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Seite:Die Gartenlaube (1857) 365.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

No. 27. 1857.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.   Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Der Herr Referendarius.
Erzählung vom Verfasser der „neuen deutschen Zeitbilder.“




I.

Es war im Frühling des Jahres 1843 oder 1844 – genau weiß ich die Jahreszahl nicht mehr – als eines Nachmittags in der Kaffeestube der Cranzler’schen Conditorei unter den Linden zu Berlin ein fremder junger Mann die Aufmerksamkeit der Habitués des Kaffee auf sich zog. Er war ein hübscher Mensch, mit einem offenen Gesichte, lebhaften Augen, raschem und entschlossenem Wesen und feinen Manieren. Seine Kleidung war nach der neuesten Mode. An seinen Fingern glänzten ein paar Brillanten von seltener Größe und von dem reinsten Wasser. Er fiel schon gleich bei seinem Eintreten in das Zimmer auf. Die Linden „unter den Linden“ zu Berlin blüheten zwar schon in ihrer grauen und verkümmerten Berliner Weise; aber es war den paar warmen Tagen, welche diese Blüthen aus den schon vor dem Aufknospen ergrauten Knospen hervorgetrieben hatten, ein kalter, regnigter Tag gefolgt; die Gardelieutenants hatten deshalb auf ihr Privilegium, vor dem Cranzler’schen Hause auf dem Trottoir ihren Kaffee zu verzehren und dabei mit der nur ihnen eigenthümlichen Grazie ihre Füße über Stuhllehnen baumeln zu lassen, für heute verzichten müssen und dadurch ihren Tanten, Schwestern und Cousinen manche Freude geraubt, dem Berliner Philister aber auch manchen Aerger erspart. Sie saßen in dem Hause, in dem abgeschlossenen Zimmer, und weil dort kein Mensch die Heldenthat des Baumelns der Füße sah und bewunderte, so saßen sie beinahe so ordentlich, wie andere ordentliche Leute. Sie lärmten und lachten auch nicht laut; manche von ihnen gähnten aber darum desto lauter. Da trat der junge Fremde in das Zimmer. Sie hatten, wie gewöhnlich, den Eingang schon gleich vorn an der Thüre dicht besetzt. Jeder Andere, der eintrat, mußte einen Umweg nehmen und hinter ihren Stühlen her an der Wand sich vorbeidrängen. Der Fremde that nicht so. Er sah sich, während er die Thür noch in der Hand hielt, die Gruppe der Herren mit den bunten Röcken, langen Schnurrbärten und langen Schleppsäbeln, zwar nicht verwundert, im Gegentheile so an, als wenn er sagen wollte: er finde Alles gerade so, wie er es sich gedacht, dabei aber mit einem fein und herausfordernd lächelnden Blicke. Dann machte er ruhig die Thür hinter sich zu, und schob darauf ohne Weiteres, mit einer Leichtigkeit, als wenn er einen Hut aufnehme, den ersten Stuhl, der ihm im Wege stand, mit dem darauf sitzenden Dragonerlieutenant, sammt dessen langem Schnurrbarte und langem Schleppsäbel auf die Seite.

„Erlauben Sie, mein Herr,“ sagte er kurz, in einem etwas fremd klingenden Dialekt.

Die Officiere waren es jetzt, die verwundert aufsahen.

„Unverschämt! Verdammt!“ glitt über einige Lippen.

Der Fremde bekümmerte sich nicht darum. Er schritt, ohne sich umzusehen, an den Tisch, hinter welchem die hübschen Aufwärterinnen des Cranzler’schen Kaffeehauses standen. – Damals herrschte in den Kaffeehäusern, Restaurants und Wein- und Bierstuben Berlins noch soviel Sitte, daß weibliche Aufwartung darin keine Gefahr brachte und keine Gefahr lief; seit einigen Jahren soll es anders geworden sein, und die Regierung deshalb für ausschließlich männliche Aufwartung haben sorgen müssen.

„Kaffee,“ rief der junge Mann leicht einer der Aufwärterinnen zu.

Mit schnellem Blick hatte er die hübscheste von ihnen getroffen. Er setzte sich an einen der kleinen Marmortische, die zunächst bei der Gruppe der Officiere standen. Und, was diese in dem Zimmer nicht thaten, das that er jetzt. Er zog einen zweiten Stuhl heran und hing über dessen Lehne seine Beine, mit vollkommen so viel Leichtigkeit und Gewandtheit, als wenn er seit Jahren Officier in der Garde gewesen und seinen Kaffee bei Cranzler unter den Linden getrunken habe. Die Officiere sahen sich nicht mehr verwundert, aber etwas verdutzt an; einige strichen ingrimmig die Schnurrbärte.

„Teufel! Camerad! – Was meint Ihr! Es ist arg!“

„Es amüsirt mich.“

„Aber, zum Teufel –!“

Eine Aufwärterin brachte dem Fremden den Kaffee. Aber es war nicht die, bei der er ihn bestellt hatte.

„Habe ich bei Ihnen bestellt?“ fragte der Fremde.

„Nein, mein Herr, aber –“

„Ich will meinen Kaffee von der, bei der ich ihn bestellt habe.“

Das Mädchen mußte zurückkehren. Jene hübsche, der er zugerufen, brachte ihm den Kaffee. Er legte ihr einen ungarischen Ducaten auf die Platte. Sie nahm Geld aus ihrer Tasche, zählte drei Thaler und zwei Groschen ab, um sie ihm herauszugeben. Jetzt sah auch er verwundert auf.

„Was soll das?“

„Der Kaffee kostet drei Groschen.“

„Nun ja!“

„Sie haben mir einen Ducaten gegeben.“

„Nun ja!“

„Sie bekommen also drei Thaler zwei Groschen zurück.“

„Ich bekomme nichts zurück; es ist für Sie.“

Das hübsche Mädchen wurde feuerroth. Sie wollte noch etwas sagen; aber er hatte rasch seinen Kaffee ausgetrunken,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_365.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)