verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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zum ersten Male besuchte, war es ganz mit Kränzen und frischen Blumen bedeckt, denn es war gerade der Todestag des Dichters. Auch Schmidt gehört zu den Unsterblichen; Gedichte wie „das Menschenherz,“ „der Wanderer,“ „deutsches Lied“ u. s. w. werden gelesen und bewundert werden, so lange es eine deutsche Literatur gibt.
Man wird unwillkürlich an Rückert’s berühmtes Gedicht „die Gräber zu Ottensen“ erinnert, wenn man die Wanderung zu der Ruhestätte des großen Barden Klopstock antritt. Aber die meisten Verse des schönen Gedichtes passen nicht mehr, denn die „traurige Gruft auf der Wiese“ und das Feldherrngrab sind nicht mehr vorhanden. Die Gruft auf der Wiese war das Grab von 1200 Hamburger Männern, Frauen und Kindern, die Hamburgs Alba, der Herzog Davoust, während der Belagerung der Stadt mit schonungsloser Härte in der furchtbarsten Winterkälte aus der Heimath vertrieben hatte und die nun, krank und elend, von den 20,000 Leidensgefährten in Altona zurückbleiben mußten, wo sie, von Typhus erfaßt, sehr rasch, aber unter unsäglichen Leiden, in’s Grab sanken. Die Unglücklichen wurden damals zusammen auf einer Wiese verscharrt. Als 1811 der Eigenthümer dieser Wiese von dem reichen Hamburg begehrte, es möge das Fleckchen Erde, das die Gebeine seiner von „Frost, Hunger, Elend und Seuchen“ hingerafften Einwohner bedeckte, für eine sehr mäßige Kaufsumme erstehen, da empfing er eine abschlägige Antwort, und unverweilt wurden nun die sterblichen Ueberreste der „Zwölfhundert“ ausgegraben, um auf Hamburgischem Gebiete wieder verscharrt zu werden. Damit die traurige Geschichte aber ja recht gründlich prosaisch ende, wurde, so wird erzählt, als die Wagen mit der traurigen Last das königlich dänische Grenzzollamt passirten, alldort der Zoll für „ausgehende Knochen“ erhoben.
Was das Feldherrengrab anlangt, so fand die Ueberführung der Leiche des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand nach Braunschweig schon im Jahre 1819 statt. In der Schlacht bei Auerstädt hatte der Heldengreis bekanntlich die Todeswunde empfangen. „Umirrend mit den Scherben des Hauptes von Land zu Land,“ kam er bis Ottensen und legte sich dort in einem (vor einigen Jahren abgebrannten) Hause, das später den Namen Karlruhe erhielt, zum Sterben nieder. Am 23. November 1806 senkten seine Getreuen die Leiche in das Grab an der Mauer der Kirche.
Hier und da wird zuweilen behauptet, und man liest es sogar auch in mehreren Reisehandbüchern, es sei noch ein drittes Dichtergrab auf dem Ottenser Friedhofe zu finden, das Gerstenberg’s, des Verfassers des Ugolino; diese Angabe ist jedoch eine falsche, denn das Grab dieses Dichters befindet sich mitten in der Stadt auf dem heiligen Geist-Kirchhofe. –
(Schluß.)
Unser junger Begleiter war auch sonst wohl orientirt. So erzählte er uns ausführlich, wie die Pforte am 6. November 1839 die Säcularfeier der vor hundert Jahren unter dem Rector Freytag geschehenen Aufnahme ihres berühmten Zöglings, des Dichters Friedrich Gottlieb Klopstock eben so sinnig als glänzend begangen. Unter Anderem hatte man neben der lorbeerumkränzten Büste des Dichters die von Klopstock selbst unter dem 20. März 1800 der Anstalt geschenkte Prachtausgabe seines Messias aufgestellt, desgleichen einen Zweig der Linde über Klopstock’s Grabe zu Ottensen, der von einem ehemaligen Portenser, dem bekannten Professor und Hofrath Dr. Friedrich Thiersch gepflückt und mit einer entsprechenden Votivschrift hierher gesandt worden war.
Der Brief, welchen Klopstock an den damaligen Rector Heimbach gerichtet, lautet vollständig folgendermaßen:
„Die Erinnerung, in der Pforte gewesen zu sein, macht mir auch deswegen nicht selten Vergnügen, weil ich dort den Plan zu dem Messias beinahe ganz vollendet habe. Wie sehr ich mich in diesen Plan vertiefte, können Sie daraus sehen, daß die Stelle vom Anfange des neunzehnten Gesanges bis zu dem Verse, der mit „um Gnade!“ endigt, ein Traum war, der wahrscheinlich durch mein anhaltendes Nachdenken entstand. Wäre ich Maler gewesen, so hätte ich mein halbes Leben damit zugebracht, Eva, die äußerst schön und erhaben war, so zu bilden, wie ich sie sahe. Das Ende des Traumes fehlet indeß in der angeführten Stelle. Es ist: Ich sah zuletzt mit Eva nach dem Richter in die Höhe, mit Ehrfurcht und langsam erhobenem Gesicht, erblickte sehr glänzende Füße und erwachte schnell.
