verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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No. 26. | 1857. |
Der Vorsitzende ertheilte dem Staatsanwalt das Wort zur Begründung der Anklage.
„Ich habe,“ begann dieser, „zuvor noch eine Frage an den zuletzt vernommenen Zeugen richten wollen.“
Man ließ den Victualienhändler eintreten.
„Haben Sie noch anderweites Geld bei dem Angeklagten bemerkt, als er bezahlte?“
Der Zeuge besann sich geraume Zeit.
„Allerdings,“ antwortete er endlich, „ich weiß aber nicht genau, was für Geld es war.“
„Beschreiben Sie es uns!“
„Es war eine große Silbermünze, ich konnte nicht unterscheiden, was es gewesen ist, ich sah nur, daß das Geldstück durchlöchert war –“
Ich hörte, wie das Geländer, das mich von dem Angeklagten trennte, unter dem krampfhaften Griff seiner Hände knackte, so fest mußte er sich daran halten, um nicht zu schwanken. Der Zeuge beschrieb das Geldstück noch näher, die Beschreibung paßte genau auf den im Besitze des Kriegsraths gewesenen durchlöcherten Kronthaler. So günstig sich die Sache im Laufe der Verhandlung gestaltet hatte, so mißlich lag sie jetzt für den Angeklagten. Dieser fühlte die Wendung seiner Lage vollkommen; er leugnete; dicke Schweißtropfen perlten von seiner Stirn auf die fieberhaft gerötheten Wangen.
„Herr Präsident,“ sprach er – hastig mit stotternder Stimme, „ich habe mein Alibi bewiesen –“
„Ihr Wirth hat allerdings eidlich erhärtet, daß Sie am Morgen nach jener Nacht Ihre Wohnung vor sieben Uhr Morgens nicht verlassen haben, aber er hat Sie erst um ein Uhr Abends, wahrscheinlich sogar noch später gesehen, und es ist daher sehr gut möglich, daß der Diebstahl um diese Zeit bereits ausgeführt war. Etwas Anderes wäre es, wenn Sie nachweisen könnten, daß Sie auch in der Zeit von zehn Uhr Abends bis zum Eintreffen in Ihrer Wohnung nicht am Orte der That gewesen sind.“
„Ich will es beweisen,“ sagte der Angeklagte, und das Wort stockte ihm in der Kehle.
„Und wie wollen Sie das beweisen?“ fragte der Präsident.
„Durch die Person, in deren Wohnung ich bis nach eilf Uhr gewesen bin –.“
„So geben Sie also zu, daß es unwahr ist, wenn Sie behauptet haben, bereits vor zehn Uhr Abends in Ihre Behausung zurückgekehrt zu sein –?“
Der Angeklagte schwieg, was ging in ihm vor? Auf seiner Stirn stand der helle Angstschweiß, seine trockenen Lippen zuckten, aber sprachen nicht.
„Nennen Sie diese Person!“ rief der Vorsitzende mit stärkerer Stimme, „oder ich schließe die Verhandlung und gebe dem Herrn Staatsanwalt das Wort.“
Der Angeklagte raffte sich zusammen. „Es ist die Frau von P.,“ sprach er kaum hörbar.
„Die Frau des verstorbenen Kriegsraths von P.? die Gattin des Bestohlenen?“ fragte der Vorsitzende erstaunt.
„Ja,“ antwortete der Angeklagte, und indem er sich zu mir neigte: „Um Gotteswillen, einen Tropfen Wasser!“
Ich winkte dem Gerichtsdiener, der das Verlangte brachte.
„Und was hatten Sie so spät in der Wohnung dieser Dame zu thun?“ fragte der Präsioent von Neuem.
„Ich habe bisweilen kleine häusliche Arbeiten dort verrichtet, Möbel aufpolirt und dergleichen.“
Der Gerichtshof trat in Berathung und beschloß, Frau von P. sofort vorzuladen und die Verhandlung so lange auszusetzen.
Nach weniger als einer Stunde wurde dem Präsidenten das Eintreffen der Zeugin gemeldet. Die Verhandlung wurde wieder aufgenommen. Die Aufmerksamkeit wandte sich der Frau von P. zu. Sie war in tiefer Trauer, welche die Blässe ihres Antlitzes noch mehr hervortreten ließ. Ich erinnerte mich nicht, jemals ein so marmorbleiches Antlitz gesehen zu haben. Als der Gerichtshof eintrat, wollte sie sich vom Stuhl erheben, auf dem sie Platz genommen hatte; sie vermochte es aber nicht.
„Wenn Sie sich angegriffen fühlen, Frau von P.,“ sprach der Präsident des Gerichtshofes zu ihr gewendet, „so wollen wir Sie nicht zum Stehen nöthigen.“ Sie hatte sich inzwischen zusammengerafft und trat an den Zeugentisch. Nachdem sie die Frage nach Namen, Stand und Alter leise, aber vernehmlich beantwortet hatte, befragte sie der Vorsitzende, ob ihr der Angeklagte bekannt sei. Sie bejahte. Ich hatte indessen genau beobachtet, daß sie den Angeklagten nicht angeblickt hatte. Es war zunächst festzustellen, ob der Angeklagte, wie er angegeben, an dem gedachten Abend bis nach eilf Uhr in der Behausung der Zeugin gewesen sei. Sie bejahte diese Frage.
„Zu welchem Behufe hatte er sich an dem gedachten Abend eingefunden?“
„Er sei,“ so lautete die Antwort, „ab und zu gekommen, um zu hören, ob irgend etwas für ihn zu thun sei, hin und wieder
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 349. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_349.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)