verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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vorigen Sommer abziehen, je mehr fühle ich, wie viel uns Ihr Umgang gab und wie viel mir fehlt. Sie haben uns zu sehr verwöhnt.“ Sie las dabei mit Vorliebe Schiller’s Fiesco und Kabale und Liebe und freute sich, daß in dem Lauchstädter Theater bald eines dieser Stücke aufgeführt werden sollte.
Am 2. August Abends langte Schiller in Lauchstädt an und am 3. Vormittags machte er seinen Besuch bei den Damen. Die ältere Schwester Lottens, welche das Verhältniß lange durchschaut hatte, kam den Liebenden zu Hülfe. „Ein wohlthätiger Engel war mir Caroline,“ schreibt Schiller bald darauf an Lotten, „die meinem furchtsamen Geheimniß so schön entgegen kam.“ Und Caroline selbst erzählt: „Die Erklärung[WS 1] erfolgte in einem Momente des befreiten Herzens, den herbeizuführen ein guter Genius wirksam sein muß. Meine Schwester bekannte ihm ihre Liebe und versprach ihm ihre Hand. Die Zufriedenheit der guten Mutter hofften wir, obgleich die äußere Lage wohl noch Bedenken bei ihr erregen konnte. Um ihr unnöthige Sorge zu ersparen, sollte noch Alles für sie geheim bleiben. Meine Schwester fühlte die Unmöglichkeit, ohne Schiller zu leben.“ Ueber ein anderes Verhältniß, das man für sie anzuknüpfen suchte, spricht sie später selbst gegen Schiller: „Meine Hand hätte ich vielleicht hingeben können und müssen, nicht durch Zwang, sondern durch meiner Mutter Wunsch; aber nicht mein Herz voll warmer Treue zu Dir!“
Noch an demselben Tage, an welchem das entscheidende Wort in dem stillen kleinen Hause des Tischlers gesprochen worden war, reisete Schiller eilig nach Leipzig, um dem theilnehmenden Freunde Körner sein Glück zu verkünden, und kaum war er bei ihm angekommen, als er auch schon nach Lauchstädt zurückschrieb; in welch selig begeisterter Stimmung, spricht sich in jedem Wort aus. „Dieser heutige Tag,“ beginnt er, „ist der erste, wo ich mich ganz glücklich fühle. Nein! Ich habe nie gewußt, was glücklich sein ist, als heute. Welche schöne himmlische Aussicht liegt vor mir! Ich fühle, daß eine Seele in mir lebt, fähig für Alles, was schön und was gut ist. Ich habe mich selbst wiedergefunden und – Ihnen sollen alle meine Empfindungen gehören, alle Kräfte meines Wesens sollen Ihnen blühen etc.“
Und das Häuschen in Lauchstädt sollte ferner unbeachtet bleiben, in welchem unser Schiller solches Liebesglück gefunden, er, der die Liebe mit den lieblichsten deutschen Worten, mit den süßesten Lauten, die unsere Sprache kennt, mit der hinreißendsten Begeisterung, dabei in unerreichbarer Anmuth und dem reinsten Feuer besungen hat? Nein! Es wird das Ziel vieler seiner Verehrer und vieler Liebenden werden. Mögen denn Alle, die den bescheidenen Raum betreten, in welchem unser großer Dichter den Schwur der Liebe und Treue gab und empfing, den gleichen Schwur so heilig halten das ganze Leben lang, wie Schiller und Lotte es gethan, damit ihnen in der Ehe ein gleiches Glück bescheert werde, wie es jenen beschieden war.
I.
In meiner Stellung als Gefängnißarzt hatte ich häufig Gelegenheit, einen Blick in das Leben und Treiben der Verbrecherwelt zu thun, da ich vielfach mit den Gefangenen in Berührung trat. Das Inquisitoriat zu G… ist ein großes Gebäude, welches weit mehr Aehnlichkeit mit einem Palaste, als mit dem Aufenthalt von Verbrechern hat. Eine Reihe von stattlichen Flügeln im gothischen Geschmack schließen mehrere freundliche Höfe ein; selbst an Gärten fehlt es nicht, wo die Bewohner zu gewissen Stunden freie Luft schöpfen dürfen. Allerdings benimmt ihnen eine dreißig Fuß hohe Mauer jede Aussicht in’s Freie und auf Flucht. Große, mit festen eisernen Schlössern versehene Thore sperren die Anstalt von der Außenwelt ab; sie öffnen sich nur für diejenigen, welche mit einer besonderen Einlaßkarte versehen sind, oder zu dem Beamtenpersonale gehören. Wir treten ungehindert herein und werden wohlthuend von der hier herrschenden Ordnung und Reinlichkeit überrascht. In einer grünen Laube, welche sich an die Wand des Gefängnisses anlehnt, finden wir zu unserer Ueberraschung ein anmuthiges Mädchen von achtzehn Jahren und mehrere fröhliche Kinder, welche sich ungestört ihren Spielen überlassen und uns mit lautem Jubeln begrüßen. Es ist dies die Familie des Gefängnißinspectors, welche sich bereits an den Anblick des hier herrschenden Elends gewöhnt hat, und von dem täglichen Schauspiele weiter nicht berührt wird. Ihr munteres Aussehen, ihr frisches Lachen bildet einen eigenthümlichen Gegensatz zu der sonstigen traurigen Umgebung. Noch schärfer tritt der Contrast hervor, wenn man bedenkt, daß kaum hundert Schritte davon der kleine Hof liegt, wo heute gerade die Zimmerleute mit dem Aufschlagen des Blutgerüstes beschäftigt sind, auf dem morgen in der Frühe der schwere Verbrecher enden wird, dessen Gesundheitszustand ich vor seinem Tode noch einmal zu prüfen habe. Die Kinder sehen ohne Bewegung den Arbeitern zu, und erhaschen mit wahrer Freude ein Stück Holz, das beim Absägen des Schaffots herabgefallen ist, und welches sie jetzt ohne Bedenken zu ihren Spielen verwenden. Das liebliche Mädchen beschäftigte sich unterdeß mit Lesen; vielleicht war es irgend ein gefühlvoller Roman, den sie in der Hand hielt, und in den sie dermaßen vertieft war, daß sie kaum meinen Gruß zu bemerken schien.
