verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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Die Blicke Europa’s, welche seit 1853 mit Spannung auf den Orient hingerichtet waren, halten dort gegenwärtig vornämlich noch einen Punkt fest: wir meinen die Donaufürstenthümer, über deren staatliche Gestaltung und innere Einrichtungen in nächster Zeit wichtige Entscheidungen erwartet werden. Eine Erörterung der schwebenden politischen Streitfragen liegt nicht in der Aufgabe dieser Blätter, allein während diese verhandelt werden, wird sich doch Jedermann bewußt bleiben, welche wichtigen Interessen Deutschlands hierbei auf dem Spiele stehen. Der größte deutsche Strom, welcher in Folge der Kriegsereignisse von allen lange getragenen Fesseln befreit worden ist, bildet in seinem unteren Laufe die Grenze zwischen den Donaufürstenthümern und den unmittelbar türkischen Ländern. Er mündet in das schwarze Meer, welches seit den ältesten Zeiten für den Handel von der äußersten Wichtigkeit gewesen ist, da über dasselbe hinweg ein großartiger Warenaustausch zwischen Europa und dem innern Asien stattgefunden hat. Mit Jason, der die Schätze von Kolchis erbeutete, eröffneten die Griechen ihre dortigen Unternehmungen, die bei fortschreitender Gesittung nicht auf Raubzüge, sondern auf Colonisation und friedlichen Verkehr hingerichtet waren. In späteren Zeiten erwarben Genua und das mit ihm wetteifernde Venedig in jenen Gewässern ihre Reichthümer, bis die türkische Herrschaft den Weg zu solchen fruchtbringenden Unternehmungen verschloß.
In unserem Jahrhundert hat man angefangen, die so lange verschütteten Quellen dieses einträglichen Verkehrs wieder aufzugraben, und beim Beginn des orientalischen Krieges wurden in dieser Beziehung große Erwartungen angeregt. Der Pariser Frieden hat sie nur mangelhaft erfüllt, dennoch ist es von Wichtigkeit, daß nicht auch dasjenige, was er bewirkt hat, wieder verloren gehe. Der Krieg führte einen unermeßlichen Goldstrom in jene Gegenden, der, verständig benützt, zur Hebung der Länder am schwarzen Meere viel beitragen muß. Ein mächtiger Anstoß ist gegeben worden und der englische Unternehmungsgeist will dessen Schwingungen dauernd erhalten. Er verwendet große Capitalien zur Anlegung von Banken, Eisenbahnen, Fabriken und Bergwerken. Die Bevölkerung ist mit neuen Bedürfnissen bekannt geworden und verlangt, sie zu befriedigen. Daß die Mittel dazu vorhanden sind, sehen wir in Leipzig an den Messen der letzten Jahre. Die orientalische Kundschaft erlangt eine steigende Bedeutung und kauft weit beträchtlichere Waarenmassen als Nordamerika. In den Tafeln der Ein- und Ausfuhr von Oesterreich repräsentiren die türkischen Länder die wichtigste Ziffer. Um den Vorrang der Dampfschifffahrt im schwarzen Meere streiten sich Oesterreich, England, Frankreich und Rußland, und die Regierungen aller dieser Länder bringen erhebliche Opfer, um Privatunternehmungen zu unterstützen. Das alles sind deutliche Fingerzeige, welche unsere Theilnahme an der Aufrechthaltung und Erweiterung des freien Verkehrs in jenen Gegenden wach erhalten.
Es ist jedoch nicht zu übersehen, daß sich in den Donaufürstenthümern wichtige Niederlagen von Erzeugnissen des deutschen Gewerbfleißes und die Vermittler ihres weiteren Absatzes nach der Türkei und nach Asien befinden. Für unmittelbare Verbindungen nach entfernteren Gegenden fehlt in Deutschland zumeist die Sicherheit, das Vertrauen, die genaue Bekanntschaft. Die großen Handelshäuser in Bukarest, Galacz, Braila besitzen dagegen altbegründete Verbindungen. Sie kennen die besten Absatzwege, sie wissen, wem sie Credit geben, wie weit sie denselben ausdehnen können, und sind mit den schwankenden Geldverhältnissen in den Plätzen des Morgenlandes vertraut. Wir würden daher nützliche Zwischenhändler verlieren, wenn solche Verhältnisse in den Donaufürstenthümern Platz greifen sollten, die dem deutschen Einflusse in diesen Ländern nachtheilig wären.
Doch auch in anderer Hinsicht haben diese Provinzen für uns eine vielversprechende Zukunft. Oesterreichische Ingenieure sind mit der Vermessung und der Chartographirung der Donaufürstenthümer beschäftigt gewesen und sind es noch. Sollten ihre Arbeiten in die Oeffentlichkeit gelangen, so würde die geographische Kenntniß dieser Länder eine dankenswerthe Berichtigung erfahren. Den zeitherigen Angaben zufolge hat die Walachei einen Flächenraum von 1330,22, die Moldau mit Hinzurechnung des zurückerhaltenen bessarabischen Gebiets von 940,68, Quadratmeilen. Jene besitzt eine Bevölkerung von 2,600,000, diese von 1,580,000 Seelen. Durchschnittlich kommen also etwa 1889 Menschen auf die geographische Geviertmeile. Diese dünne Bevölkerung entspricht der Landesbeschaffenheit um so weniger, als die ganze Fläche der Donauebene, ein trefflich bewässertes Land, von der äußersten Fruchtbarkeit ist. Obgleich es an einem thätigen und rationellen Betriebe des Feldbaues gänzlich fehlt, sind die Ernten doch so reich, daß die Getreidemärkte des Abendlandes von daher regelmäßig und stark versorgt werden können.
