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Seite:Die Gartenlaube (1857) 251.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Krankheit zuschrieb. Auch er schien mich erkannt zu haben, denn er näherte sich mir und reichte mir seine ausgestreckte Hand.

„Armer Feldern!“ dachte ich im stillen. „Auch Du bist den finsteren Mächten verfallen.“

Meine Bemerkung mußte ihm nicht entgangen sein, denn er sah mich mit dem mißtrauischen, forschenden Blicke an, den man meist bei Wahnsinnigen anzutreffen pflegt.

„Mein Gott!“ rief er mir zu, „wie kommen Sie denn hierher? – Ich habe Sie früher doch nie bemerkt.“

„Natürlich, da ich erst seit heute hier bin.“

„Sie bleiben und ich gehe. O! ich bedauere Sie von ganzem Herzen, obgleich Sie hier in jeder Beziehung vortrefflich aufgehoben sind. Der Director ist der trefflichste Arzt, den ich kenne, und er wird Sie ohne Zweifel wieder herstellen. Ich verdanke ihm meine vollständige Genesung.“

„Was fällt Ihnen ein? Ich bin ja gar nicht krank,“ rief ich, bei dem bloßen Gedanken schon von Entsetzen ergriffen.

„Sie sprechen gerade so, wie ich im Anfange gesprochen habe. Das ist ein gewöhnliches Symptom, das man bei jedem Neuangekommenen Patienten findet. Bevor man nicht zu dem Bewußtsein seines Wahnes gelangt, eher ist auch keine Heilung möglich. Fragen Sie den guten Director, dort kommt er, mein Retter, mein edler Wohlthäter.“

Das war mir doch zu toll, daß ich von Feldern für toll gehalten wurde. Indeß bedurfte es nur einiger Worte meines Freundes, um dieses Mißverständniß sogleich aufzuklären. Er entschuldigte sich mit seinem gewöhnlichen satirischen und doch wieder so gutmüthigen Lächeln wegen der kleinen Ueberraschung, die er mir zugedacht hatte.

„Ich wollte Dir einen praktischen Cursus meiner neuen Methode zeigen. Die früheren Irrenärzte wirkten durch Drohungen und Schrecken, wir durch Milde und Freude. Schon die Alten suchten den Wahnsinn durch Musik zu heilen und ich glaube, daß sie auf dem richtigen Wege waren. Der gesunde, wie der kranke Mensch bedarf der Liebe; sie allein thut Wunder. So manche Regierung würde ganz wohl daran thun, ein Collegium über Geisteskrankheiten und deren Behandlung zu hören; sie würde zu der Ueberzeugung gelangen, daß weit mehr durch Nachsicht und Milde als durch Strenge und Tyrannei sich wirken und erzielen läßt. Dir aber, dem Denker und Philosophen, gönne ich auch die Dir heut zu Theil gewordene Lehre, daß die Kluft zwischen uns und den armen Geisteskranken keineswegs so groß ist, wie wir uns in unserer Eitelkeit einbilden. Du hast die Wahnsinnigen für vernünftige Wesen angesehen und Du selbst bist von Andern für wahnsinnig gehalten worden. Hoffentlich wirst Du mir nicht deshalb zürnen.“

Er reichte mir die Hand mit seiner alten Herzlichkeit hin, so daß ich nicht böse sein konnte, selbst wenn ich es gewollt hätte. Hierauf wandte er sich zu Feldern, den scherzhaften Ton zum Ernst umstimmend.

„Sie sind genesen und ich kann Sie schon morgen entlassen.“

„Tausend Dank für diese Nachricht!“ rief der Glückliche mit strahlenden Blicken.

„Es handelt sich nur darum, Sie vor der Möglichkeit eines Rückfalls zu bewahren. Wenn Sie noch einige Wochen bei uns bleiben wollen, so bürge ich für Ihre fernere Lebenszeit.“

„So werde ich bleiben,“ sagte Feldern, indem Thränen seinen Augen entstürzten. „Ich hatte mich allerdings darauf gefreut, meine gute Frau und meine Kinder in einigen Tagen wiederzusehen; aber Ihr Ausspruch allein ist für mich entscheidend.“

„So ist es Recht,“ erwiderte der Director; „aber Ihre Frau und Ihre Kinder sollen Sie deshalb doch sehen. Sie sind hier, um Sie abzuholen. Nach dieser Probe ist kein Rückfall mehr zu befürchten. Morgen reisen Sie mit Gott.“

In demselben Augenblicke öffnete sich der herumstehende Kreis und eine Dame mit zwei blühenden Kindern umarmte den überraschten Feldern, der nicht wußte, wie ihm geschah. Sein Auge füllte sich mit Thränen und auch der Blick des Directors, der an solche Scenen gewöhnt war, wurde feucht, als der jüngste Knabe von vier Jahren Feldern mit kindlicher Stimme zurief:

