verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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und Regierung, das Geld zum Bombardiren für die Interessen des Opiumschmuggels, zu geheimer Hauseinbrecherei in Persien u. s. w. ab; was geben sie dafür? Recht, für welches die Indier bezahlen, nur damit man es ihnen nicht gebe.
Schutz der Person und des Eigenthums? Folgende Thatsache corrigirt diese Vorstellung gründlich. In einer vor mir liegenden Zeitung von der Insel Ceylon heißt es: „Die Cholera wüthet in Indien immer ärger, als irgendwo. Jetzt hat sie die schönen Inseln Mauritius und Bourbon fast ganz entvölkert. Diese Inseln werden ungemein reichlich mit Schweinefleisch von Calcutta aus versorgt, auch von Patna. Hier aber wie in Calcutta sorgt die englische Regierung dafür, daß die Eingebornen nicht beerdigt, sondern in den heiligen(!) Ganges geworfen werden. Wenn man vom Gouvernements-Gebäude aus oder an den drei Canälen, welche Calcutta umgeben, früh spazieren geht, sieht man stets Heerden Schweine geschäftig, die über Nacht in’s Wasser geworfenen Leichname zu verzehren. Hier, wie bei Patna, sieht man Hunderte von Leichen am Ufer angeschwemmt, und Heerden von Schweinen sie grunzend durchwühlen und auffressen. Die Polizei begnügt sich damit, die übrig bleibenden Skelette und zerfressene Stücke den Tag über zu versenken. Aber die Schweine finden jeden Morgen dieselbe neue Nahrung. Diese so gemästeten Schweine werden nun geschlachtet, in Speck und Schinken und Pökelstücke zerschnitten, verpackt und auf den Markt gebracht. Der größte Markt für dieses von Leichen (und Choleraleichen) gewonnene Schweinefleisch ist Bourbon und Mauritius. Ein ganzes solches Schwein kostet in Calcutta nicht mehr als 3 bis 4 Schillinge (1 Thlr. bis 1 Thlr. 10 Sgr.), so daß man auch die von Indien nach England fahrenden Schiffe damit verproviantirt. So kommt es auch auf die Märkte von Europa und Amerika.“
Solche Geschäfte blühen unter englischer Regierung. Dazu denke man an die Steuereinnehmertortur, an die absichtlich unterdrückte Polizeireform, an den Ueberfall in Persien, an die von Lord Palmerston 1849 (Blaubuch, Seite 137 wörtlich abgedruckte) erlassene Drohung, daß er die ganze Stadt Canton zerstören und kein Haus stehen lassen wolle, wenn man den monopolisirten Opiumschmuggel der ostindischen Compagnie noch ferner behindere, an den wirklich für diesen Opium geführten Krieg, an das wirklich bombardirte Canton – und man hat vorläufig genug zu der Vermuthung, daß die menschlicheren (wir wollen nicht sagen: christlichen) Staaten ein Recht haben würden, sich etwas mehr Constitutionalismus und Menschlichkeit von England auszubitten, als England sich gegen Neapel anmaßen zu wollen schien. In Neapel soll die Polzei schlimm sein, aber es ist noch lange keine Polizei von Calcutta. In Neapel begräbt man die Todten auch nicht sanft, aber man füttert doch auch nicht in constitutionell-westlich-civilisirter Weise die Schweine damit.
Hoch im Norden Scandinaviens und des von ihm begrenzten Rußland, in dem nördlichsten Theile Europa’s, lebt in Zerstreuung und Vereinzelung das Volk der Lappen, zwar nur noch etwa 11,000 Köpfe zählend, von denen die Hälfte auf Norwegen kommen mag, aber gleichwohl merkwürdig in Sitte und Lebensweise. Tritt man von Westen, über die dem nördlichen Norwegen vorgelagerten Inseln der Loffoden kommend, in die norwegischen Finnmarken ein, so ist es die wilde Erhabenheit der großen Westfjords, jener tiefen Meerbusen, welche in wunderlicher Verschlingung schluchtenartig in die hohe, mit steilen Felswänden umsäumte Küste hineinragend, das Auge mit Staunen, das Herz mit Erbeben erfüllen. Hinter dem hohen Küstenwalle und auf den ihn umlagernden gleich hohen Inseln, ragen Hunderte von schwarzen Bergen empor, meist mit weißleuchtenden Schneefeldern den größten Theil des Jahres hindurch oder an ihren Abhängen mit Gletschern bedeckt, die im goldenen Schmuck von Morgen- und Abendroth, im magischen Schimmer des Vollmondes und in der feurig düstern Pracht des Nordlichtes blitzend, ein Schauspiel darbieten, welches in unverlöschlichen Zügen in der Seele des Wanderers fortlebt. Dies ist die großartige Stätte, auf welcher einen Theil des Jahres der Lappe seine zeltartige Hütte, die Gamme oder Kote aufschlägt, um bald darauf weiterziehend sie wieder abzubrechen und an anderen Stellen aufzurichten. Denn der Lappe ist Nomade, seine Lebensweise wird durch das Renn bestimmt, jenes sonderbare Thier, das ihm Pferd, Kuh, Kameel und Schaf zugleich ist, und ihm Alles gewährt, was er zu seinem Dasein bedarf.
