verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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habe, bis sie es ausfüllten. Die Deutschen haben dafür das Märchen von Aschenbrödels Schwester, welche sich die zu große Ferse abhackte, um in den kleinen Schuh zu passen. Die Qualen, welche der Chinese den Füßen seiner Töchter, der Karaibe den Köpfen seiner Knaben zufügt, um sie in modische Formen zu pressen, sind aus der Erd- und Völkerbeschreibung bekannt, nebst hundert andern der Mode zu Liebe sich zugefügten Selbstquälungen der Völker: Nasen-, Ohren-, Mund-Durchlöcherungen, Einschnitten und Tättowirungen in die Haut, Zahnabfeilen, Umschnüren einzelner Glieder u. dergl. mehr. – Leider sind wir civilisirten Europäer nicht berechtigt, diese Abgeschmacktheiten barbarischer Wilder zu belächeln; denn wir machen es nicht viel besser! Abgesehen von den berüchtigten Schnürleibern, Crinolinen und regenschirmartigen Strohhüten der Damen, engen Beinkleidern, Hosengurten und Halsbinden der Herren etc.: so ist die Art, wie wir unsere Füße von dem Schuhmachern der Mode zu Liebe mißhandeln lassen, völlig prokrustesmäßig. Der Grundsatz, „daß der Schuh sich nach dem Fuße richten müsse,“ ist unsern modischen Fußbekleidungskünstlern ganz fern. Die „Chaussüre“ muß „elegant“ sein und der Fuß sich so lange nach ihr strecken, bis sie sich ein wenig nach ihm gestreckt, „sich ausgestreckt“ hat. „Il faut souffrir pour être beau“ d. h. Hoffahrt muß Zwang leiden! Die Mehrzahl der Verunschönungen des Fußes, dicke Ballen, verdrehte und übereinander gelegte Zehen, lätsche Beinstellung nach innen oder außen, stinkende Schweiße zwischen den Zehen, Blasen und Wundsein an den Hacken, vor allen aber die zahllosen Milliarden von Hühneraugen oder Leichdörnern, – und im Gefolge aller dieser Uebel unzählige Schmerzen, die das Leben verbittern und das Gemüth vergällen: – das sind die Folgen des Beinverschönerungssystems unserer modernen Fußkünstler!
Werfen wir, um diese Behauptung zu begründen, einen Blick auf die Gestalt des modischen Schuhwerkes und des (dazu gehörigen) Fußes selbst. Nebenstehend ist die regelrechte Gestalt der Fußsohle gezeichnet, wie sie sich z. B. im Staube der Landstraßen häufig abgedrückt findet. Der Fuß, dessen untere Fläche sich uns hier darstellt, ist nicht eine einfach feste starre Masse, sondern ein feingegliederter Bau, dessen Gerüste aus 26 einzelnen Knochen besteht, welche durch elastische Bänder so aneinander gefügt sind, daß sie zusammen ein Gewölbe bilden, welches den darauf gestützten Körper trägt, und dabei doch auch elastisch ist (federt). Die den größten Theil der Körperlast tragende Linie oder Richtung ist Fig. 1. mit a bezeichnet; sie geht von der Mitte der Ferse aus in die Mitte der großen Zehe (oder anders ausgedrückt, die nach hinten fortgesetzte Längenaxe der großen Zehe trifft in den Mittelpunkt der Ferse). Beim Stehen tragen so Ferse und große Zehe zugleich die Körperlast.
Wenn im Gehen der Fuß erhoben wird, so wickelt er sich in ebendieser Linie aa vom Boden ab, zuerst die Ferse, dann die große Zehe. Soll also die Sohle eines Schuhes gut, d. h. zum Gehen brauchbar gestaltet sein, so muß sie diese Hauptbewegung ermöglichen; es muß sich in ihr so, wie Fig. 2. zeigt, die Linie aa wiederfinden. – So sind nun aber modische Schuhe nicht gebaut. Dem Schuhmacher scheint seine Aufgabe nicht darin zu bestehen, daß er dem Fuße eine das Gehen durch ihren Schutz erleichternde Hülle
gebe. Sein Ziel ist vielmehr, diese Zusammenhäufung von Knochen, Fleisch und Haut, „Fuß“ genannt, in einen möglichst kleinen Raum zu packen, welchen Er (der Schuhverfertiger) für schön hält. Er geht hierbei von dem Grundsatze aus, daß bei dieser Verpackung die Masse von beiden Seiten her gleichmäßig zusammengedrückt werden müsse: nach einer Linie hin, welche wir Fig. 1. mit bb bezeichnen. – Um diese Linie wird symmetrisch (oder nur wenig asymmetrisch) eine Figur gezeichnet, welche aus festem Leder geschnitten, die Schuhsohle bildet, über welche sich dann ein möglichst enges Oberleder erhebt. Nachstehende Fig. 3. gibt uns eine Skizze davon, wie sich der Fuß in dem eleganten neuen Stiefel verhält.
