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Seite:Die Gartenlaube (1857) 318.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

So war denn alle Spur verschwunden und nur das liebliche kleine Mädchen geblieben. Begeben wir uns zu ihm in das Amthaus, und untersuchen zuvörderst – denn es ist ja ein Mädchen – dessen Toilette. Das Kind, sagt das amtliche Protokoll, lag auf einem Federkissen von grau- und weißgestreiftem Barchent mit weißleinenem Ueberzuge. Das Bett war um den Leib des Kindes mit einem weißleinenem Tuche zusammengebunden, und über das Tuch eine gestrickte baumwollene, vier Ellen lange Binde gewickelt.[1] Oben zur Seite des Kindes lag im Bett ein Nutschbeutel (sogen. Zulp) mit klarem Zwieback. Bekleidet war das Kind mit einer Mütze von rosafarbenem Atlas mit einem Vorstoße von weißem Schwan und einem schmalen, rosafarbenen Blondenbesatze, darunter befand sich ein anderes kleines Mützchen von weiß genähtem Grunde, mit einem breiten Mullstreifen und schmalem Rosaband besetzt. Unter dem Kinne lag ein Stück weiße Leinwand. Um den Hals war ein feines baumwollenes Tuch gebunden. Das Kind trug überdies ein Käppchen mit Aermeln von weißem Piqué, und darunter ein Hemdchen von weißem Kattun mit einem Halsstreifen von Gaze.

Der hinzugezogene Amtsphysicus, Medicinalrath K., fand das Kind vollkommen gesund, durchaus tadellos, wohlgenährt, mit schönem Kopfe, und schätzte sein Alter auf vierzehn Tage, was mit der Angabe in dem Briefe der Mutter übereinstimmte. Jetzt galt es, für die Verpflegung des Fundes zu sorgen. Diese fand sich bald. Die Frau des in Ronneburg stationirten Gensd’amen B., welche acht Tage zuvor entbunden worden war, unterzog sich bereitwillig der Wartung und Pflege des Findlings, welcher am 1. März auf den Namen Ida Thurecht Ottilie[2] getauft und in der Person eines sehr geachteten Mannes, des damaligen Advocaten und Gerichtsdirectors J., einen Vormund bestätigt erhielt, wie denn überhaupt vom Amte und Stadtrathe mit lobenswerther Sorgfalt des Kindes sich angenommen wurde, bis am 23. März in Folge der ergangenen öffentlichen Aufforderungen ein Menschenfreund sich für das kleine Wesen fand, ein wahrer Engel vom Himmel gesendet, dem lieblichen Kinde das zu ersetzen, was es nur vierzehn Tage genossen hatte, Mutter- und Elternliebe.

Der Kaufmann B. in dem benachbarten sächsischen Städtchen N., selbst kinderlos, entschloß sich mit seiner gleichgesinnten Gattin, nach vorher gepflogener schriftlicher Verhandlung mit dem würdigen Superintendenten S., sich des Kindes anzunehmen. Die Unterhandlung war kurz. Der Stadtrath, dem die Sorge für das Kind oblag, und der Vormund willigten ein; – B. machte nur die Bedingung, daß das Kind seinen Namen führe, und so erhielt B., jedoch „bis jetzt blos auf unbestimmte Zeit“, dasselbe zur unengeltlichen Erziehung ausgeantwortet. Die B.’schen Eheleute wurden ihm liebende sorgsame Eltern.

Seit dieser Zeit sind sechszehn Jahre verflossen. Der Pflegevater B. wendete sich von da nach P. und später nach G. in Böhmen. Ueberall hin folgte ihm sein liebes Pflegekind. Es gedieh dasselbe an Geist und Körper, und die trefflichsten Censuren seiner Lehrer über Kenntnisse, Fleiß und Sitten liegen uns vor. Das Findelkind ist zu einer Jungfrau herangewachsen, die durch ihr Aeußeres, wie ihr feines, würdevolles und doch bescheidenes Betragen sofort einnimmt. Bis in die neuere Zeit wußte Clara – so wollen wir das Pflegekind nach dem Wunsche der unbekannten Mutter nennen – nicht anders, als daß die B.’schen Eheleute ihre Eltern seien. Ein Zufall zerstörte ihren Traum, aber nicht das beiderseitige wahrhaft zärtliche Verhältniß, ja es fesselte die Entdeckung Clara noch mehr an die treffliche Familie, da sie bei ihrem hellen Verstande und dankbaren Gefühle bald übersah, was das B.’sche Ehepaar, ohne dazu verpflichtet zu sein, an ihr gethan, und welchen Dank sie ihm schulde. Wohl aber mußte es B. sich sagen, daß er, bei seinen vorgerückten Jahren und ohne besonderes Vermögen, Clara über lang oder kurz würde hülflos zurücklassen müssen, und diese dann auf derselben öden Stelle, wie vor sechzehn Jahren, stehen würde. Darum suchte der treue Pflegevater dem Mädchen eine sichere und selbständige Zukunft zu begründen, und trat mit der Direction einer der ausgezeichnetsten sächsischen Anstalten für Fortbildung junger Mädchen in Unterhandlung, welche denn auch mit der anerkennenswerthesten Humanität und Bereitwilligkeit, obschon das Mädchen und deren Pflegeeltern Ausländer sind, sich zur Annahme der Ersteren gegen einen bis auf die Hälfte herabgesetzten Beitrag auf die Dauer von drei Jahren verstand.

