verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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Schwermuth verfallen, in die Einsamkeit einer entlegenen Besitzung zurückgezogen, wo er nach einigen Jahren gestorben war. Die Mutter hatte Alles aufgeboten, was in ihren Kräften stand, um ihn diesem abgeschiedenen Leben, das ihn seiner Leidenschaft zur wehrlosen Beute gab, zu entreißen – vergebens! Diese Leidenschaft, die sein Dasein allmählich untergrub, war stark genug, ihre Beute auch nach außen zu vertheidigen. Der Oberst von Aßberg, auf dessen Tod vielleicht – konnte Gebhard den Bruder darum verdammen? – Waldemar’s letzte Hoffnung gestanden hatte, war trotz seiner Hinfälligkeit, die ihn zuletzt hülflos wie ein Kind gemacht, erst drei Jahre nach Waldemar gestorben, und seine Wittwe, mit ihrem damals vierzehnjährigen Knaben, aus der kleinen Stadt, wo sie zuletzt gelebt hatte, fortgezogen – wohin, das hatte Gebhard’s Mutter, die ihrem Sohne später diese traurige Geschichte erzählt hatte, nicht erfahren, vielleicht auch gar nicht danach geforscht. Graf Gebhard war bedeutend jünger als sein Bruder, und zu jener Zeit fern von der Heimath, in einer berühmten Erziehungsanstalt gewesen, hatte auch, als er erwachsen war, lange Zeit nichts von Allem erfahren, bis er auf der Universität mit Günther von Aßberg zusammengetroffen und bald innig befreundet worden war. Da erst hatte es seine Mutter für passend erachtet, ihn mit dem Schicksale seines Bruders bekannt zu machen, um durch ihn zu erfahren, wo Frau von Aßberg jetzt lebe und welcher glückliche Wechsel in ihren äußern Verhältnissen jetzt eingetreten sei, daß ihr Sohn in augenscheinlich guter Lage eine der kostspieligsten Hochschulen Deutschlands besuchen und dort unter die reicheren Musensöhne gezählt werden konnte.
Gebhard hatte mit einer leicht erklärbaren Aufregung seinen Freund, nachdem die Ferien vorüber, in denen er bei seiner Mutter jene Mittheilungen erhalten hatte, gleich über dieselben befragt, anfangs aber keinen nähern Aufschluß erhalten, weil Günther von der Vergangenheit nichts wußte. Ein Brief an Frau von Aßberg, welchen der Sohn über eine so zarte Angelegenheit nicht in eine gerade Frage kleiden konnte, war ohne den gehofften Erfolg für Gebhard geblieben; sie hatte auf die Wünsche ihres Sohnes, von ihrer früheren Bekanntschaft mit der Familie seines Freundes etwas zu erfahren, nur mit einer Vertröstung auf das nächste Wiedersehen geantwortet, wo sie ihm lieber mündlich erzählen wolle, was er zu wissen wünsche, doch werde ihr das vielleicht schon durch seinen Freund, der offenbar um die früheren Beziehungen zu wissen scheine, erspart werden; sie selbst, schloß die Stelle, halte eine Besprechung derselben für sehr überflüssig, habe jedoch keinen Grund, sie zu verweigern. Gebhard wußte jedoch von seiner Mutter nichts weiter, als daß sein ältester Bruder Waldemar sich sehr für Frau von Aßberg interessirt und vielleicht gehofft habe, einst, wenn sie durch den Tod von ihrem kranken Manne befreit werde, ihre Hand zu erhalten; ob er von ihr in dieser Hoffnung bestärkt worden sei, hatte die Gräfin unklar gelassen, sein Dahinsterben aber mit düstern Farben geschildert und manche bittere Bemerkung daran geknüpft. Da er nun durch Günther auch, nachdem dieser bei nächster Gelegenheit Rücksprache mit seiner Mutter genommen hatte, nicht viel mehr erfuhr, als was die Thatsache bestätigte und die herben Anspielungen der Gräfin Hallstein wenigstens nicht ganz zu entkräften geeignet war, so hatte sich in ihm über die Frau, welche mit seinem Bruder ein herzloses Spiel getrieben hatte, eine Ansicht festgestellt, die erst jetzt durch die Eröffnungen Günther's erschüttert werden war. Günther hatte aber selbst erst vor wenigen Wochen, erst hier in der Abgeschlossenheit, in welcher er mit seiner Mutter lebte, ihr volles Vertrauen über die traurige Vergangenheit und damit auch Kenntniß von der gefährlichen Versuchung gewonnen, welche ihr die Gräfin Hallstein, um ihren Lieblingssohn, den sie vergehen sah, zu retten, bereitet hatte, eine Versuchung, gefährlich nur, weil sie in ein Bündniß mit dem eigenen Herzen der armen jungen Frau trat.
