verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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No. 22. | 1857. |
„Sie haben doch Ihr Versprechen gehalten, ihm dies Stillleben nicht zu verleiden?“ fragte Frau von Aßberg. „Unsere öde Gegend hätte Ihrem Spotte tausend Waffen gegeben! Ob Günther wohl gethan hat, sich so ganz von aller Berührung mit der Welt fern zu halten, ist eine andere Frage – ich hatte meine Zweifel darüber und habe sie ihm auch früher, ehe er unwiderruflich seinen Entschluß gefaßt hatte, oft genug ausgesprochen. Für Gemüther, wie das seinige, ist die Einsamkeit nicht immer von wohlthätigem Einflusse. Doch schwieg ich, als ich ihn selbst entschlossen sah, ließ ihn gewähren und – folgte ihm nach. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich mich hier ganz wohl befinde, und auch für Günther hoffe ich das Beste. Die angestrengte Thätigkeit, die er entwickeln muß, um etwas Besseres und Schöneres zu schaffen, als er hier vorgefunden hat, wird ihn auch geistig wieder stählen, und er wird glücklich werden. Sind Sie nicht auch dieser Hoffnung? Doch ich vergesse, daß Sie durch Beruf und Neigung der glänzenden großen Welt angehören und wohl nicht begreifen können, wie man unter irgend denkbaren Verhältnissen in einsamer Stille, wie hier, glücklich sein kann!“
Sie war nun ganz unbefangen, ein sanftes Lächeln erheiterte ihre anmuthsvollen Züge, ihr leuchtendes schwarzes Auge blickte voll und heiter auf Gebhard.
„Wenn mir ein Glück in stiller Einsamkeit blühen könnte –“ sagte er, und hätte sich vielleicht in diesem Moment, wo der Eindruck, den diese gefährliche Frau vom ersten Augenblicke an auf ihn gemacht hatte, überwältigend wurde, auf den hochgehenden Wogen seiner Erregung zu irgend einer Unvorsichtigkeit hinreißen lassen, wenn nicht zu rechter Zeit Günther eingetreten wäre. Er nannte ihn dafür, nachdem er im Laufe des Tages wieder kühlere Fassung gefunden hatte, seinen Retter, und gelobte sich nun, so bald als möglich abzureisen. Seine Mission war erfüllt. Er hatte seinen Freund gefunden, hatte wichtige Aufschlüsse gewonnen und auch gegeben, er hoffte, ihn in vieler Beziehung beruhigt zu haben. Nur die Episode, die sich in sein Hiersein geschlungen hatte, die Entscheidung über das Schicksal des Fräuleins von Nidau wollte er noch abwarten, um zu wissen, ob er seinerseits in der von Hassel angegebenen Weise etwas für sie auswirken könne. Indessen – sie war selbst in dem Hause des guten Gerichtsverwesers gewiß mehr an ihrem Platze und besser geborgen, als in irgend einem Stifte unter Damen, zu denen sie, wenigstens seiner Meinung nach, wegen ihrer mangelhaften Erziehung nicht paßte. Wenn sie wirklich so hübsch und so gut war, wie ihr Lobredner sie geschildert hatte, so fand am Ende Günther, der ja seine Solitüde nicht mehr verlassen wollte, in ihr eine treffliche Lebensgefährtin, die ihm gewiß eine schätzbare Praxis in der Küchen- und Milchwirtschaft mitbrachte. Wir sehen, die Anfechtung, welche den Grafen seinem eigenen Selbst zu entfremden gedroht hatte, war glücklich überwunden.
Mit Günther war es umgekehrt. Es schien wirklich einen Moment, als habe die erfrischende Rede des Freundes die gehoffte Wirkung gehabt; Frau von Aßberg gewahrte mit Entzücken im Antlitze ihres Sohnes, das vor ihr stets wie ein aufgeschlagenes Buch lag, einen lange vermißten Schimmer der Freudigkeit. Als Hallstein sich Abends von ihnen getrennt hatte, nahte Günther seiner Mutter mit verklärtem Angesicht und sagte:
„Der Glaube ist das Fundament der Liebe! Ich glaube fest an Dich, meine geliebte Mutter!“
Sie küßte ihn, von diesen räthselhaften Worten ergriffen, und fragte nach ihrer Bedeutung. Aber er ließ sich nicht weiter darüber aus. Konnte er ihr gestehen, daß Walrode’s böse Worte, die er sterbend, obgleich ihn Günther darum beschworen, nicht widerrufen hatte, dennoch in seiner Seele Zweifel geweckt, die sein Leben in dem heiligsten Gefühle vergiftet hatten? Nun aber, durch ein Wunder gleichsam, das Gebbard unwissend bewirkt, war er darüber in Frieden gekommen; und die Freudigkeit, welche seine Mutter bemerkt hatte, schien auch sein Aeußeres zu verwandeln, der Haltung die alte Stattlichkeit, dem Gange die Elasticität zurückzugeben. Doch war diese Wandlung nicht bleibend. Nach zwei Tagen schon trat wieder der alte trostlose Ernst hervor, der sich nicht bannen ließ und seinem sonst so wohlgebildeten Antlitze die Jugend vor der Zeit geraubt hatte! Umsonst, daß jetzt, wo es zwischen ihm und dem Freunde kein Geheimniß mehr war, welchen Vorwurf er sich machte, Gebhard und die Mutter sich vereinigten, denselben zu entkräften. Er hielt fest daran, daß, wenn auch die Welt ihn freisprechen würde, er doch die Blutschuld im Bewußtsein trage, denn, zugegeben selbst die Entschuldigung des Zweikampfes ohne Zeugen, bleibe unvertilgbar die Gewißheit, daß sein Gegner sich nur verblutet, weil kein Arzt zugegen gewesen sei. Das setzte er mit so gründlicher Darstellung auseinander, daß man ihm ansah, wie er darüber gegrübelt hatte, und – leider kämpfte hier seine Mutter nicht mit den Waffen der eigenen Ueberzeugung. Sie hatte ja auch von Hallstein nur erwartet, daß er ihn trösten werde.
Da kam der Gerichtsverweser wieder nach Berga. Er war mit Frau und Töchtern in Allweide zum Begräbniß gewesen und diese hatten die Lenchen, wie er das Fräulein zum Verdrusse des
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_297.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)