verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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welchem sein inneres Gefühl zu mächtig wurde, als daß er es ganz beherrschen konnte, sah ich, wie auf einmal ein Funken boshafter triumphirender Freude in seinem Auge glühete. Ueber sein ganzes Gesicht zuckte es wie ein Blitz – aber nur einen Moment, dann lag wieder die alte glatte Ruhe darauf. Ich hatte genug.
„Mein Herr,“ sagte ich kalt zu Eduard D., „ich bedarf Ihrer nicht weiter, Sie können mich verlassen. – Darf ich bitten,“ setzte ich bezeichnend hinzu, „der Frau von Wüsthof zu sagen, daß ich ihr eine glückliche Reise wünsche?“
Er ging, wenn gleich verwundert.
„Und nun, Herr Hertel,“ wandte ich mich mit der vollen Strenge meines Amtes an diesen, „noch ein paar Worte mit Ihnen. Sie sind mein Gefangener.“
Der Mensch erschrak heftig. Er wurde leichenblaß und zitterte, daß man seine Kniee beinahe schlottern sah. Ich hatte keinen Zweifel mehr an seiner Schuld. Mein Manöver war vollkommen geglückt; freilich bis auf die Wiederherbeischaffung des Geldes. Aber auch um diesen Ziel war ich nicht mehr sehr besorgt. Ich beschloß, sofort und auf dem kürzesten Wege darauf zuzugehen.
„Hertel,“ sagte ich. „Sie haben den Diebstahl vorgespiegelt. Sie haben sich selbst bestohlen, oder vielmehr Ihren Herrn –“
„Herr Polizeidirector“ – unterbrach er mich gekränkt.
Ich ließ ihn nicht zu Worte kommen.
„Unterbrechen Sie mich nicht. Ich habe Ihnen nur wenige Worte zu sagen. Es ist nur eine kleine Geschichte. Wenn Sie sie angehört haben, können Sie sprechen. Ihre Geschichte ist keine neue. Vor einem Dutzend von Jahren hatte ein Kaufmann in Berlin einen Reisenden, den er, um Einkäufe zu machen, mit einer Summe von zwölf- oder fünfzehntausend Thalern – ich weiß es nicht mehr genau – nach Polen schickte. Nach vierzehn Tagen erhält der Berliner Kaufmann von seinem Reisenden einen Brief, worin derselbe ihm meldet, daß die ganze Summe ihm gestohlen sei. Er habe das Geld, das in preußischen Cassenanweisungen bestand, sehr vorsichtig auf der Brust getragen, indem er das Paket sogar an der innern Seite seines Reiserockes fest genähet habe. In der Nacht im Postwagen, kurz vor Warschau, sei es ihm dennoch, während er geschlafen, gestohlen worden. Alle seine Nachforschungen nach Dieb und Geld seien bisher vergeblich gewesen. Der Berliner Kaufmann hatte einen Freund, der einer der tüchtigsten Kriminalisten der Residenz war. Diesem theilte er die Sache mit, und auf sein Bitten entschloß sich der Criminalbeamte, mit guten Empfehlungen versehen, nach Warschau zu reisen. Er traf dort den Reisenden im Gasthofe, unglücklich, vernichtet. Er ließ sich den Diebstahl erzählen. Der Reisende erzählte sehr glaublich, auch daß er bei den polnischen, eigentlich russischen Behörden wenig, richtiger gar keine Unterstützung gefunden habe. Der Criminalbeamte wurde zwar nicht überzeugt, er fand aber auch keinen positiven Anhalt für einen Verdacht. Daß die gewöhnlichen russischen Behörden, auch in Polen, nicht viel taugten, wußte er. Er wandte sich daher sogleich an die Spitze der Polizei in Polen, an den Polizeichef General – oder war er damals noch Oberst? – Abramowicz. Der General hörte ihn ruhig, zuvorkommend an, notirte sich Alles, versprach ihm seine energischste Hülfe und ersuchte ihn, am nächsten Tage wiederzukommen, um Weiteres von der Sache zu hören. Am folgenden Tage ging der preußische Criminalbeamte wieder hin. Der polnische Polizeichef empfing ihn, bot ihm einen Stuhl an und bat ihn, noch ein Viertelstündchen zu warten, es werde gerade noch in der Angelegenheit untersucht. Der Criminalbeamte setzte sich und wartete, während der General Abramowicz, der beschäftigt war, weiter arbeitete. Nach einer Minute drang ein Geschrei an das Ohr des preußischen Beamten; es kam aus dem Innern des Gebäudes. Es waren Schmerzenstöne, zuerst kurz, abgerissen, dann länger anhaltend, aber immer scharf, heftig, das Ohr zerreißend, das Herz zerschneidend. Der Beamte wurde unruhig. Es überlief ihn kalt und warm; er mußte aufstehen und hielt sich die Ohren zu, um die Laute nicht mehr zu hören, die nur von einem zu Tode Gepeinigten ausgehen konnten, die ihn selbst wie tödtlich peinigten.