„Sie empfangen hierbei die große Ausgabe des Messias, die Herrn Göschen nicht wenig Ehre macht. Ich bestimme sie für die Schulbibliothek und überlasse Ihnen, bei Verschweigung meines Wunsches, einen Platz für sie zu wählen. Sollten Sie finden, daß dies irgend einen guten Einfluß auf die Alumnen haben könnte, so lassen Sie das Buch auf folgende Art in die Bibliothek bringen: Sie wählen den unter Ihren Jünglingen, welchen Sie für den besten halten, ich meine nicht nur in Beziehung auf seinen Geist, sondern auch auf seine Sittlichkeit, zu der, wie ich glaube, auch der Fleiß gehört. Bitten Sie diesen in meinem Namen, das Buch zu tragen und es dahin zu stellen, wo Sie’s ihm befehlen werden. Vielleicht mögen Sie ihm auch die wenigen zu Begleitern geben, die gleich nach ihm die besten sind. Machen Sie dies alles, wie sich von selbst versteht, nach Ihrem Gutbefinden; oder unterlassen Sie es auch ganz, und nehmen mein Andenken in aller Stille in die Schulbibliothek auf. Aber Eins, warum ich Sie bitte, werden Sie, weiß ich, gewiß nicht unterlassen. Der Conrector Stübel war mir der liebste meiner Lehrer. Er starb zu meiner Zeit. Ich verlor ihn mit tiefem Schmerze. Lassen Sie von einem ihrer dankbaren Alumnen irgend etwas, das der Frühling zuerst gegeben hat, junge Zweige oder Blüthenknospen, oder Blumen – mit leiser Nennung meines Namens auf sein Grab streuen.“ –
Wie sich von selbst versteht, veranstaltete Heimbach nun eine Schulfeier. Dieselbe fand gerade am ersten Osterfeiertage statt. Zuerst zogen Lehrer und Schüler in die Kirche und schlossen einen Kreis um die Gruft, in der Klopstock’s geliebter Lehrer ruht. Ein Alumnus – Kütterer[1] war sein Name – streuete frische Lenzblumen auf das Grab, dabei leise und bewegt den Namen des großen Dichters aussprechend. Dann stimmte der Sängerchor das Klopstock’sche „Auferstehn, ja auferstehn wirst Du etc.“ an, dem eine Ode aus dem Messias folgte. Aus der Kirche bewegte sich der Zug nach der Schulbibliothek, wo bereits ein kleiner Altar, mit Immergrün umwunden und mit Blumen umstreut, errichtet worden war. Als man die Messiade auf diesen Altar niederlegte, wand sich ein Lorbeerzweig über dieselbe und es erklang eine sanfte Musik. Dann hielt Heimbach die Festrede, in welcher es unter Anderm heißt:
„Mit dem tiefgefühlten Entzücken einer glücklichen Mutter empfängt die Pforte dieses heilige Geschenk des ersten ihrer Söhne, der längst ihr geheimer Stolz war. Sie beschied sich gern, daß sie auf dieses unsterbliche Werk wenig Anspruch machen dürfe; den hohen himmlischen Geist, der in ihm wohnt, hat keine Menschenschule gegeben. Aber wohl wußte sie, daß es in ihrem Schooß empfangen war, und sagte sich oft mit demüthiger Freude, daß sie es gewesen, die Klopstock’s Geist zu dem erhabenen Gedanken, den Messias zu singen, geweckt und mit der ätherischen Kost griechischer und römischer Kunst genährt habe. Dankbar legt sie das Geschenk der Weihe in dem kleinen Heiligthume ihrer Musen nieder, auf daß es jetzt und künftig seine heiligen Flammen in des Jünglings Herz ströme. Ueber den Platz, welcher ihm als Werk der Kunst gebührt, hat längst Vaterland und Ausland mit einer Stimme entschieden. Aber als Gabe der achtenden Liebe Klopstock’s an die Pforte räumt diese ihm den Platz über allen ihren Schätzen ein.“ –
Bekanntlich ist Klopstock als Alumnus auch einmal in’s Carcer gekommen. Als ihm hier seine Leidensgefährten zusetzten, seinen Namen ebenfalls an die Wand zu schreiben, verweigerte er dies beharrlich und konnte durch ihr Drängen nur bewogen werden, daß er folgende Zeilen neben die Namen seiner Commilitonen setzte:
„Mich schreibt die Nachwelt einst in ihre Bücher ein,
Drum soll mein Name nicht bei diesen Namen sein.“ –
- ↑ Derselbe ist als Conrector an der Kreuzschule in Dresden den 24. März 1814 gestorben. – Anmerk. des Verf.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_262.jpg&oldid=- (Version vom 9.2.2020)