Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1857) 388.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Das Unglück im Hauensteintunnel.

„Mitten in die sonnigen Tage des herrlichen Mai trat ein düsteres, furchtbares Ereigniß. – Als vor fast zwei Jahren die Erde unter unsern Füßen zu wanken schien und die Gebirgsinsel des Wallis von den heftigsten Stößen erschüttert wurde, die Schweiz mit einem furchtbaren Unglücke bedrohend, wurde dasselbe mit verhältnißmäßig sehr geringen Opfern von uns abgewendet.

Abermals ist der Schooß der Erde der Heerd des Unglückes. Diesmal ist aber der Mensch selbst in das Innere der Gebirgskette eingedrungen, dem regsten Verkehrsleben eine Gasse zu bahnen. Es ist die Durchbrechung des Jura, eines jener Riesenwerke, durch welche sich unsere Generation auszeichnet und welche manches sogenannte Wunderwerk des Alterthums weit hinter sich zurücklassen. Allein der Triumph des Geistes, sein Sieg über materielle Hindernisse hat schon manches Lebensopfer gefordert, ein so grauenhaftes aber, so viele Menschenleben mit einem Male forderndes Unglück hat sich unseres Wissens noch bei keinem Eisenbahnbau ereignet. Zweiundfünfzig Mann haben sich unwissend ihr eigenes Grab gegraben, indem sie um knappen Lohn ihr und der Ihrigen Leben zu fristen suchten, und elf Andere sind den Heldentod beim Rettungsversuche ihrer Cameraden gestorben.

Jeder Tag zeigt den Tod in seinen verschiedenen Formen und gleichgültig sieht die Welt den Schnitter mit der Sense. Diesmal aber hat die Größe des Unglücks und des dabei bewiesenen Heroismus tiefe Erschütterung der Gemüther bewirkt.“ –

Es sei uns erlaubt, mit diesen Worten, die ein schweizerischer Publicist seinen Betrachtungen über „das industrielle Schlachtfeld“ voranschickt, unsere Erzählung des Herganges und Verlaufes des traurigen Ereignisses einzuleiten.


Von Basel, der reichen Handelsstadt am Rheine, führen vier Hauptstraßen über die Höhen des Jura in die Ebene des großen Aarthales und in’s Innere der Schweiz. Die eine zieht sich in südwestlicher Richtung durch das bernische Münsterthal an die Ufer des Bielersees, wo sie in die große, dem südlichen Abhange des Juragebirges folgende Heerstraße, die vom Bodensee an den Genfersee führt, einmündet. In südöstlicher Richtung führt die zweite der genannten Handelsstraßen über den Bözberg nach Zürich und der östlichen Schweiz. Den Verkehr mit der eigentlichen Centralschweiz vermitteln die beiden übrigen Straßen. Ein paar Stunden in südlicher Richtung vereint, zweigt sich dann die eine etwas nach Westen wendend ab, überschreitet den obern Hauenstein, und bringt den Reisenden über Solothurn in’s Emmenthal, die Heimath der weitberühmten Schweizerkäse, oder nach Bern und Interlaken, in die Mitte der majestätischen Gebirgswelt der Berner Alpen. In südlicher Richtung verharrend, zielt die zweite der beiden letztgenannten nach dem Herzen der Schweiz, nach Luzern, an den herrlichen See der vier Waldstätte, von wo die Kunststraße über den St. Gotthard nach Italien führt. – In der Landschaft Basel zieht sich die Straße von Basel her die nördliche Abdachung des Juragebirges hinan und führt über den untern Hauenstein, am östlichen Ausläufer einer Kette des Juragebirges, im Solothurnischen Städtchen Olten über die Aare, und in den Canton Luzern. Die Länge dieses uralten, seit 25 Jahren erst in eine sehenswerthe Kunststraße verwandelten Bergpasses über den untern Hauenstein beträgt vom Dorfe Läufelfingen am nördlichen Fuße des Berges bis nach Trimbach, der ersten solothurnischen Dorfschaft, am südlichen Fuße über 9000 Meter; die Höhe des Gebirgskamms ist 2139 Fuß über dem Meer. –

Der Hauensteintunnel. (Querdurchschnitt.)[WS 1]

Dreißig Jahre nach dem Neubaue dieser Straße vermag dieselbe den Anforderungen des Verkehrs nicht mehr zu genügen. Der allmächtig gewordene Unternehmungsgeist brachte auch zu uns das „nothwendige Uebel“ der Eisenbahnen.

Indem die Vorarbeiten und technischen Untersuchungen für den Bau der schweizerischen Centralbahn, welche, mit dem Kreuzpunkte in Olten, Basel und Luzern einerseits, die westliche Schweiz mit der östlichen andererseits verbinden soll, indem jene Untersuchungen für die Schienenverbindung Basels mit Luzern die Richtung der oben beschriebenen Straße über den untern Hauenstein als die allein ausführbare und daher zu befolgende Linie herausstellten, wurde der Durchstich des Hauensteins nothwendig.

Der Bau des Tunnels, welcher bei einer Steigung von 2½ Procent auf 100 Fuß 8301 Fuß lang, 40 Fuß hoch und 30 Fuß breit wird und durchschnittlich 500 Fuß unter dem Berge liegt, wurde um die Summe von 5 Millionen Franken dem englischen Bauunternehmer Brassey in Accord gegeben. In der Hoffnung, dadurch den Termin zur Vollendung des Baues, 31. März 1857, einhalten zu können, ließ der Unternehmer den Hauenstein nicht blos an dem nördlichen Endpunkte, oberhalb des Dorfes Läufelfingen, und am südlichen Endpunkte, oberhalb des Dorfes Trimbach, von der Außenseite des Berges in Angriff nehmen, sondern von der Höhe des Berges drei Schächte in die Tiefe hinabtreiben, um auf die Tunnel-Linie zu gelangen, so daß man sechs weitere Angriffspunkte gewann. In der Folge mußte der mittlere der drei Schachte (Nr. 2.) wegen zu starken Wasserandranges verlassen werden und blieb unvollendet. Die Schachte Nr. 1. südlich und Nr. 3. nördlich wurden hingegen glücklich ausgegraben. Auf den 31. März dieses Jahres war denn auch der Tunnel, wenn auch nicht vollendet, doch der Vollendung nahe, der Stand der Arbeiten

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Seite 392: Bei einer Anzahl Exemplaren dieser Nummer ist auf der Abbildung: Querdurchschnitt der Schacht rechts aus Versehen mit Nr. 3. anstatt Nr. 1. bezeichnet worden.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_388.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2017)