verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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No. 28. | 1857. |
Der Referendarius nahm den Menschen mit sich zum Molkenmarkte Nr. 2., wo bekanntlich neben dem Criminalgerichte das Berliner Polizeipräsidium sich befindet, und machte dort einen Bericht, mit welchem er „den Ludwig Stähler, ein mehrmals bestraftes Subject, welches er unter beschwerenden Umständen um Mitternacht auf der Straße angetroffen, als eines noch näher zu ermittelnden Verbrechens verdächtig.“ zum „Aufbewahrungsarrest“ in die Stadtvogtei ablieferte. Dann wartete er, bis Nachmittags die Thürme von Berlin vier Uhr schlugen, und begab sich nun zu Cranzler unter den Linden. Vor dem Hause des Letzteren saßen um diese Stunde an den kleinen Marmortischen unter der weiß- und rothgestreiften Marquise die Gardeofficiere und tranken in ihrer Weise Kaffee. In ihrer Mitte befand sich, wie gewöhnlich, der Graf Zilly; er allein hatte seine Beine nicht in der Höhe hängen; er schien überhaupt nachdenklich zu sein, selbst seine Gefährten hatten dies bemerkt.
„Zum Teufel, Zilly, was fehlt Dir? Du bist so pensiv!“
„Mir fehlt nichts.“
„Geld wenigstens kann Dir nicht fehlen; Du wirfst es mit Händen fort; sonst, Herr Bruder, Du weißt, ständen unsere Börsen zu Dienst.“
„Ich bin überzeugt,“ lächelte der Graf.
„Ich weiß, was ihm fehlt,“ rief ein Zweiter, „er ist verliebt, in die kleine Jeannette, die jeden Tag so hold verschämt erröthend den Ducaten für ihren Kaffee von ihm annimmt.“
Die kleine Jeannette, die gerade im offenen Fenster stand, erröthete mit einem hold verschämten Blicke nach dem schönen, reichen und vornehmen jungen Manne. Aber der Graf lächelte auch diesmal nur.
„Er hat lange kein Abenteuer gehabt und langweilt sich,“ sagte ein Dritter. „Aber beruhige Dich, Graf, heute ist Concert im Hofjäger, das erste große Frühlingsconcert; da wirst Du die Elite der Berliner Bürgertöchter sehen, hübsche Personen, und verliebt in jede Uniform bis über die Ohren, von der Geheimerathstochter an bis zur Wäscherin; jene am meisten, denn sie bildet sich ein, sie könne doch noch einmal gnädige Frau werden.“
Ein Vierter rief: „Alle Teufel, Ihr Herren, es ist schon vier; wir müssen aufbrechen, denn das Concert hat bereits seinen Anfang genommen.“
Die Gardeofficiere und der Graf Zilly brachen auf. Letzterer zog seine Börse hervor, nahm einen Ducaten heraus, reichte ihn der erröthenden hübschen Jeannette durch das Fenster, und wollte dann seinen Arm in den eines Officiers legen. In diesem Augenblicke trat der Referendarius an ihn heran, der eine Weile seitab gesessen hatte. Er war sehr höflich.
„Mein Herr, darf ich um Ihren Namen bitten?“
„Graf Zilly,“ antwortete der Graf verwundert, aber ruhig.
„Können Sie sich legitimiren?“
Der junge Mann sah verwunderter auf; dann sagte er kalt: „Herr, Sie sind ein Unverschämter.“
Der Referendarius war, wie gewöhnlich die Criminalpolizeicommissarien zu Berlin, in bürgerlicher Kleidung. Aber er war auch mit der bekannten und gefürchteten Criminalpolizeimarke versehen und zog diese hervor. Auch der Graf schien sie zu fürchten; denn er wechselte die Farbe und warf einen eigenthümlich fragenden Blick auf den Beamten der Criminalpolizei. Doch schnell, wie diese Zeichen eines plötzlichen Erschreckens entstanden waren, verschwanden sie wieder.
„Was verlangen Sie von mir, mein Herr?“
„Ich muß Sie bitten, sich hier sofort als Graf Zilly zu legitimiren, oder –“
„Hier? Auf der Stelle?“
„Oder mir zur Stadtvogtei zu folgen.“
„Gäbe es nicht ein Drittes? Sie begleiteten mich zum österreichischen Gesandten? Die Wilhelmsstraße ist näher als der Molkenmarkt.“
„Ich bedauere; ohne ausdrücklichen Befehl des Herrn Polizeipräsidenten dürfen wir anderen Beamten mit den Gesandtschaften nicht unmittelbar communiciren.“
„So erlauben Sie mir, drei Zeilen an den Gesandten zu schreiben.“
„An den Herrn Gesandten selbst?“
„Sie können sie zum Ueberfluß durch einen ihrer Unterbeamten besorgen lassen.“
„Schreiben Sie.“
„Sie geben mir wohl Papier und Feder und so weiter, liebe Jeannette.“
Die hübsche Jeannette brachte blaß und zitternd das Verlangte und empfing dafür einen Ducaten, den der Graf ihr mit einem so ruhigen, freundlichen Lächeln in die Hand drückte, daß sie wieder hold verschämt erröthete. Darauf setzte er sich an einen der kleinen Marmortische und schrieb.
Die Officiere standen umher, einige mit verdutzten Gesichtenn, alle unentschlossen; unentschlossen, ob sie den jungen Mann, der
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_381.jpg&oldid=- (Version vom 19.12.2019)