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Seite:Die Gartenlaube (1857) 264.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

mit Strafarbeiten, Ausschließung aus dem Schulgarten, mit Carcer, mit Degradation oder aber – bei wichtigen Vergehen – mit Exclusion. Nachdem der Angeklagte vor der Schulsynode mit seiner Vertheidigung gehört ist und das Lehrercollegium sich berathen hat, wird ihm das Erkenntniß durch den Rector sofort publicirt. Wenn aber die Beschlußuahme des Collegii auf Exclusion geht, so wird dieselbe nicht sogleich mitgetheilt, sondern „procrastinirt“ und in einer spätern Session einer nochmaligen Berathung unterworfen, deren Resultat dann entscheidend ist.

Seit den letzten vier Decennien sind Disciplinarvorfälle, die eine exlusio cum infamia zur Folge gehabt, immer weniger geworden. Wohl nicht mit Unrecht schreibt man dies hauptsächlich dem eigenthümlichen Institut der „Tutoren“ zu, welches durch die Schulconstitution von 1811 gesetzlich angeordnet ist. Jeder Alumnus wird nämlich bei seinem Eintritt in die Anstalt einem der zwölf ordentlichen Lehrer als „Empfohlener“ besonders anvertraut, so daß derselbe bei ihm als Tutor Vaterstelle vertritt. Der Tutor bekümmert sich nicht allein um sein leibliches Wohl und seine Gesundheit, sorgt für seine Pflege in Krankheitsfällen, sondern beachtet hauptsächlich auch sein geistiges, wissenschaftliches und sittliches Gedeihen. Er überwacht seinen Umgang, sieht ihn öfters bei sich und „leitet ihn durch väterlichen Rath, ernste Warnung, liebevolle Tröstung und Ermunterung.“ Auch übernimmt er die Aufsicht über seine Oekonomie, ertheilt ihm sein „Taschengeld“, führt Rechnung hierüber, welche er vierteljährlich den Eltern einschickt, und unterhält mit diesen die Korrespondenz über das ganze innere und äußere Wohl und Gedeihen des Empfohlenen.

„Können Sie öfters nach Hause reisen?“ frug Alfred unsern freundlichen Führer.

Modesto satis“ – erwiderte langsam der sonst so beredte Obergesell und zwar mit einer so diplomatischen Miene, die in ihm einen zukünftigen Metternich ahnen ließ. „Es sind nämlich an jedem der drei hohen Feste acht, sage acht Tage, und von Johannis ab fünf Wochen Schulferien. Aber in den drei Festferien dürfen wir entweder nur einmal die ganze, oder jedesmal nur die halbe Zeit verreisen.“

„Und Ihre Erholungen außerhalb der Ferienzeit?“

„Nun wir machen – ja, wir machen bisweilen Spaziergänge im Freien unter Anführung der Herren Lehrer, wir schwimmen unter ihrer und der Schulärzte Aufsicht, wir laufen Eis auf der Pfortenwiese, wir fahren auf kleinen Handschlitten dort den steilen Berg hinunter, wir – geben theatralische Vorstellungen!“

God dam! Sie –: die Klosterschüler?!“

„Und was für classische Stücke gehen hier über die Bretter, so die Welt bedeuten! O, hätten Sie namentlich der Aufführung der Antigone hier beiwohnen können! Alles wie in Berlin: sogar die antiken Costüms hatte uns die dortige General-Intendantur der königlichen Schauspiele hochherzig überlassen! – Auch kommen hier Tragödien von Shakespeare zur Darstellung.“

„Und die Damenrollen?“

„Die werden solchen Secundanerchen zugetheilt, die noch im Besitz ihres Discantes sich befinden. Beim Fastnachtsballe hingegen tanzen wir mit wirklichen Damen. O – das ist ein reizender Ball!“

„Nach alledem sehnen Sie sich wohl gar nicht aus Pforta weg?“

„Ich liebe die alma mater, wie jeder treue Portenser, aufrichtig und mit dankbarer Verehrung; aber –, ja froh wäre ich doch, wenn ich erst meine Valediction hinter mir hätte.“

Die Sitte der Valedictionen der zur Universität abgehenden Primaner stammt aus den ältesten Zeiten der Pforte. Eine solche geschriebene Valediction, in der Regel acht bis zehn Bogen stark – vor einigen Jahren hat ein Abiturient sogar eine von achtzig Bogen Folio geliefert – enthält eine wissenschaftliche Abhandlung, meist in lateinischer Sprache und am Schlusse die „gratiarum actiones,“ Danksagungen gegen Gott, gegen den König, den Rector, das Lehrerkollegium, den Tutor und einzelne Lehrer, endlich an die Pforte und an die Freunde, theils in Prosa, theils in Versen, in verschiedenen Sprachen. Sie wird als Denkmal geistiger Fertigkeit in der Bibliothek aufbewahrt. Am Valedictionstage selbst betreten die Abiturienten, vom Letzten an, der Reihe nach das Katheder und sprechen ihre Abschiedsworte, während von ihren Untergesellen jedesmal die Glocke geläutet wird. Der nunmehrige Primus Portensia tritt als „Respondent“ ihnen dann gegenüber und spricht im Namen des Cötus das Lebewohl – gewöhnlich in Versen – aus. Rührend ist der Abschied der angehenden Studiosen nach Tische im Schulgarten vom ganzen Cötus, welcher dieselben in langen Reihen bis an’s Thor begleitet.