Die Karpathen aber sind mit den prächtigsten Wäldern bewachsen und verwahren einen großen, bis jetzt unaufgeschlossenen metallischen Reichthum. Salz und Vieh können die Donaufürstenthümer in Ueberfluß liefern, und viele Gegenden erzeugen Weine, welche den ungarischen den Vorrang streitig machen und bei angemessener Cultur ein edles Product in Masse auszuführen vermöchten.
Wenn irgend wohin die deutsche Auswanderung sich leicht und mit Erfolg wenden könnte, so wäre es nach den Ländern der unteren Donau. Ehe dies aber geschehen könnte, müßten dort Einrichtungen geschaffen werden, wie solche dem deutschen Geiste entsprechen. Der Grundbesitz findet sich in den Händen des Adels oder der Klöster, der Bauer dagegen in einer Lage, welche den Zuständen in Rußland entspricht, oder sie übertrifft. Die Sclaverei der Zigeuner ist in Folge des orientalischen Krieges gebrochen worden, die Leibeigenschaft des christlichen Landvolkes hat dagegen noch keine Erleichterung erfahren. In dieser Hinsicht müßte also eine durchgreifende Aenderung eintreten, und das Absehen der österreichischen Regierung ist dahin gerichtet, daß die Grundentlastung nach demselben Princip bewirkt werde, welches im Kaiserstaate zur Anwendung gekommen ist.
Ferner müßte in den Städten ein Bürgerthum nach deutschem Vorbilde geschaffen werden. Deutsches Stadtrecht wurde im Mittelalter weithin, besonders in die Länder an der Ostsee, getragen; möge es in unsern Zeiten gelingen, unsern Stadtverfassungen Geltung in der Richtung nach dem schwarzen Meere hin zu verschaffen.
Das Alles hängt aber mit der bevorstehenden Organisation der Donaufürstenthümer zusammen. Im ganzen Laufe ihrer Geschichte sind die Walachei und Moldau nie staatlich verbunden gewesen. Es würde uns zu weit führen, das Ringen der Völker um den Besitz der Länder an der unteren Donau in der Vorzeit zu schildern. Sowohl die Walachei als die Moldau hatte es endlich zu einer selbstständigen Herrschaft gebracht, die aber der vordringenden türkischen Macht nicht zu widerstehen vermochte; allein die Woiwoden beider Länder waren staatsklug genug, nicht das Unmögliche zu versuchen. Durch eine freiwillige Unterwerfung unter türkische Lehnsherrschaft sicherten sie sich und ihren Unterthanen erhebliche Gerechtsame, ohne dem Mißbrauch türkischer Gewalt einen hinreichenden Damm entgegen stellen zu können. Daher war es begreiflich, daß die russischen Heere, als sie zuerst siegreich den Boden der Donaufürstenthümer betraten, freudig begrüßt wurden. Gleichheit der Religion war allein schon ein mächtiges Band, welches die Rumänen mit Rußland verknüpfte. In Petersburg war es jedoch immer mehr die Eroberung, als die Beschützung der Donaufürstenthümer, welche im Auge behalten wurde. Schon Katharina II. ließ sich 1770 huldigen, gab aber im Frieden von Kutschuk-Kainardschi diese Länder der Pforte zurück, was jedoch nicht ohne mehrfache Stipulationen zu Gunsten derselben geschah. Im Jahr 1812 wurden nur durch die Bedrängnisse Rußlands in Folge der französischen Invasion die Donaufürstenthümer der Pforte gerettet, und eben so war es in dem am 2/14. Septbr. 1829 zu Adrianopel geschlossenen Frieden nicht die Großmuth des Siegers, sondern die gefährliche Lage, in welche sich Graf Diebitsch durch den Balkanübergang versetzt hatte, welche die völlige Eroberung der Moldau und Walachei verhinderte.
Unter den Formen eines Protectorats machte sich seitdem das russische Uebergewicht geltend. Was man in Petersburg wollte, ward Gesetz; als aber im Jahre 1848 in der Moldau ein kraftloser, in der Walachei ein nachdrücklicherer Versuch gemacht wurde, das russische Joch abzuschütteln, schob man in Petersburg die bis dahin sehr unbeachtet gelassene Oberherrlichkeit des Sultans vor, um daraus die Pflicht abzuleiten, seine „Souveränität,“ die er übrigens nie besessen, aufrecht zu halten. Die Pforte wurde gegen ihre Absicht und ihr Interesse bewogen, die gestörten Verhältnisse
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_267.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)