An der verschlossenen Hauptthür, vor der zwei Schildwachen mit geladenen Gewehren auf und ab gingen, fand ich bereits den dienstthuenden Gefängnißwärter, in dessen Begleitung ich die täglichen Krankenbesuche abstattete. Zunächst hatte ich die Aufgabe, die neu hinzugekommenen Gefangenen zu untersuchen. Es war ein ziemlich bedeutender Transport angelangt, von jedem Alter und aus allen Ständen, Kinder, welche frühzeitig ihre Verbrecherlaufbahn angetreten, und Greise, die mit einem Fuße bereits im Grabe standen; Leute, die ihrer Kleidung und ihrem Benehmen nach den besseren Classen der Gesellschaft angehörten, Männer und Frauen, denen der Stempel des Elends und des Lasters auf die Stirn gedrückt war. Sie warteten auf mich in einem geräumigen Saale, um nach dieser nothwendigen, ärztlichen Inspection in die verschiedenen Zellen gesperrt zu werden, welche sie bald längere bald kürzere Zeit zu bewohnen haben.
Durch eine längere Praxis glaubte ich bereits eine gewisse Uebung erlangt zu haben, um den Anfänger von dem bereits verhärteten Bösewicht zu unterscheiden; aber gern gestehe ich ein, daß ich mich selber oft in dieser Beziehung getäuscht sah. Ich habe schwere Verbrecher kennen gelernt mit dem Aussehen von wahren Biedermännern und besonders unter den Frauen wirklich unschuldige Gesichter mit sanften Zügen und höchst bestechendem Aeußeren angetroffen, die nichts desto weniger die größten Verbrechen begangen hatten. So erinnere ich mich noch heute einer Giftmischerin, die ihren Mann mit Hülfe ihres Geliebten umgebracht hatte. Man konnte sich, abgerechnet ihre von der Gefängnißluft gebleichten Wangen und ihre von Gewissensbissen und Sorgen um ihr Schicksal angegriffenen Züge, kein sanfteres und freundlicheres Wesen denken, und doch hatte diese Frau mit wahrhaft dämonischer Bosheit nicht allein ihren Gatten ermordet, sondern sogar längere Zeit den Verdacht auf mehrere schuldlose Personen ihrer Umgebung hinzulenken gewußt, und das Gericht so lange irre geführt, bis ein Zufall sie als Thäterin unwiderruflich bezeichnete und dem strafenden Arm der Gerechtigkeit überlieferte.
Obgleich ich keineswegs einen gewissen Werth der Physiognomik bestreiten will, so möchte ich doch vor Irrthümern und voreiligen Schlüssen warnen. Eine eigentliche Verbrecher-Physiognomie habe ich nur selten gefunden, und trotz meiner vielfachen Erfahrungen möchte ich ihre Existenz noch immer bezweifeln. Manche Aerzte glauben auch bei Leichenöffnungen noch besondere anatomische Veränderungen im Innern des Verbrecherkörpers und als diesem ausschließlich eigen entdeckt zu haben; dazu gehört besonders das rauhe und haarige Herz, cor villosum genannt. Dasselbe besteht in einer Rauhigkeit der Herzoberfläche, wahrscheinlich eine Folge der fortwährenden Reizung und dadurch bedingten, entzündlichen Ausschwitzung. Aber jeder Arzt wird wohl ähnliche Zustände auch bei den unschuldigsten Personen angetroffen haben, die nichts weniger als Verbrecher waren. Eben so wenig dürfte die Zergliederung des Gehirns uns einen Aufschluß geben, warum ein Mensch
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Erkärung
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_357.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)