Er hat aufgehört ein Fuß zu sein; er ist nur noch eine Masse, die allenfalls noch zum Stützen des Körpers, aber nicht zum Gehen dienen kann, wenigstens nicht ohne Mühe und Unbeholfenheit und nicht ohne dauernden Schaden des Fußes selbst. Die große Zehe wird von ihrer Grundlinie aa hinweg- und von ihrer Wurzel an nach der Eleganz-Linie, bb, hingebogen, gegen die kleinen Zehen gedrängt und mit diesen zusammengepreßt, so daß sie miteinander ein Dreieck bilden, dessen Spitze in der Mitte des vorderen Schuhendes liegt. So entstehen jene lebenslänglichen Ausrenkungen der großen Zehe, mit Gelenksteifigkeit am Ballen derselben, welche einen häufigen Gegenstand der Chirurgie, und noch hundert Mal häufiger der Klagen im gemeinen Leben werden. (Oft fälschlich für „Gicht-“ oder „Frostballen“ gehalten.) In Folge des steten Druckes auf die äußere Seite des Nagels der großen Zehe, wodurch der Nagel gewölbt, sein Rand nach unten gedrängt und die ihn bedeckende Haut darüber hinweggewölbt ist, entsteht das so schmerzhafte und oft Monate lang zum Gehen untüchtig machende Uebel des eingewachsenen Nagels, welches oft in böse Eiterungen und Gewebswucherungen (wildes Fleisch) übergeht. Auf die andere innere Seite des Nagels legt sich nicht selten die zweite Zehe und bewirkt durch Druck und Schwitzen eine Erweichung desselben und ein nicht minder schmerzhaftes Wundsein (Excoriation) seiner Nachbarhaut. Auch die anderen Zehen werden oft nicht minder ausgerenkt, in ihren Gelenken schleichend entzündet und endlich versteift (anchylosirt), oder über und unter einander geschoben. Zu allen diesen Qualen gesellen sich nun noch die Hühneraugen, die unvermeidlichen Quälgeister der eleganten Welt, die nach jedem Hinwegschneiden und trotz der hundert zu theuren Preisen ausgebotenen Hühneraugenpflastern (denen das in jeder Apotheke billig zu habende gemeine schwarze oder grüne Hühneraugenpflaster vollkommen die Wage hält) immer von Neuem nachwachsen, so lange der Schnitt der Fußbekleidung nicht geändert wird. – Es ließe sich noch mancherlei über die Nachtheile der herkömmlichen Gestalt unserer Fußbekleidung sagen: wie die zweckwidrige Sohlengestalt und das enge Oberleder Ursache an dem so häufigen Vorkommen der Plattfüße sind; wie die gebräuchlichen schmalen und hohen Absätze nicht blos zum Niedertreten der Stiefel, sondern auch zu falscher Haltung und Entwickelung des Fußes selbst führen u. s. w. Doch wir wollen keine gelehrte Abhandlung schreiben, sondern nur ein Wort der Warnung, und dazu genügt das Gesagte. Möge es jeder beherzigen, dem sein eigenes Wohl mehr am Herzen liegt, als ein schädliches Vorurtheil! Möge es namentlich dahin führen, daß man die Klagen der Kinder über Schuhdruck nicht zurückweise, und daß man einsehe, welch’ eine große Verantwortlichkeit Diejenigen auf sich laden, welche den Kindern absichtlich zu enge und zu kurze Schuhe geben, damit dieselben „einen schönen kleinen Fuß“ bekommen!
Einer der englischen Touristen, die mit Bischof Clayton vor Kurzem den Berg Sinai besucht hatten, kam auf seinem Rückwege nach Sicilien. Mit seiner Vorliebe für Fuß- und Bergwanderungen, für Verspätung in wilden Wäldern und Abendbrod unter einem Felsendache am selbstbereiteten Feuer, kam er auch auf den Gedanken, den Aetna zu besteigen, dessen ungeheuere Kastanienbäume zu sehen und den
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 373. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_373.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)