Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1857) 198.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Rennthier mittelst Schlingen, die sie geschickt zu werfen verstehen, ein und führen es dem Melker zu. – Endlich bricht die Nacht herein. Alle Glieder der Familie wechseln stundenweise mit der Bewachung der Heerde. Die Uhr haben sie am Himmel und, ist dieser bewölkt, im Kopfe. Wer seine Wache gethan hat, kommt in die Gamme, kriecht mit seinen Hunden – jeder hat seinen bestimmten Wachtgehülfen – über die Schläfer hinweg und schickt seine Ablösung fort. Der Hund ist klein, schmutzigbraun, hat zottiges Haar und aufrecht stehendes Ohr. Der Lappe liebt ihn, theilt mit ihm seine Speise, was er seinen Brüdern sicherlich verweigern würde. Dies eine Scene aus des Lappen Sommerleben.

Wie’s manchmal im Winter zugeht, namentlich auf Reisen, erzählte uns Unna, unser Wirth. Er war mit Anund, einem benachbarten Berglappen, in dem mehr als achtzig Meilen entfernten Kautokaino, wo Sjoibma um die Tochter seines Bruders freite. Eltern und Anverwandte des Freiers waren beisammen und zogen nach der Hütte der Braut. An der Spitze des Zuges schritt der Freierhauptmann, der vom Freier gewählte Wortführer. Er wandte sich an die Eltern des Mädchens, die übrigen an deren Anverwandte, an Branntwein war kein Mangel, denn „mit Branntwein freien“ ist lappischer Gebrauch. Die freie Zeche hatte für geneigte Gedanken empfänglich gemacht, der Zweck des Besuches ward bei zunehmender Fröhlichkeit theils in Reden, theils[WS 1] im Gesang immer deutlicher ausgedrückt, mit Freiergeschenken, hauptsächlich in Silbergeräth, als Löffeln, Bechern und Gürteln bestehend, war nicht gekargt worden, zudem war Sjoibma ein hübscher Lappenbursche, der mehr als tausend Renne als Erbtheil zu erwarten hatte: kurz der Heirathshandel ward abgeschlossen und schon in den nächsten Tagen die Trauung in der Kirche zu Kautokaino vollzogen. Unna und Anund kehrten nach zehn Tagen zurück. Hohe Schneemassen deckten die Erde, nur ein Lappe konnte sich mit seinem wunderbaren Ortssinne hier zurecht finden. Im Pulk, dem lappischen, bootartigen Schlitten sitzend, vom besten Rennthiere gezogen, in doppelte Rennthierpelze gehüllt, die Füße von Pelzstiefeln umschlossen, den Kopf mit der lappischen Pelzmütze bedeckt, so können sie es wohl aushalten, obwohl es eine grimmige Kälte ist. Das Rennthier ist vorn an der Spitze des Schlittens mit einem Zugstrange befestigt, der ihm zwischen den Füßen durchgeht und sich am Halse mit der Halfter vereint, während über ihm der mit Schellen und flatternden Haarbüscheln verzierte Bogen der Schlittenkufen sich wölbt. Die Reise ging vortrefflich, kein Unfall unterbrach sie, wohl fünfzehn nordische Meilen – 221/2 deutsche – wurden an jedem der beiden ersten Tage zurückgelegt. Das Rennthier lief bald in kurzem Trabe, bald in Sprüngen galoppirend, wo es aber steil hinabging, da schoß es blitzschnell in die Tiefe mit dem Schlitten. Nur einige Male wurden unsere Lappen umgeworfen, das Rennthier hörte nicht auf zu laufen, die Reisenden saßen in dem kleinen Boote dicht auf dem Schnee und wurden so auf diesem fortgeschleppt, bis es ihnen gelang, das Fahrzeug im vollen Laufe wieder aufzurichten.

