verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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No. 20. | 1857. |
Auf diese Nachrichten hin hatte es Graf Hallstein unternommen, seinen Freund, ohne sich anzumelden, in seiner Abgeschiedenheit zu überfallen und sich mit eigenen Augen zu überzeugen, ob die Frau, deren geheime Schuld er zu kennen glaubte, wirklich dem Bilde gleiche, das man ihm von ihr entworfen hatte, das aber zugleich ganz unbegreiflich machte, wie Frau von Aßberg einst das Herz seines Bruders mit so dämonischer Gewalt habe fesseln können. Er hatte sie nun gesehen und Alles, was er soeben über jene verhängnißvolle Zeit vernommen hatte, beschäftigte seinen Geist, während er allein vor der Thüre unter den drei jungen Linden saß, mit unablässigen Gedanken, wie sich das Schicksal der ihm Nahegestandenen anders gefügt haben würde, wenn Oberst Aßberg früher gestorben und seine Wittwe dem Zuge ihres Herzens gefolgt wäre, dann lebte sein Bruder gewiß noch und Günther hätte sich, wie er den edlen Waldemar gekannt, nicht über den Stiefvater zu beklagen gehabt, der seine Mutter glücklich gemacht hätte. Jetzt aber – noch hatte Gebhard nicht zu ergründen vermocht, wie weit sich die Herrschaft der Frau von Aßberg über ihren Sohn, von welcher ihm eine wahrhaft beängstigende Schilderung gemacht worden war, erstreckte, doch glaubte er daran; ihr ganzes Wesen, selbst gegen ihn, den Mann von dreißig Jahren und einer Stellung in der Welt, hatte ihn überzeugt, daß es nicht leicht sei, einen Widerspruch gegen ihre Wünsche durchzusetzen. Und diese Macht, wie er auch bekennen mußte, bestand nicht in einer nur entfernt an die ihm entworfene falsche Schilderung streifenden, äußern Entschiedenheit des Auftretens, sondern mehr in einer feinen Unnahbarkeit, in der sieghaften Gewalt ihres schönen Auges. –
Es ruhte in diesem Moment auf ihm, er mußte aufblicken und sah in diesem Moment Frau von Aßberg, welche, ein Körbchen am Arm, wiederum den Gang aus dem Garten daher geschritten kam, wo er sie kurz zuvor, als er mit seinem Freunde nach seiner Ankunft kaum einige Worte gewechselt, zum ersten Male gesehen hatte. Damals hatte sein Auge mit Vorurtheil mehr kritisch, als wohlwollend ihr entgegen geschaut, er hatte sie, befangen von den Mittheilungen, die er früher und jetzt über sie erhalten hatte, gemustert, halb entschlossen, ihr als Feind entgegenzutreten – wenn auch nicht, der Diplomat hielt es für gerechtfertigt, mit offenem Visir; er hatte gemeint, es sei keine schlechte Vergeltung, wenn er ihr auch den Sohn raube, den er zu seinem eigenen Heil einem freiern und würdigern Loose zuführen wolle, als im Mannesalter unter entnervender Botmäßigkeit einer Frau zu stehen. Aber dieser Gedanke war nicht aufgekommen und sein Vorurtheil schon erschüttert worden durch ihren äußern Anblick, welcher gleich die boshafte Schilderung desselben Lügen strafte. Jetzt aber konnte er sie nicht einmal mehr mit der weltmännischen Ruhe kommen sehen, die ihn doch sonst über alle „Emotionen“ zu stellen pflegte.
Frau von Aßberg hatte aus der Kirschallee in einen Nebenpfad biegen wollen, zu einer weitern Partie des Gartens, wo die Fenster eines Gewächshauses blitzten, als sie aber den Gast allein vor der Thüre sitzend erblickte, gab sie ihr Vorhaben auf und kam zu ihm her: er stand rasch auf und ging ihr entgegen. Auch jetzt musterte er sie und waffnete sich absichtlich mit scharfem Blick für die Mängel, die er an ihrer Erscheinung suchte. O, sie war nur von Weitem noch jugendlich, weil sie eine elegante Haltung, einen schnellen und leichten Gang hatte, wie konnte er die Spuren der Jahre auf ihrem wenn noch so gut conservirten Gesicht übersehen!
„Sind Sie allein, Graf Hallstein? Was müssen Sie von uns denken?“
„Daß Sie mich als einen Freund des Hauses betrachten, gnädige Frau, und darum keine Störung durch mich eintreten lassen. Günther – ich darf ihn doch auch gegen Sie so nennen? – wurde durch einen kleinen, starken Herrn abgerufen, und ich rüstete mich eben zu einer Promenade, die nähern Umgebungen des Schlosses kennen zu lernen.“
„Des Schlosses!“ wiederholte Frau von Aßberg lächelnd, indem sie mit einer anmuthigen Handbewegung auf das Wohnhaus deutete. Es war nur einstöckig, mit einem unschönen, giebelartigen Mittelbau, der ein paar Oberstuben enthielt, gelb angestrichen, und machte dem Geschmacke des früheren Erbauers wenig Ehre. „Mein Sohn hat aber wirklich die Absicht,“ fuhr die Dame fort, „noch in diesem Sommer den Bau eines Schlosses zu beginnen, an einer andern Stelle natürlich, da wir sonst obdachlos wären. Er hat sehr schöne Risse dazu gezeichnet, denn Sie wissen wohl, daß er mit Vorliebe architektonische Zeichnungen entwirft. Vielleicht rathen Sie ihm, damit er unter seinen verschiedenen Plänen den besten wählt.“
„Ich habe darin wenig Urtheil, und würde vielleicht sehr unpraktisch rathen. Gewiß hat auch wohl Günther schon Ihre Entscheidung gesucht.“ Er sagte das leicht hin, aber mit voller Absicht, es war der erste Schritt, den er auf das unsichere Terrain, das er untersuchen wollte, that, und er fühlte Kopf und Herz in diesem Momente ganz kalt. Sein Auge ruhte sogar prüfend auf ihren Zügen und forschte nach den schärfern Linien, welche die Zeit doch unbestritten um Kinn und Mund gezogen haben mußte.
„Meine Entscheidung, Graf Gebhard?“ erwiderte Frau von
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_273.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)