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Seite:Die Gartenlaube (1857) 348.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

elend, zerlumpt, schmutzig, hungrig, durstig, betrunken u. s. w. – aber zufrieden in ihrem freien Schmutze. Wer lesen kann, findet für jede Art von Gesinnung und Richtung, auch die verrückteste, revolutionärste und gefährlichste, die reichlichste, unbeschnittene Lectüre in 36 wöchentlichen Magazinen, 10 Tageszeitungen, 5 Abendblättern und 72 Wochenzeitungen. In Armen- und Lumpenschulen werden 15,000 Kinder auf öffentliche Kosten erzogen, gekleidet u. s. w. Auch an religiöser Mahnung fehlt’s nicht in 371 Hochkirchen, außerdem in 140 für die „Independenten“, 130 für die Baptisten, 154 für die Methodisten, 23 für die Presbyterianer, 9 für die Unitarier, 35 für die Katholiken, 4 für die Quäker, 2 für die Moravianer und 11 für die Juden. Andere Secten, wie die „Plymouth-Brüder“, Irvingianer, Sandemanianer, Lutheraner, französischen Protestanten, Griechen, Italiener, Deutschen (die als Secte gezählt werden) und Mormonen haben zusammen über 100 Kapellen und Kirchen.

In diesen Zahlen und Angaben, die sich noch bedeutend vermehren ließen, steckt schon so viel Stoff zum Nachdenken und zur Weisheit, daß Jeder daran genug haben kann. Wir wollen in dieser Beziehung nicht vorgreifen und die Weisheit, welche darin steckt, predigen; bemerken aber, daß die ungeheuren Massen schädlicher, ungesunder, destructiver Stoffe, die in dem modernen Babylon stecken, diese kolossale Welt blos deshalb nicht zerstören, weil man keine Furcht vor ihnen zeigt und aus Furcht nicht fürchterlich gegen sie wird, sondern sie gehen läßt, sie verachtet. Dieses letztere Verhältniß der regierenden Classen zu den regierten macht erstere wirklich zu Aristokraten. Der Vollblut-Aristokrat verachtet die Canaille, spielt also nicht den Polizeivater gegen sie. Die Canaille ist damit zufrieden und hat guten Grund dazu, denn offenbar wäre sie viel schlimmer daran und gar nicht zu bändigen, wenn die Aristokratie sie Tag und Nacht controllirte und examinirte, ob auch Alles in Ordnung sei.




Blätter und Blüthen.

Ein Mittagsmahl bei Peter dem Großen. In einem Schreiben, das der Kanonikus von Lüttich und Propst von St. Croix, Herr von Launage, an den Minister und Staatssecretair des Kurfürsten von Cöln 1717 richtet, wird ein Diner beschrieben, das Peter der Große gegeben hat. Der Brief lautet: „Am Freitag kam ich nach Spaa, wo der Zaar sich gerade befand, und in einem Zelte wohnte. Ich nahm mir die Freiheit, ihm ein Becken voll Kirschen und Feigen aus meinem Garten zu präsentiren. Das war ihm sehr angenehm; er machte sich sogleich darüber her und, ungedenk vermuthlich, daß er am Morgen seine einundzwanzig Gläser Wasser zu sich genommen hatte, verzehrte er, ehe man sich’s versah, ganzer zwölf Feigen und etwa sechs Pfund Kirschen. Den Tag darauf erzeigte er mir die Ehre, mich zur Tafel zu bitten. Es wäre nicht halb recht, wenn ich Ihnen von dieser merkwürdigen Mahlzeit keine Beschreibung geben wollte, von der man nur sagte, daß Se. Majestät gewöhnlich so dinire. Die Tafel war eigentlich nur zu acht Couverts, aber man hatte das Geheimniß verstanden zwölf Personen daran zu placiren. Der Zaar saß oben an in der Nachtmütze und ohne Halsbinde, wir übrigen saßen längs um den Tisch hin, aber wohl einen guten Fuß davon ab, Zwei Soldaten von der Garnison trugen jeder eine große Schüssel auf, in welcher platterdings gar nichts war, außer daß am Rande irdene Näpfchen voll Bouillon standen, in deren jedem ein Stück Fleisch lag. Jeder nahm seinen Napf und stellte ihn vor seinen Teller hin. Dadurch entstand aber, die Entfernung vom Tische selber hinzugenommen, eine solche Weitläufigkeit und Unbeholfenheit, daß man, um einen Löffel voll Suppe herauszuholen, den Arm so weit ausrecken mußte, als wenn man rappiren sollte. Hatte man seine Bouillon auf, und verlangte noch mehr, so sprach man ohne Umstande dem Napf des Nachbars zu, wie Se. Majestät selber, der mit dem Löffel in den Napf seines Kanzlers fuhr. Der Galeeren-Admiral schien gar keinen Appetit zu haben, denn er amüsirte sich daran, an den Nägeln zu kauen. Nun kam ein Kerl, der sechs Bouteillen Wein auf die Tafel nicht stellte, sondern gleich einer Handvoll Würfel hinkollerte.