So brach der dritte Tag an, trübe Wolken hatten schon gestern einen Schneesturm angekündigt, immer dichter wurden die Nebel, Schneemassen stürzten herab. Da blieb nichts übrig als zu dem gewöhnlichen Mittel zu greifen, Löcher in den Schnee zu graben und dort geduldig zu warten, bis es besser würde. Unsere Reisenden sind bald zugeweht, die dicken Pelze schützen sie in dem weißen, feinen Bette. Das Rennthier war ihre einzige Sorge, würde es jetzt davonlaufen oder von Wölfen und Bären angefallen, sie waren in der unermeßlichen Schneewüste verloren. Das treue Thier liegt im Schnee gleich seinen Herren begraben, und scharrt mit dem Hufe nach der nährenden Flechte. So liegen sie fast einen Tag, der Sturm legt sich und mit ihm der Schneefall. Man bricht auf und rüstig geht die Fahrt den ganzen Tag über weiter. Aber noch ein zweites Abenteuer erwartet die Reisenden am letzten Tage. Schon hat man die Waldregion erreicht, immer höher werden die Fichten- und Birkenstämme. Es ist gegen Mittag, die Sonne steht gleich einem gewaltigen Feuerballe hell und strahlend nur wenig über dem Horizonte, um baldigst unter zu gehen. Plötzlich gewahrt man, wie aus der Ecke eines eben durcheilten Waldes, tief in Schneenebel verhüllt, ein dunkles Rudel Thiere herausstürzt. Daß es Wölfe sind, ist unsern Lappen nicht zweifelhaft. Unna führt den Lenkriemen in der Hand, das Rennthier hat das heisere Geheul der gierigen Rotte vernommen, und stürzt angsterfüllt mit der Schnelligkeit des Windes auf der hügeligen Fläche vorwärts, während Anund, ein tüchtiger Schütze, der oft schon den Vogel im Fluge mit der Kugel tödtete, die Lappenflinte zur Hand nimmt. Sie ist mit einer Kugel geladen. Eben hat er losgedrückt und einen der vordersten Wölfe niedergestreckt, als plötzlich unweit des Schlittens ein zweiter Wolf aufspringt und mit dem Rennthiere ein Wettrennen beginnt. Das erschreckte Thier bäumt hoch auf, erwartet seinen Feind, schlägt den anspringenden Wolf mit einem furchtbaren Schlage seines linken Vorderfußes nieder und eilt in Hast davon, während Anund noch zwei der näher gekommenen Wölfe durch sicher gezielte Schüsse tödtet. Das hungrige Rudel stürzt über die getödteten Cameraden und zerfleischt sie mit gierigem Zahne, so daß Anund und Unna es bald aus dem Gesichte verlieren. Die Nacht bricht herein, doch eine Nacht, die nicht Nacht ist; das strahlende Nordlicht schuf Tageshelle, bis wenige Stunden darauf das Gebell der Hunde die Nähe einer Gamme verkündigte. Es war Unna’s Gamme, jene achtzig Meilen waren, trotz des Aufenthaltes, in noch nicht fünf Tagen wohlbehalten zurückgelegt worden.

Die Schnelligkeit des Rennthieres im Schlitten ist eine außerordentliche, und grenzt oft an’s Unglaubliche. Norwegische Beamte versichern, daß sie oft achtzehn Meilen mit demselben Rennthiere in einer Tour zurückgelegt haben, ja auf dem Schlosse zu Drottningholm zeigt man ein Gemälde, ein Rennthier nebst Schlitten und Treiber vorstellend, unter folgender Erklärung: In Folge eines plötzlichen unvermutheten Einfalls der Norweger in das schwedische Gebiet im Jahre 1699 wurde ein Officier auf einem mit einem Rennthiere bespannten Schlitten nach Stockholm abgeschickt, um Kunde von dem Vorfalle zu bringen. Derselbe that dies in solcher Eile, daß er 124 schwedische Meilen, gegen 180 deutsche, in 48 Stunden zurücklegte. Gleich nach seiner Ankunft in der Hauptstadt sank das treue Thier leblos auf dem Ritterplatze nieder.




Das Wasserglas.
Eine geschichtliche, technisch-chemische und volkswirthschaftliche Skizze.
Von Dr. Franz Doebereiner.

Auf der Rückreise von der Weltausstellung zu Paris im Jahre 1854 hatte Herr von Liebig Gelegenheit, in Lille ein großartiges Etablissement, wo Wasserglas dargestellt wird, kennen zu lernen und in Erfahrung zu bringen, daß dieses Fabrikat in Frankreich bereits eine sehr verbreitete Anwendung finde. Liebig machte darüber alsbald in dem Abendblatt der „Neuen Münchener Zeitung“ eine Mittheilung (s. unten), welche in die gelesensten Zeitblätter überging und dadurch eine bereits vor etwa vierzig Jahren gemachte deutsche Entdeckung in Erinnerung brachte. Liebig’s Worte scheinen nothwendig gewesen zu sein, um die Aufmerksamkeit des deutschen Publikums auf diese Entdeckung zu leiten.

Das große Interesse, welches das Wasserglas in unseren Tagen nicht allein bei den Gewerbtreibenden und Künstlern, sondern auch bei jedem Gebildeten erregt, so wie auch die Wichtigkeit, die dasselbe bald in der Land- und Volkswirthschaft erzielen wird, haben mich veranlaßt, in diesen der Belehrung und Unterhaltung gewidmeten weit verbreiteten Blättern eine skizzenhafte Auffassung über die Geschichte, die Darstellung, Eigenschaften und Verwendung des Wasserglases und dessen volkswirthschaftlichen Werth bekannt zu machen, wozu ich mich aus besonderen Gründen verpflichtet und, da ich mich selbst vielseitig mit Versuchen über Wasserglas beschäftige, berechtigt fühle.

„Professor Fuchs in München verdient für die Entdeckung des Wasserglases den Dank der Welt, und dieser wird ihm werden, denn die Erfahrung lehrt, daß die Welt sich stets für die Arbeiten desjenigen Chemikers interessirt, welcher geneigt ist und

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: theis
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_198.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)