätter faulen, Dünger liegt und der Igel gern weilt, gehen auch die Spitzmäuse aus. Sie fressen nicht nur Nachtinsecten, sondern räumen auch gar gewandt als Sicherheits- und Wohlfahrtspolizeier in der Natur todte Mäuse und derlei hinweg, indem sie dabei fett werden. Die eine Art schwimmt und plätschert Nachts gar vergnüglich mit immer trockenem Felle in Schleußen und Wassergräben, sucht sich „Rattenschwanzpuppen,“ Fischrogen, Quappen und balgt sich oft selbst mit großen Egeln herum. In der Nacht fressen Wald- und Erbsmäuse „Korn und Kern,“ fressen Hausmäuse und Ratten jene erschrecklichen Zeilen in Speckseiten und Käse, in der Nacht sind Kaninchen, Hirsch, Reh, Gemse und Hase am thätigsten, indeß sie die Tageszeit über sich je mehr, je lieber verborgen halten. Käuzchen, die sich des Tags über, der Krähenneckereien wegen, ängstlich verkriechen, kommen hervor, verzehren mehrere Mäuse und Blindschleichen auf eine Mahlzeit, fliegen dem blendenden Lichte entgegen an die Scheiben an, wo vielleicht Todtkranke sich vor ihnen als vor den heulenden „Leichenvögeln“
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_418.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)