„Papa! Du darfst nicht weinen; ich will ja artig sein.“

Die übrigen Geisteskranken nahmen mehr oder minder an dem frohen Ereignisse dieser Familie Antheil; auf Alle schien der günstige Fall einen wohlthätigen Eindruck gemacht zu haben; sie dachten wohl dabei an die eigene Genesung und an die baldige Vereinigung mit den Ihrigen, obgleich auch nicht ein Einziger von ihnen den Wunsch aussprach, vor der Zeit die Anstalt zu verlassen. – Mit neuer Lust kehrten die Meisten zu ihrem Vergnügen zurück und der Ball hatte nach dieser angenehmen Unterbrechung seinen ungestörten Fortgang. Auch ich genoß jetzt mit anderen Gefühlen das außerordentliche Schauspiel, welches mir hier geboten wurde. Nicht die geringste Störung trübte das in seiner Art seltene Fest. Der Geist des Directors übte einen unsichtbaren, magnetischen Einfluß auf alle Anwesenden aus, sie sahen in Gedanken nur auf ihn und hatten nur das eine Streben, seine Zufriedenheit zu erlangen. So herrschte er mit einer Allgewalt, wie sie kein Fürst auf dieser Welt besitzt, lediglich durch seinen Geist und seine Liebe, die er zu der leidenden Menschheit trug und in ihr hervorzurufen wußte; denn nur die Liebe weckt Gegenliebe; sie vollbringt die größten Wunder und vermag noch mehr, wie der Glaube, Berge zu versetzen und selbst die armen Geisteskranken in vernünftige Wesen umzuschaffen. –

Max Ring.




Ein Besuch in Schul-Pforta.
Von Wilhelm Künstler.

Als ich vor mehreren Jahren genöthigt war, das Bad in Teplitz zu gebrauchen, hatte ich daselbst zum Hausgenossen u. A. einen Engländer, der mich je länger je mehr anzog. War er doch eine jener glücklich organisirten Naturen, denen man – fast wider Willen – gut sein muß. Selbst eine gewisse Schroffheit, die auch an ihm, als einem echten Sohne Albions, hin und wieder zu Tage trat, selbst diese übersah man gern im Hinblick auf die Offenheit seines Wesens, auf den Reichthum seiner Bildung und auf die in ihm zur schönsten Blüthe vereinigten englischen Nationaltugenden. Seine große Vorliebe für deutsche Literatur mußte mir ihn nur noch lieber machen. Wir wurden bald Freunde. Als ich endlich abreiste, begleitete er mich auf die Nollendorfer Höhe, jenen so überaus reizenden Bergrücken, wo 1813 der preußische General Kleist durch seinen heldenmüthigen und siegreichen Kampf gegen die Franzosen unter Vandamme sich den ehrenvollen Beinamen von Nollendorf erworben. Hier reichten wir uns noch einmal die Hand, indem ich auf sein treuherziges: „Fare well!“ mit einem tief bewegten „Lebewohl“ erwiderte; denn der Gedanke, daß wir uns in diesem Leben wohl nie wieder sehen dürften, hatte mich recht traurig gestimmt. Und in der That: es vergingen Jahre, und – wir sahen uns nicht wieder.

Wie groß war daher meine Freude, als endlich an einem schönen Sommertage ein kräftiger, hochgewachsener Mann sans façon in mein Zimmer trat und mich mit den Worten anredete: „How do you do?“

Traun, es hätte dieser paar englischen Worte nicht erst bedurft; schon an den großen blauen Augen erkannte ich den Eintretenden: es war Alfred, mein lieber, lieber Teplitzer Hausgenosse.

„O,“ sagte er unter Anderm, „ich bin gewesen in Berlin, in diesem an Polizei-, Sand- und Geheimrathvierteln so reichen Berlin; aber ich bin auch gewesen auf dem Leipziger Schlachtfeld und auf den blutgetränkten Ebenen von Lützen und habe hier gekniet vor dem Schwedensteine, an der heiligen Stelle, wo der Heldenkönig Gustav Adolf – dieser Protestant durch und durch – kämpfend und siegend gefallen. – Und was will ich jetzt sehen? Euer liebes Thüringen will ich sehen, will sehen die tausend und abertausend von Feeen und Kobolden belebten Berge, Thäler und Höhlen, will sehen den Kyffhäuser, den Ihr so sehr liebt, weil Euer Kaiser Barbarossa noch immer dorten schläft und Ihr deshalb ein Recht zu haben glaubt, getrost auch weiter schlafen und träumen zu dürfen; – jedoch vor Allem will ich jetzt das deutsche Eton, das weltberühmte Schul-Pforta sehen! Und da Dir dieser Musensitz hinlänglich bekannt, so bitte ich Dich: sei mir ein freundlicher Führer dahin!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_251.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)