So war in jener Zeit akademischer Freundschaft durch gegenseitiges Uebereinkommen das Verhängniß, das Gebhard’s Bruder einem frühen Tode geweiht hatte, nicht mehr berührt worden, und die Gräfin Hallstein hatte nur über ihre Nebenfrage nach den günstigern Vermögensverhältnissen der Frau von Aßberg Auskunft erhalten, daß nämlich eine Erbschaft, nicht ihr, sondern ihrem Sohne zugefallen sei, die ihn nicht nur wohlhabend, sondern in jeder Beziehung unabhängig gemacht habe. Sie hatte dann nicht für gut befunden, Gebhard weiter in die Bestrebungen einzuweihen, die sie fruchtlos sogar bei dem alten Obersten von Aßberg angestellt hatte, und war, nachdem ihr Sohn bereits einer Gesandtschaft im Auslande als Cavalier beigegeben war, auf einer Reise in Italien gestorben.
Gebhard, der mit Günther auch in spätern Verhältnissen immer in brieflicher Verbindung blieb, hatte von diesem bei Gelegenheit der Kunde von dem Todesfall, die er ihm mittheilte, die erste Verletzung ihres früheren Abkommens erfahren, indem Günther in seinem Mitgefühl für die Betrübniß des Freundes geäußert hatte: „möchte die Verklärte meiner Mutter das Leid vergeben haben, welches sie ihr ohne ihr Verschulden zugefügt hat!“
Als sie sich darauf einmal wiedergesehen hatten, und zwar in Wien, wo Günther den Grafen besuchte, der nun als Legationssecretair bei der dortigen Gesandtschaft seines Hofes angestellt war, da hatte allerdings auch Gebhard die alte Zeit noch einmal berührt, und gefragt, ob seine Mutter vielleicht seitdem davon gesprochen habe. Das war aber nicht der Fall gewesen. Seitdem hatten sich die Freunde mehrere Jahre nicht mehr getroffen: Graf Hallstein war durch eine Mission bei der Pforte längere Zeit fern von Deutschland gehalten worden und Aßberg unterdessen auch auf Reisen gewesen. Ihre Correspondenz hatte dadurch eine gänzliche Unterbrechung erfahren und als der Graf heimgekehrt war, um in dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten eine Stelle zu übernehmen, war es ihm erst nach längerer Bemühung gelungen, von Günther, der keine Verbindungen gerade mit Hallstein’s Bekannten hatte, einige Nachrichten zu ermitteln.
Durch Damen, welche der Diplomat immer mit großem Vortheil für seine Zwecke zu interessiren weiß, hatte er endlich die rechte Auskunft erlangt; sie lautete, daß der arme Herr von Aßberg gänzlich unter der absoluten Herrschaft seiner Mutter stehe, die ihn von der „Gesellschaft“, in der er doch in jeder Hinsicht berechtigt sei, eine Rolle zu spielen, fern halte und so weit gebracht habe, daß er sich in einer von aller Verbindung mit der cultivirten Welt abgeschnittenen Gegend ein Gut gekauft habe, um dort ganz ihrem Willen zu leben. Sie selbst, welche wohl ihre Ursachen haben müsse, die Kreise, zu welchen sie durch ihre Geburt gehöre, zu vermeiden, solle in jeder Beziehung eine widerwärtige Frau sein, die schon durch ihre äußere bäuerische Erscheinung von guten Häusern ausgeschlossen werden müsse, und wahrscheinlich auch sonst irgend eine schwere Verschuldung trage, von welcher jedoch Niemand etwas Bestimmtes anzugeben wisse.
Als Heinrich Heine einstmals den ironischen Ausspruch that, Altona, die freundliche, helle, saubere Elbuferstadt, sei die hauptsächlichste Sehenswürdigkeit von Hamburg, da hatte er’s für längere Zeit gründlich mit den Bewohnern der „zweiten Stadt des dänischen Reiches“ verdorben und es dauerte eine geraume Weile, bis sie dem muthwilligen Spötter wieder gut wurden. Im Grunde konnte man’s den Altonaern auch nicht verdenken, daß sie damals ein wenig aufgebracht gegen den Dichter waren, denn wenn auch ihre Stadt, nur durch einen schmalen Grenzgraben von der weitberühmten und weitberüchtigten Vorstadt St. Pauli („Hamburger Berg“) getrennt, gleichsam ein Anhängsel der gewaltigen Welthandelsstadt zu sein scheint, so ist sie doch, abgesehen von allem Andern, schon vermöge ihrer Ausdehnung, ihrer Einwohnerzahl von weit über vierzigtausend und ihrer großen Handels- und Fabrikthätigkeit wohlberechtigt, von aller Welt die Anerkennung als selbstständige Stadt neben dem mächtigen, glänzenden Hamburg zu fordern. Aber dabei bleibt kein patriotischer Altonaer stehen, er nimmt vielmehr auch viele der ersten Sehenswürdigkeiten, welche die Verfasser gewisser Reisehandbücher als Hamburgische bezeichnen, für seine Stadt in Anspruch und das mit Fug und Recht, denn über den erwähnten schmalen Grenzgraben hinaus besitzen Hamburg und dessen westliche Vorstadt nichts Eigenes mehr, dort beginnt der neuerfundene „dänische Gesammt-Staat,“ dessen zweite Stadt sich mithin wird erlauben dürfen, alle nach Westen zu belegenen Sehenswürdigkeiten
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_260.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2019)