verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
|
den beiden Bildern verkörpert entgegen, die schöne, lebenslustige Königin, Tochter Maria Theresia’s, auf den ersten Thron der Welt berufen, mußte ihr blondes Lockenhaupt unter dem Beil des Henkers beugen; sie wurde vor ein Tribunal geschleppt, die Frauen der Halle saßen auf den Gallerien und genossen mit Triumph das seltene Schauspiel, eine Königin angeklagt und gerichtet zu sehen. Sie haßten in Maria Antoinette das lebendige Herrscherthum, die Aristokratin, die Oesterreicherin. Ganz in ihrer Nähe hängt derselbe Mirabeau, welcher mit seinen Donnerworten die Pforten der Revolution aufgesprengt und das absolute Königsthum durch die Kraft der bloßen Rede niedergeschmettert hat. Maria Antoinette haßte anfänglich diesen Mann, später suchte sie ihn zu versöhnen und, wie behauptet wird, durch Geld und Schmeicheleien zu bestechen. Es war zu spät; selbst ein Mirabeau vermochte nicht mehr die durch ihn hervorgerufene Revolution in ihrem Laufe aufzuhalten, selbst wenn er es gewollt hätte, denn die Ereignisse sind mächtiger, als der Mensch. Mirabeau’s Gesicht zeigt eine wahre geniale Häßlichkeit; er selbst schrieb an eine Dame, welche wissen wollte, wie er aussehe: „Madame, stellen Sie sich einen Tiger vor, der von den Blattern zerfressen ist.“ Sämmtliche geschilderte Portraits sind von größter Bedeutung für die neuere Geschichte und werden wie Heiligthümer bewahrt.
Noch unter dem mächtigen Eindruck dieser großen historischen Erinnerungen verließen wir den Louvre, um auch den Tuilerien einen kurzen Besuch abzustatten. Der Anblick war entzückend. Welch eine Masse von herrlichen Gebilden! Wenn man sich an die Seite des Triumphbogens stellt, und die ganze Flucht der beiden neuen Flügel übersieht, bis dort, wo sie sich im Hintergrunde dem alten Louvre anschließen, so wird es schwer, sich von dem überwältigenden Totaleindrucke loszureißen und dem Einzelnen seine Aufmerksamkeit zu schenken. Der kleinste Theil dessen, was wir nur flüchtig erfassen, würde genügen, um bei genauerem Eingehen Stunden und selbst Tage auszufüllen. Nichts wiederholt sich hier und doch steht jedes Einzelne mit dem Ganzen in genauestem Einklang; jeder Marmorbogen zeigt neue Formen, jeder der sechs zu drei und drei sich gegenüberstehenden Pavillons vereinigt eine Fülle der zierlichsten Arbeiten des Architekten und Bildhauers. Es ist eine Unmöglichkeit, die unzähligen historischen und symbolischen Bezüge zu verfolgen. Vor Allem aber fesseln uns durch ihre imposante Größe und Stellung die zwei Pavillons Turgot und Mollier, welche als Eckpfeiler der beiden Flügel zuerst in’s Auge fallen. Was Säulenschmuck, Reliefgebilde und Sculpturen Reizendes zu bieten vermögen, das ist hier auf einem Punkte verschwendet. Das Schönste sind unstreitig die Arcaden, welche die Flügel rings umgeben und die Zwischenräume der Pavillons zur vollkommensten Befriedigung ausfüllen. Säulengetragene Marmorbogen mit reichbelaubten Capitälern, weiterhin die herrlichsten Rosetten mit sinnigen und zarten Reliefs abwechselnd, endlich der vorragende Schmuck des Frieses winden um die ganze Mitte des Baues einen üppigen, marmornen Blumenkranz, aus welchem der Palast erst prachtvoll in die Höhe steigt. Ueber den Arcaden stehen in langer Reihe die ernsten Gestalten der größten Männer und Genien Frankreichs im Costüme ihrer Zeit. Endlich schauen vom Dachfriese symbolische Figuren und niedliche Amorettengruppen; dazwischen erscheint der dunkelblaue Schiefer, und coquette Schlote und Rauchfänge erheben sich keck in die Luft, wie schlanke Federbüsche auf stählernen Helmen.
