verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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„Mein Herr, ich heiße Pfaffenhorst. Ich bin zwar selbst kein Künstler, aber ich bin der Vater eines Künstlers, eines berühmten Künstlers.“
Der würdige Herr war noch sehr jung; er konnte kaum ein angehender Dreißiger sein. Der Herr Ehrenreich sah ihn verwundert an.
„Sie, mein Herr?“
„Ja, ich. Uebermorgen Abend wird mein Sohn hier ein Concert geben. Ich gebe mir die Ehre, Ihnen hier den Subscriptionszettel vorzulegen. Das Billet kostet nur einen Thaler und funfzehn Silbergroschen.“
„Verdammt wenig.“
„Gewiß. Dieser geringe Preis gilt aber auch nur für die Herren Subscribenten, die sogleich bezahlen.“
„Gehorsamer Diener.“
„An der Casse tritt später ein erhöhter Preis ein.“
„Ich will Ihnen lieber diesen erhöhten Preis zahlen, wenn ich hinkomme.“
„Mein Herr, ein solcher Beschützer der Künste und Wissenschaften, wie Sie –. Sollte ich mich in Ihnen geirrt haben?“
„Meinetwegen.“
„Und wissen Sie, daß mein Sohn, dieser große Virtuos, hier unter der Protection einer hohen Person steht?“
„Meinetwegen.“
„Einer sehr hohen Protection.“
„Meinetwegen unter der des –. Aber wie alt ist denn Ihr Sohn, dieser ausgezeichnete Virtuos?“
„Er steht noch in dem zarten Kindesalter von sechs Jahren.“
„Na, der mag etwas Schönes können!“
„Mein Kind ist unter jener hohen Protection ausgebildet; seit zwei Jahren schon.“
„Herr, als Balg von vier Jahren? Oder bleibt Ihr Bursch vielleicht sein Lebenlang sechs Jahre alt?“
„Mein Herr, ich bin erhaben über jede Unwahrheit. Sie würden in dem, was ich sage, nichts Unbegreifliches finden, wenn Sie erwägen wollten, wie die Gnade einer so hohen Protection in ihrer wunderbaren und doch so natürlichen Weise gleich einem göttlichen Funken wirken und mein Kind früh zu einem so ausgezeichneten Künstler heranbilden mußte.“
An einem Februarnachmittage des jetzigen Jahres saß ein bejahrter Mann mit eisengrauem Schnurrbarte in einer Ecke eines Kaffeehauses zu Lyon und las in einem Zeitungsblatte, offenbar aber nur, um die Zeit hinzubringen, denn seine Blicke überflogen gleichgültig die Zeilen und nichts schien ein besonderes Interesse in ihm zu erregen. Mit einem Male aber spannten seine Züge sich eigenthümlich an; die Augen hefteten sich fast gierig auf eine Stelle des Blattes und sein ganzes Wesen verrieth tiefe Erregung. Er schien etwas zu lesen, das ihn ungewöhnlich ergriff. Bald indeß legte er langsam die Zeitung auf das Tischchen und lehnte sich
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_396.jpg&oldid=- (Version vom 19.7.2022)