Die Lappen sind Glieder des großen Finnenstammes und, soweit unsere geschichtliche Kenntniß reicht, die frühesten Bewohner Scandinaviens, ehe sie von den germanischen Stämmen aus ihren alten Wohnsitzen in die gegenwärtigen verdrängt wurden. Von Person sind sie fast durchgängig klein, die meisten Männer messen unter fünf Fuß, eine Größe, welche die Weiber nicht einmal erreichen. Für gewöhnlich ist ihre Kleidung sehr einfach. Alle, ohne Unterschied des Geschlechts, tragen bis auf die Knöchel reichende Beinkleider von grobem Wollenzeug, über welche sie Halbstiefeln von gegerbtem Leder, und im Winter, wo ihr ganzer Anzug Pelzwerk ist, von Rennthierfellen ziehen. Diese dichten, weichen Stiefeln werden, um das Eindringen des Wassers beim Durchwaten der vielen Sümpfe auf den Hochmooren zu verhindern, mit Riemen so fest zusammengebunden, daß kein Anderer als der Lappe dies zu ertragen vermöchte, und selbst dieser bekommt dünne Beinknochen und schiefe Knöchel. Gleichwohl ist er behend, bei den mühsamen Wanderungen durch Sümpfe und über Klippen und Felsen seiner Gebirge so ausdauernd, daß es nicht leicht ein Normanne mit ihm aufzunehmen vermag. Den Oberleib des Lappen bedeckt zur Sommerzeit ein blaues oder braunes grobwollenes, blousenartiges Hemd, welches von einem mit Messing oder Zinn, wenn nicht mit Silber verzierten Gürtel zusammengehalten wird. In ihm liegen sein Messer, seine Ringe, sein Geld, ja selbst einige metallene Figuren, Amulette gegen Zauberei, an welche die Lappen noch fest glauben, wogegen sie wiederum von den Normannen, Schweden und Russen für gewaltige Zauberer nicht allein gehalten, sondern selbst mit den furchtbarsten Todesstrafen belegt worden sind. Namentlich stehen sie in dem Rufe, das „Wetter“ machen zu können, und der Stadtvogt Lee in Tromsoe, ein unterrichteter, trefflicher Mann, erzählt, daß er die Acten eines alten Hexenprocesses durchgesehen, in welchem der angeschuldigte Lappe die Frage: ob er Wetter machen könne? nicht allein mit Bestimmtheit bejahete, sondern auch eingestand, er könne sowohl Sturm erregen, als den Wind blasen lassen, woher er wolle, trotzdem daß ihm dies Geständniß den Tod brachte.
Eine ziemliche Verschiedenheit herrscht unter den Lappen, doch bilden den eigentlichen ursprünglichen Kern dieses Volkes jene nomadisirenden, welche auf den hohen Fjellen oder Bergflächen mit ihren Rennthierheerden weiden und, je nach der Jahreszeit, bald nach der Meeresküste, bald nach den tiefer gelegenen Waldregionen hinabziehen. Von diesen Berglappen, welche wir als den eigentlichen Kern später auf ihren Zügen begleiten und sonach näher kennen lernen werden, haben sich als halbverkümmerte Zweige die Bettel- und Fischlappen geschieden, während die Waldlappen der unteren Bergregionen mehr feste Wohnsitze aufgeschlagen und die unstät nomadisirende Lebensweise verlassen haben. Der Bettellappe treibt sich theils als Vagabund auf den hohen Fjellen herum, nicht selten vom Rennthierraube lebend, theils ist er unter die ansässige Bevölkerung in die Kirchspiele hinabgestiegen, um als fleißiger und geschickter Mann sich durch mancherlei, selbst die schmutzigsten Arbeiten zu nähren. Gleich dem indischen Paria ist ihm das Brandmal der Verachtung aufgedrückt. Ein freieres Naturleben führen die Fischerlappen. Wir finden sie in festeren Wohnungen, Baracken von Brettern und Zweigen, auch als Besitzer von einigen Rennthieren, doch vermindert sich deren Zahl immer mehr, da eine Rennthierheerde von weniger als zweihundert Stück bald zu Grunde geht. Die Hauptbeschäftigung des Fischlappen besteht in dem Fischfange in den Flüssen und Seen
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_195.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)