Während wir noch in Bewunderung versunken dastanden, rollte aus dem Thore eine Reihe von Hofwagen an uns vorüber. Goldbordirte Garden trabten vorauf, in scharlachrothen Reiterjacken und weißen Kappen. Ein höherer Offizier ritt rechts neben der zweiten prächtigen Carosse; die Gardinen waren zurückgeschlagen und drinnen saßen zwei Frauen, eine Hofdame, neben ihr eine kräftige Amme im burgundischen Landescostüme, auf ihrem Schooße ruhte ein lächelndes Kind in himmelblauen Sammet gekleidet; l’enfant de France, der Sohn des Kaisers. Die Pariser Straßenjugend schrie aus voller Kehle: vive le prince! wie sie einst à bas Napoléon, à bas les Bourbons und vive la république gerufen.
Wir sahen den glänzenden Zug vorübersausen, und nahmen von dem Louvre und den Tuilerien Abschied, welche bereits so viele wechselnde Geschicke der Könige gesehen. Im Stillen drängte sich uns die Frage auf: Wo wird einst dieses Kind sein Haupt niederlegen?
Ein zahmer Schmetterling. An einem kalten, düstern Novembermorgen,
dem Monate des Selbstmords in England, wenn der Himmel wie ein
aschiger, feuchter Sack über trägem, dichtem Nebel hängt, ging eine
zarte Dame zum ersten Male wieder aus ihrem Krankenzimmer in einen
anstoßenden Raum, wo sie vom Fenster draußen mit der Empfindung eines
Genesenden, sich nach Außen Sehnenden einen heitern, bunten Schmetterling
bemerkte. Erstaunt, die zarte Creatur der Blumen und des Sonnenscheins
in einer so traurigen Situation zu finden, beobachtete sie dessen Bewegungen
und Operationen. Manchmal brach die Sonne etwas durch und
glänzte und wärmte einige Minuten an den Scheiben. Jede dieser kostbaren
Minuten benutzte die aus Sonnenschein und Blumenduft gewobene,
zarte, verspätete Creatur, um sich noch seiner letzten Augenblicke zu freuen.
Er flatterte lustig auf und gab so dem Zimmer inwendig und der schwachen
Dame einen warmen Anflug von Heiterkeit und Hoffnung. Gegen Abend
freilich war’s aus. Nasse, trübe Kälte wehte gegen das Fenster und das zarte
Gebild schien still darin zu ersterben. Die Dame bemitleidete ihn,
nahm ein warmes Glas, stellte es über ihn und nahm ihn dann im Glase
herein in’s warme Zimmer, wo er über dem Kamin übernachtete. Am
Morgen lag er anscheinend todt auf dem Boden des Glases. Die reconvalescente
Dame, bekümmert, daß die erste flatternde Fahne des Lebens
draußen, welche sie gestern begrüßte, das heitere Symbol der Unsterblichkeit
und der Auferstehung, so bald gestorben sein sollte, machte verschiedene Versuche,
sein zartes Leben wieder zu erwecken. Sie setzte ihn auf ihre warme
Hand und beathmete ihn. Diese warmen Lebenshauche waren bald von
Erfolg. Er regte sich und wurde in einem verdeckten Glase am offenen
Feuer bald wieder ganz lebendig und lustig. Als die Sonne gegen die
Scheiben glänzte, ward er herausgelassen, und das bunte, elegante,
kleine Wesen freute sich in seinem warmen Lichte jedes Strahles. Als die Sonne
verschwand, fiel das Thierchen wieder traurig zusammen auf den Boden.
Wieder in’s Leben gehaucht und warm übernachtet flatterte er den folgenden
Tag wieder lustig im Sonnenschein, bis er wieder anscheinend todt niederfiel.
