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Seite:Die Gartenlaube (1857) 332.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)


Aus dem Storchleben.

Wenn der Landmann mit seiner Familie bei Frühlingsanfang die Schlafstätte verlassen hat, da stecken sie alle die Köpfe zur Thür hinaus und sehen nach dem Dach der Scheune, ob denn die Storchwohnung da oben, die von des Winters Stürmen manchen Schaden gelitten hat, wieder bezogen sei von den alten Freunden. Und die Städter eilen hinaus vor die Thore und besuchen die Plätze, wo hoch auf dem Wipfel der Bäume das Schloß eines ernsten Storchenpaares thront. Manchen Tag sehen die Einen, gehen die Andern vergebens; zerrissen und durchlöchert stehen die Nester noch immer verwaist. Wenn aber eines Morgens der Sonnengott seine tägliche Rundreise antritt unter den vielverheißendsten Zeichen, wenn er kein Wölkchen duldet am weiten, hellblau bekleideten Himmelszelt, keinen Nebel den Poren des Erdkörpers entsteigen läßt, wenn er mit Silberperlen Auen und Wiesen geschmückt hat, und mit unwiderstehlicher Macht aus den Herzen der Menschen die Grillen und Sorgen verscheucht – da kannst Du sehen, daß er auch die längst ersehnten Gäste mitgebracht hat, die Störche. Sie sind da.

Wenigen nur ist es vergönnt, die Störche auf der Reise selbst zu beobachten, zumal bei ihrer Ankunft, welche sich von dem Wegzuge dadurch unterscheidet, daß dieser eine gewisse Gestalt hat, die von dem Maler wieder gegeben werden kann, während jene, gestaltlos möchte man sie nennen, bildlich nicht darzustellen ist. Von der Ankunft kann man eben nichts weiter sagen, als daß sie vollendet ist. Eines Morgens sind die Störche da. Um welche Zeit sie aber angekommen sind, und ob in großer oder kleiner Gesellschaft, oder ob ganz allein, das haben nur sehr wenige, in der Regel niemand gesehen. Selbst in den Gegenden, wo sie sich in großer, oft zahlloser Menge aufhalten, wie auf der Insel Rügen, in Pommern, in der Mark Brandenburg und andern Orten, wird selten jemand diese Vögel in ihre Quartiere einrücken sehen. Unbemerkt kommen sie in der Nacht an und jedes Paar sucht in aller Stille sein altes Haus auf und nimmt ohne Weiteres davon Besitz. Anders verhalten sie sich zur Zeit der Abreise. Rückt diese heran, so kann man sie allabendlich wohl fünf, sechs, auch acht Tage lang auf passend gelegenen Stoppelfeldern sich versammeln sehen. In der Mark standen auf einer Fläche von etwa hundert Morgen bei Sonnenuntergang einige Tausend solcher Rothschnäbel. In dieser Zeit bewohnten sie ihre Nester nicht mehr, den Tag über flogen sie einzeln nach Nahrung aus und bekümmerten sich gar nicht um einander, mit dem Scheiden des Tages kamen sie meist paarweise aus allen Himmelsgegenden auf jenen Feldern zusammen, blieben des Nachts daselbst und zerstreuten sich bei Sonnenaufgang wieder. Man konnte sie dann den Tag über an den Plätzen gehen und Nahrung suchen sehen, wo sie den Sommer über dieses Geschäft zu besorgen pflegten. Fand man sie an einem der folgenden Tage nicht mehr hier, oder wer vor Sonnenaufgang schon hinausgegangen war, früh nicht mehr auf ihrem Sammelplatze, so wußte man, daß sie in der vergangenen Nacht ihre Reise nach dem Süden angetreten hatten.

Der Unterschied zwischen ihrer Ankunft und ihrem Wegzuge ist der, daß sie im Frühjahr, wenn sie in die Nähe ihrer alten Wohnungen kommen, von dem Gros der Reisearmee sich trennen und paarweise ihre Nester beziehen, ohne sich zuvor auf einem gemeinschaftlichen Platze niedergelassen zu haben. Im Herbste aber ziehen sie nicht einzeln ab, sondern in Gemeinschaft und das bewerkstelligen sie während einer fünf- bis achttägigen Sammelzeit auf einem bestimmten Platze. Ob das in jedem Jahre derselbe ist, wollen wir nicht behaupten, doch haben wir in derselben Gegend der Mark in zwei auf einander folgenden Jahren den Abzug der Störche beobachtet und gefunden, daß sie im zweiten Jahre auf denselben Aeckern sich versammelten, wo es im vorigen der Fall gewesen war. Aehnliches haben wir bei den Schwalben in zwei verschiedenen Gegenden bemerkt. In Leipzig z. B. haben sich diese den schönen Marktplatz zum Sammeln auserkoren, denn während sie von den andern Punkten der Stadt, wo den Sommer über kleinere Schaaren zu schwärmen pflegten, sich weggewendet haben, wird die Menge derer, die über dem Markte sich ausbreitet, eben durch den Zuflug jener von Tage zu Tage größer. Ein anderer Sammelplatz für die Schwalben, weit entfernt von diesem, sind im Thüringer Lande die Burgruinen der Rudelsburg und Saaleck. Auch da schwärmen sie zur Zeit der Abreise vier bis sechs Tage lang in fast unglaublicher Menge.