„Was ist Ihnen?“ fragte ihn der General.
„Jene Schmerzenstöne –!“
„Ah, man inquirirt.“
„In diesem Augenblicke glaubte der Criminalbeamte die Stimme des Gepeinigten zu erkennen.
„Der Reisende!“ – rief er.
„Allerdings, mein Herr, er wird verhört.“
„Dem preußischen Beamten brach der Angstschweiß aus.
„Ich beschwöre Sie, Herr General, lassen Sie der Scene ein Ende machen.“
„Der Herr von Abramowicz lachte. Aber er verließ das Zimmer.
„Ich muß doch einmal nachsehen,“ sagte er.
„Das Schreien hörte auf. Nach einigen Minuten kehrte der General zurück.
„Mein Herr, die Posten in Polen sind sicher. Ich durfte jene Verleumdung nicht auf der mir anvertrauten Polizei haften lassen. Den Empfehlungen aber, die Sie die Güte hatten, mir zu überreichen, war ich es auch schuldig, Ihrem Freunde wieder zu seinem Gelde zu verhelfen. Lassen Sie in Berlin, Straße da und da, bei der Mutter des Reisenden im Keller nachgraben; Sie werden die ganze angeblich in Polen gestohlene Summe Geldes dort unversehrt vorfinden.“
„Das Geld wurde dort gefunden.“
Ich schloß und hatte während meiner Erzählung Zweierlei an dem Menschen vor mir bemerkt. Zuerst als ich die eigenthümliche Weise des Verhörs des Bestohlenen in Warschau bezeichnete, ein Zittern, das gar nicht aufhören wollte; sodann, als ich des Vergrabens des Geldes im Keller erwähnte, ein plötzliches heftiges Aufzucken der Augen. Ich war nun auch der Wiederherbeischaffung des Geldes gewiß.
„Haben Sie mir jetzt etwas zu sagen?“ fragte ich ihn.
Er schwieg und ging mit großen Schritten im Zimmer umher. Auf einmal fing er an zu weinen; er schluchzte heftig, zahllose Thränen rannen ihm über das Gesicht.
„Hertel,“ sagte ich mit mildem Ernste zu ihm, „erschweren Sie Ihre Strafe und Ihr Schicksal nicht durch ferneres verstocktes Leugnen. Wo soll ich in – nach dem Gelde suchen lassen? Denn zu Hause haben auch Sie es. Der Telegraph bringt uns in drei Stunden Antwort. Ich selbst werde später vor Gericht ein Zeugniß für Ihre mildere Bestrafung ablegen.“
Er weinte heftiger.
„Der Satan hatte mich verblendet!“ rief er.
Dann gestand er Alles. Das Geld lag unter dem Fußboden seiner Wohnstube in – versteckt. Ich telegraphirte sofort dahin. In drei Stunden hatte ich die Antwort, daß es aufgefunden sei.
Die Frau von Wüsthof war in derselben Nacht mit ihrer Nichte und mit Eduard D. nach der Schweiz abgereiset. Ich habe sie vor vierzehn Tagen in Montreux besucht. Die jungen Leute leben dort als glückliche Eheleute, da die Gesundheit Ottiliens sich wunderbar befestigt hat.
Hertel, – schloß mein Freund dann seine Erzählung, – wurde – sehr gelinde – zu einer dreijährigen Gefängnißstrafe verurtheilt. Nach ihrer Verbüßung wird man ihm unter einem andern Namen ein Unterkommen in Amerika verschaffen. Der Credit meines Freundes B. ist seit der Wiedererlangung des Geldes ein unerschütterlicher.“
Ich hatte ihn satt bekommen, diesen Carneval von Paris mit seinem großen Cancan und dem Opernball, der meinen gehegten Erwartungen so wenig entsprach, mit der Courtille, die nun als eine Schaustellung der gewöhnlichsten Liederlichkeit ohne alle Grazie mir erschien, kurz, ich befand mich in der rechten Aschermittwochsstimmung, als ich meine Wanderung nach der Stadt der Todten, nach dem berühmten Kirchhofe Père La Chaise antrat. Links vom Bastillenplatz abbiegend, gelangt man in eine Straße, welche einem riesigen Magazine des Todes gleicht. Zu beiden Seiten reihen sich Läden an Läden, worin man alle Emblemen des Grabes, Kreuze, Gitter, Urnen, Grabsteine und Kränze, zu allen Preisen und von den verschiedensten Formen findet. Hier wird mit dem Tode selbst
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_232.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)