So wechselten Tod und Leben mehrere Tage hinter einander, bis das
dankbare, kleine Wesen ganz zahm ward und seine Wohlthäterin zu kennen
schien. Wenn sie am Fenster ihre Finger hinhielt, flog oder kroch er selbst
darauf. Wenn sie las oder schrieb, blieb er oft Stundenlang an ihrem
Halse oder auf ihrer Hand sitzen. Er speiste und trank von ihrer Hand,
einen Tropfen Honig und einen Tropfen Wasser am Finger – alle zwei
oder drei Tage. So lebte der Schmetterling den ganzen Winter und einen
Theil des Frühlings hindurch als dankbare, graziöse Gespielin der Dame,
bis im April seine bunten Schwingen die Farbe verloren und durchsichtig
wurden. Die Sonne des Frühlings lockte ihn nicht mehr aus dem Glase.
Er saß ruhig dann, bis er eines Morgens ganz todt war.
Das erste Dampfschiff. Nach der gewöhnlichen Annahme wurde
das erste Dampfschiff 1809 in Schottland gebaut und wirklich damit gefahren,
aber von der englischen Presse und dem gebildeten Publicum niedergespottet,
so daß es verfaulte. Als es schon beinahe verfault war, kam
ein Amerikaner herüber, studirte es und ließ in New-York ein anderes
bauen, auf welchem er 1811 unter allgemeinem Hohne zum ersten Male
fuhr, aber mit Erfolg. Dies ist Alles richtig, aber das waren nicht die
ersten Dampfschiffe. Einmal hörte ich, über ein Jahrhundert früher sei
schon bei Nürnberg ein deutscher Professor mit einem Dampfschiffe gefahren,
aber ermordet worden. (Wer weiß etwas Bestimmtes darüber?)
Noch weiter zurück geht das Fahren mit Dampf in Spanien. Nach
Documenten der spanischen Geschichte von Señor Ravarrete („Geschichte
der vier Reisen des Columbus“), die sich auf Originale in Simanca beziehen,
steht es fest, daß im Mai und Juni 1543 von Blasco de Garay,
Marine-Capitain Kaiser Karl’s V., in Barcellona Versuche gemacht wurden,
„mit zwei Rädern, die von kochendem Wasser gedreht wurden,“ Schiffe
zu treiben, und am 17. Juni desselben Jahres Blasco de Garay mit
einem Dampfschiffe von 200 Tonnen Last in See gegangen sei und
eine Legua in der Stunde zurückgelegt hatte. Der berühmte Arago
sprach darüber 1828 in seinem „Annuaire du Bureau des Longitudes“
und meinte nur, daß es darauf ankäme, die Echtheit der von
Navarrete benutzten Documete zu prüfen. Seitdem ist aber
nichts in der Sache geschehen, so daß wir über eine noch neue,
in die gebildeten Zeiten der Schriftsprache und Zeitungen fallende, welthistorische
Erfindung noch nichts Positives wissen. Wie jetzt die Sachen
stehen, ist das erste Dampfschiff in Spanien, in Deutschland, in Schottland
und in Amerika gebaut worden, so daß die Erfindung in alle möglichen
Länder und in den Zeitraum dreier Jahrhunderte fällt. Wir wissen nur,
daß sie überall, wo sie zum ersten Male auftrat, vom gebildeten Volke und
den „Sachverständigen“ verhöhnt und niedergespottet ward, so daß die gebildeten
Völker und Sachverständigen die Rolle alter, fabelhafter Tyrannen
übernahmen, welche Erfindern die Augen ausstachen oder sie einmauern
oder morden ließen, damit die Erfindung nicht bekannt und auch Andern
nützlich werde. Völker und „Sachverständige“ müssen auch jetzt noch
auf ihrer Hut sein, daß sie in stolzem Unverstande des Bestehenden nicht
zu Henkern gegen den „Fortschritt“ werden.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_308.jpg&oldid=- (Version vom 26.5.2023)