Der Zaar nahm eine davon, und schenkte jedem Gast ein Glas davon ein. Mein Platz war neben dem Kanzler; als dieser gewahr wurde, daß ich das Fleisch ohne Salz aß, denn leider stand nur ein einziges Salzfäßchen auf dem Tische, und zwar ganz oben, neben dem Zaar, so sagte er mir sehr artig: Wenn Sie Salz haben wollen, mein werthester Herr, so langen Sie nur ohne Umstände zu. Um mich nicht gimpelmäßig zu benehmen, so streckte ich meinen Arm geraden Weges nach dem Platze des Zaaren hin, und versorgte mich auf diese Manier mit Salz die ganze Mahlzeit über. Auf dem Tische sah es schön aus. Fast aus allen Näpfen war Brühe auf das Tischtuch verschüttet, so auch der Wein, weil die Bouteillen nicht ordentlich zugepfropft wurden. Als man von der Tafel aufstund, war das Tischtuch über und über mit Fett und Wein getränkt. Nun kam das zweite Essen. Einem Soldaten, der eben zufällig vor der Küche vorbeigegangen war, hatte man eine Schüssel aufgepackt, und da er darüber nicht Zeit gehabt hatte seinen Hut abzuthun, so schüttelte er beim Eintreten mit dem Kopf, damit er von selber herunterfiele. Aber der Zaar gab ihm ein Zeichen, er möge nur kommen, wie er wäre. Dies zweite Gericht bestand aus zwei Kälberkeulen und vier jungen Hühnern. Se. Majestät nahm das größte davon mit der Hand aus der Schüssel, rieb es sich prüfend unter die Nase und, nachdem er mir durch einen Wink zu verstehen gegeben, daß er es köstlich finde, war er so gnädig, es mir auf meinen Teller zu werfen. Die Schüssel ward übrigens von einem Ende des Tisches zum andern geschoben, ohne daß damit ein Unglück arrivirt wäre, was eigentlich auch gar nicht möglich war, da außer ihr gar nichts weiter auf dem Tische sich befand, und die Fettrinde auf dem Tischtuche die Passage ziemlich erleichterte. Das Dessert bestand aus einem Teller mit Biscuits aus Spaa, nach welchem man sich endlich von der Tafel erhob. Der Zaar ging an ein Fenster; hier fand er ein paar Lichtscheeren, mit denen er, so voll Talg und angerostet sie auch waren, sich die Nägel putzte. Glücklicher Weise war die Zeit da, mein Brevier zu lesen, und so kam ich mit guter Manier davon.“



Der illustrirte Dorfbarbier.
Ein Blatt für gemüthliche Leute, mit lustigen Illustrationen,
das Vierteljahr 10 Neugroschen.




Es ist eine der ausgemachtesten Wahrheiten des Jahrhunderts und alle philosophische Systeme, so wie die neuere Weltanschauung laufen in dem Brennpunkte zusammen, daß sich jeder von einem Weibe Geborne entschieden im Lichte steht, der nicht auf den Illustrirten Dorfbarbier abonnirt. – Eine geheime Clausel des letzten Pariser Friedens soll besagen, daß nach dem Barbier von Sevilla der Dorfbarbier der fidelste Barbier, seit die Menschheit überhaupt geschoren worden. – Ein Banquier, der diese Tage sehr unlustig von der Börse kam, hat gesagt: Meine einzige Erholung in dieser gedrückten Zeit ist noch der Dorfbarbier, und der pensionirte Hauptmann Knopfdistel hat geäußert: Der Guckuk hole alle Journale, ich lobe mir den Dorfbarbier, der verarbeitet die Weltgeschichte zu humoristischen Knackwürstchen, worauf ein frischer Trunk schmeckt. So will ich’s haben.

Menschheit, die Du noch nicht abonnirt hast, beherzige den Ausspruch dieser Männer. Da den 13. Juni die Welt nicht alle geworden, sieht auch der Dorfbarbier nicht ein, warum er die Flinte in’s hochgewachsene Korn werfen soll. Er wird daher in Begleitung des Berliner Buddeelmeier, der beiden Gevattern Breetenborn und Nudelmüller, so wie des durch die jüngste Preisausschreibung satt gewordenen Bildermanns,

der vom 1. Juli ab seine preisgekrönten Bilder produciren wird,

seine allwöchentliche Wanderung für 10 Neugroschen wie zeither fortsetzen und zwar von dem sibirischen Eise bis zu den weinfröhlichen Hügeln des Rheingaues, von den Hauptstädten Grusiens und Tauriens bis zu den „heerdenmelkenden“ Holländern, von der blauen Adria bis zu Norwegens Fichtenwäldern. So weit wohnt die verehrte Kundschaft, wie Postämter und Buchhändler zugestehn.

Wer also auf den genannten Territorien noch nicht abonnirt,

Der thue dazu und abonnir’,
Das neue Quartal steht vor der Thür –
Und hiermit empfiehlt sich

Der Dorfbarbier.


Alle Buchhandlungen und Postämter nehmen Bestellungen an.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_348.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)