Dieser Beitrag und die übrigen Bedürfnisse waren bald durch Subscription einiger unserer Verwandten, Freunde und Bekannten, sowie durch eine dankenswerthe Subvention der städtischen Behörde zu Ronneburg gedeckt, und so befindet sich denn seit dem Mai Clara in der trefflichen Anstalt, um dereinst als Erzieherin oder sonst in passender Weise der Welt nützlich zu werden, wozu ihre herrlichen Anlagen und feinen Sitten die gerechteste Aussicht gewähren.

Wer ein Interesse an dem Schicksale des Mädchens hat und über Herkunft und Geburt desselben etwas Bestimmtes nachweisen kann, dem werden wir die gewünschten Mittheilungen machen. Unsere Adresse aber wird ihm die Redaction dieser Blätter geben.

G. A.




Bilder aus den Donaufürstenthümern
Nr. 2. Silistria und die Fahrt auf der Donau.

Unser militärischer Correspondent erzählt weiter: „Auf meiner Fahrt von Turnu Severin nach Ibraila berührte der Dampfer unter andern interessanten Punkten auch Silistria. Im Augenblick der Landung erfuhr ich vom Schiffscapitain zu meiner großen Befriedigung, daß viel Frachtgut aus- und einzuladen sei und mir somit Zeit genug zur Verfügung stehe, um die Festung zu durchstreifen, die in verschiedenen Epochen, namentlich aber in dem Feldzuge von so oft besprochen und dadurch zu einem in fortificatorischer Einsicht nicht ganz verdienten Rufe gekommen ist. Mit eigenthümlichen Gefühlen, mit einer Art wohlthuenden Schauers betrat eine Gesellschaft von Passagieren des Dampfers den Boden, worauf sich so Merkwürdiges zugetragen, der so viel Blut getrunken, und zum Schauplatz schöner Heldenthaten gedient hat. Alle gingen in die Stadt, ein Andenken an Orient und Türkenthum, oder Geschenke für Verwandte und Freunde im fernen Europa einzukaufen, Ich sage, im fernen Europa, denn mit wahrhaft stoischer Verachtung aller Civilisation und völliger Ergebung in das Schicksal der Culturlosigkeit sprechen nicht nur Türken, sondern auch Walachen von Europa jederzeit als einem Erdtheil, zu dem sie nicht gehören und der nach ihren Begriffen erst jenseits der österreichischen Grenzen beginnt. Ich schweige von dem sehr matten Eindruck, den Silistria mit seinen tief eingesunkenen, kaum über den Grabenrand hervorsehenden, sehr schadhaften Umfassungsmauern, mit seinen nur zur Noth in der Eile durch Schanzkörbe und Faschinen verbesserten Brustwehren, mit seinen verschütteten Gräben als militairischer Punkt auf mich gemacht hat. Ich unterlasse es, über den Bildungsgrad einer Armee zu urtheilen, die vor einem so elenden Reste, dem nur die Paar detachirten, auf den benachbarten Höhen gelegenen Forts und der Donaustrom, als bedeutendes Hinderniß der Annäherung in der Fronte einen Schein von Festigkeit verleihen, monatelang liegen konnte, ohne die geringsten Erfolge zu erzielen.“

Was unser Officier verschweigt, dürfen wir aber doch wohl unsern Lesern nicht vorenthalten. Silistria, die Hauptstadt des gleichnamigen Sandschaks in Bulgarien, an dem Einflusse der Drista in die Donau gelegen und vor dem letzten Kriege von 20,000 Menschen bewohnt, ist eine etwa so befestigte Stadt, wie es deren vor der Ausbildung der Artillerie-Wissenschaften in Deutschland ungemein viele gegeben hat; ja in einer Hinsicht steht sie noch unter den primitiven Vertheidigungswerken früherer Zeiten zurück, da der sie umgebende Graben auf keine Weise unter Wasser zu setzen ist. Er liegt nämlich über dem Donauspiegel und

  1. So sorgfältig auch diese Verpackung war, so dürfte sie doch zu einem Schutze gegen die Kälte eines Februarabends bei einem Fußtransporte von Gera nach Ronneburg schwerlich ausgereicht haben.
  2. Warum diesen Name, sehen wir um so weniger ein, als der von der Mutter angegebene Name doch möglicher Weise einer Erkennung führen konnte. Die herzogliche Landesregierung zu Altenburg machte indeß dieses Versehen wieder gut, indem dieselbe unterm 14. August 1811 verordnete, daß der von der Mutter gewünschte Name nachträglich an der betreffenden Stelle des Kirchenbuchs noch eingetragen werden solle.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_318.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)