Die Gesammteinkünfte der Pforte betragen jährlich 44,000 Thlr. Ihre Quellen bestehen größtentheils in den Pachtgeldern aus ihren Gütern: dem Schulamte Pforta nebst den eine Stunde von hier entfernten Vorwerken Frankenau und Kukulau und dem Klostergute Memleben (mit dem Vorwerke Hechendorf) in der goldenen Aue. Memleben – das alte „Minnelebo“ – war ein Lieblingsaufenthalt der Ottonen: Heinrich’s I. und Otto’s I. Beide Kaiser sind hier gestorben und beide liegen auch hier begraben. Die Kaiserin Mathilde, Gemahlin Heinrich des Finklers, gründete hier im Jahre 975 ein Benedictiner-Nonnenkloster. Otto II. wandelte es in ein Mönchskloster um. Nach der Reformation wurde es säcularisirt und vom Kurfürst Moritz der Schulpforte geschenkt. Im Ganzen hat die Pforte gegenwärtig einen Grundbesitz von 3300 Morgen Ackerland, 1000 Morgen Wiesen, 600 Morgen Hutungen, 85 Morgen Garten- und 15 Morgen Weinland. Dazu kommen Morgen Waldungen, welche von einem Oberförster und vier Unterförstern verwaltet werden.

Pforta zählt jetzt nahe an 500 Bewohner. –

Nachdem wir unserm liebenswürdigen Cicerone herzlich für seine Güte gedankt, besuchten wir einige Lehrer und verließen dann – wie ein neuerer Tourist diesen berühmten Schulstaat nennt – „die lehrstolze Landesschule, diese Perle der preußischen Weisheitsanstalten.“ Wir bekamen diesmal die Klopstocksquelle nicht zu Gesicht, indem wir zu unserem Rückwege nach Almrich nicht das „Pfortenholz“, sondern die längs der herrlichen „Pfortenwiese“ sich hinziehende doppelte Pappelallee gewählt hatten. Trotzdem wir rüstig zuschritten (denn wir wollten in dem genannten Dorfe den dort so heimischen Dichter Hoffmann von Fallersleben treffen), blickten wir doch oft noch nach dem spitzigen schwarzen Kirchthurm Pforta’s zurück.

„Eine große, merkwürdige Anstalt!“ unterbrach Alfred endlich das Schweigen.

Dann frug er sinnend: „Wie lautete der Denkspruch, den W. Hage bei Dir niedergelegt?“

Und als ich geantwortet: „Glaube wohl – doch ohne Denkfaulheit; Denkfreiheit wohl – doch ohne Anmaßung; Form wohl – doch nicht ohne Geist; Geist viel – doch nicht ohne Form!“

nickte er, leise sein Yes murmelnd. Noch einmal den Blick auf Pforta werfend, rief er dann laut:

„Möchten doch alle Klöster eine Metamorphose erfahren, wie es mit dieser ehemaligen Abtei der Fall gewesen! Der Schul-Pforte aber Heil und Segen! Sie wachse uns blühe –: Pforta lebe für immer!“

Und ich stimmte ein mit einem herzlichen Fiat!




Aus den Sprechstunden eines Arztes.


Den freundlichen Leser ladet hiermit der Unterzeichnete zum unbemerkten Zuschauer und Zuhörer bei einigen seiner ärztlichen Consultationen ein. Doch bevor er die Patienten einführt, sich aussprechen und ausklagen läßt, sei es auch ihm gestattet, sich einmal zu expectoriren, d. h. sein ärztliches Herz auszuschütten, und zwar über den wahrlich nicht beneidenswerthen Stand eines Arztes. Man wolle nur, um diesen Stand richtig beurtheilen zu können, auf das innere und nicht auf die äußeren Verhältnisse des Arztes achten. Denn selbst, wenn auch bisweilen durch Titel, Orden oder Gold ärztliche Leistungen belohnt werden, so kann dies, obschon sehr viele Menschen nach derartigen irdischen – Dingen streben, doch auf einen Arzt, der wahren Beruf zum Heilen in sich fühlt und der nicht aus Ehrgeiz oder blos des lieben Brodes wegen handwerksmäßig kurirt, weder besondere Anziehung ausüben, noch ihm innere Befriedigung gewähren.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_264.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)