Doch wir wollen heute bei den Störchen weilen und einige Züge aus ihrem Leben, die wir selbst beobachtet haben, mittheilen. Es ist bekannt, daß diese Vögel ein wahres Muster von ehelichem Leben sind und daß Tausende von Menschen sich müssen beschämen lassen von einem Storchenpärchen. Mann und Frau leben nur mit und für einander. Sie ziehen in dieselbe Wohnung ein, verlassen dieselbe nur, wenn sie auf Nahrung ausfliegen, und trennen sie sich dann auch, so ist es selten weit, meist ist das eine in der Nähe des andern. Häufig kehren sie fast gleichzeitig in das Nest zurück, und läßt ja das eine einmal auf seine Rückkunft etwas länger warten, so steht das andere gewiß in seiner luftigen Wohnung als Einbein, fleißig nach dem ausbleibenden Gatten ausspähend und ihn mit auf dem Rücken zurückgelegten Schnabel durch langanhaltendes Klappern ängstlich zur Heimkehr auffordernd. Hat das Weibchen Eier gelegt, so wechseln sie im Brüten, sobald die Störchin ihren Hunger stillen will, und sind endlich die Jungen da, so sorgen beide Alten auf eine rührende Weise für die kleine hungrige Gesellschaft, indem sie unablässig ab- und wieder mit vollem Schnabel zufliegen. Keines der drei bis fünf Kinderchen bleibt ungesättigt. und erst nach der Fütterung der Jungen geht eins von den Alten aus zur eigenen Mahlzeit, während das andere die kleine Brut im Neste bewacht. Ist dann die ganze Familie satt, so laufen die Eltern nicht davon und lassen die Kleinen ohne Aufsicht, wenigstens nie auf lange Zeit, sondern Vater und Mutter bleiben hübsch fein zu Hause und lehren die Kinder. Da kann man das spaßhafte Geklapper mit den Schnäbeln oft Stunden lang beobachten; auch wie ein Söhnchen trotz vielen Probirens und Exercirens nichts Gescheidtes herausbringt, bis endlich der Vater ärgerlich ihn niedersetzen heißt, und nun ein Töchterchen seine größere Fähigkeit und Geschicklichkeit produciren darf.

Sind sie endlich so weit, daß sie ihre Flügel gebrauchen können, so ist der unermüdliche Eifer der Mutter sehenswerth, mit dem sie die Jungen auffordert, den stolzen Flug des Vaters nachzuahmen, der nicht allzu hoch über dem Neste in schön gezogenen Kreisen dahinschwebt, fast regungslos, nur dann und wann einigen Schwung mit den Flügeln sich gebend. Und prächtig ist es, wenn endlich nach langem Zureden die Kleinen es wagen. Tage lang haben sie sich schon im Neste stehend geübt im Flügelschlage, noch aber hatten sie ihre Geburtsstätte nicht verlassen. Jetzt geht die Mutter voran, nicht gleich hoch in die Luft, nur erst heraus auf den First des Daches. Da kommt ein Sohn; ängstlich und wackelig steht er anfangs da, dann aber, sobald er etwas sicherer fußt, freudig die Flügel schlagend und seinen Geschwistern stolz zuklappernd, froh das Gefürchtete unternommen und ausgeführt zu haben, während jene noch zaudern. Das flößt diesen Muth ein, und bald bestehen auch sie mit Hülfe der ausgebreiteten Flügel den kühnen Sprung aus dem Neste auf’s Dach. Nun lassen ihnen die Alten keine Ruhe mehr, sie müssen mit ihnen sich in die Luft erheben. Freilich nimmt sich dieser erste Ausflug etwas lächerlich aus. Die kleine Schaar flattert noch ängstlich hierhin und dahin, mit dem Fliegen will es sich nicht gleich machen. Sie weiß nicht, soll sie das Kühne unternehmen, den Flug nach oben zu heben, oder soll sie nicht lieber in die Tiefe sich wenden, wo der feste Erdboden eine sicherere Stütze bietet, als die balkenlosen Räume der Luft. Wie mag ihnen in dieser Unbeholfenheit das kleine laufen lernende Kind, von sorgsamer Mutterhand geleitet, beneidenswerth erscheinen! Doch es hilft nichts, sie müssen vorwärts nach oben, so wollen es die Eltern. Und versucht nun Eins oder das Andere den Kreis des Vaters nachzufliegen, so ist es doch gerade, als ob überall Ecken dem kleinen Ungeschick im Wege wären, an denen er ohne Anstoß nicht vorüber gelangen könnte. Es mag wohl dieser prächtige, majestätische Flug bald in weit, bald eng gezogenen Cirkeln, wie wir ihn an den Störchen und einigen andern Vögeln so gern betrachten, nicht ganz leicht sein, wenigstens müssen ihn die Jungen Wochen lang studiren, ehe sie so weit Fortschritte machen, daß die Alten die häufigen und strengen Uebungen einstellen, und die Jugend sich mehr selbst überlassen. Streng aber sind in ihrem Unterricht Vater und Mutter. So ein kleiner Bursche mag nur mehrere Male den begonnenen Kreisbogen durch eckige Bewegungen nach rechts oder links ungehörig vergrößern oder verkleinern, schnell ist Mama oder Papa bei der Hand, den kleinen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 332. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_332.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)