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Seite:Die Gartenlaube (1857) 185.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

No. 14. 1857.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Auf der Eisenbahn.
Vom Verfasser der „Neuen deutschen Zeitbilder.“

Im vorigen Sommer besuchte mich ein alter, langjähriger Freund aus Deutschland. Dieser Freund ist noch ein ausgezeichneter Polizeibeamter in einer großen deutschen Residenz.

Wie? höre ich manchen Leser ausrufen, ein deutscher Polizeibeamter besuchte den Verfasser der neuen deutschen Zeitbilder? Ich antworte für heute nur mit der Frage: Warum nicht? – In der Schweiz erlaubt man sich Manches, was man in königlichen oder kaiserlichen Staaten unterläßt, und in der Nähe der freien Alpen wird man auch offener, freier in seinen Mittheilungen. Mein Freund erzählte mir Mancherlei und darunter viel Interessantes, so auch die nachfolgende Begebenheit. – Er spielt selbst eine nicht unbedeutende Rolle darin; um so mehr führe ich ihn redend ein.

Im verflossenen Sommer, so erzählte er mir, kam eines Tages ein Bekannter, der Kaufmann B., mit sehr verstörtem Gesichte zu mir. Er müsse meinen Rath, wo möglich meine Hülfe in Anspruch nehmen, er fürchte, er sei ein verlorner Mann, wenn ich ihm nicht helfen könne. Vor acht Tagen habe er seinen Reisenden mit der Summe von zwanzigtausend Thalern in Cassenscheinen und Banknoten nach der Provinz P. geschickt, um Landesproducte – B. hatte ein Productengeschäft en gros – einzukaufen und sofort baar zu bezahlen. So eben erhalte er durch den Telegraphen die Nachricht von seinem Reisenden, daß diesem auf der Eisenbahn zwischen den Stationen R. und K. die ganze Summe mit der Brieftasche, worin er sie gehabt, während er im Coupé geschlafen, gestohlen worden sei. Er habe den Diebstahl in K. entdeckt und sofort den Behörden Anzeige davon gemacht; es seien auch alle Schritte zur Ermittelung und Verfolgung des Thäters eingeleitet, allein bis jetzt völlig vergeblich.

Das war die kurze, aber inhaltschwere Mittheilung. B. war ein noch junger Mann, der vor wenigen Jahren sein Geschäft mit einem nur mäßigen Capital, aber mit desto größerem Geschick und Fleiße begonnen, und der in der That seitdem mit Glück operirt hatte. Allein er hatte Recht, die Summe von zwanzigtausend Thalern war ein zu großer Verlust für ihn und er war ruinirt, wenn er nicht wieder zu dem Seinigen kam. Er war ein braver, junger Mann und stand im Begriffe sich zu verheirathen, seine Braut war ein liebenswürdiges Mädchen, die Tochter eines meiner Freunde. Das Alles war eine unabweisliche Aufforderung für mich, ihm mit allen meinen Kräften zu helfen. Doch wie? Die Nachrichten waren sehr dürftig; nur die nackte Thatsache lag vor; alle Nebenumstände fehlten, an welche allein Maßregeln zur weiteren Verfolgung anzuknüpfen waren. Durch den Telegraphen waren speciellere Mittheilungen, die nur einigermaßen ausreichen konnten, nicht zu erhalten. Durch Hin- und Hercorrespondiren wurde Zeit verloren, und Zeit verloren hieß hier beinahe Alles verloren. Andererseits war ich in K. und der ganzen Umgegend völlig unbekannt.

Es blieb zunächst, wenn ich helfen wollte, nur ein Weg übrig. Ich mußte mich, und zwar sofort, an Ort und Stelle nach K. begeben, um dort selbst genau den Thatbestand zu untersuchen und danach einen ferneren Operationsplan zu entwerfen und auszuführen. B. war auf das Dankbarste damit einverstanden. Er konnte mich nicht begleiten, denn es stand zu erwarten, daß der Unfall morgen oder übermorgen der Handelswelt bekannt wurde, und war Herr B. nicht zugegen, um auf allerlei Anfragen Auskunft zu geben, so konnten nur zu leicht mancherlei ihm nachtheilige, selbst die böswilligsten Muthmaßungen entstehen.

Ich fragte ihn nur noch näher nach seinem Reisenden, nach dessen Charakter und Verhältnissen, ob etwa – man müsse doch, zumal in einer so wichtigen Angelegenheit, alle Seiten erwägen – an eine Unterschlagung, an eine Vorspiegelung der ganzen Diebstahlsgeschichte zu denken sei. B. wies den Gedanken völlig zurück. Der Reisende, Rudolph Hertel, sei ein durchaus redlicher und unbescholtener junger Mann, der schon seit drei Jahren in seinem Geschäft sei und sich immer nicht nur treu und brav und seinem Herrn anhänglich, sondern auch außerdem in seinem Lebenswandel still, ordentlich und streng sittlich bewiesen habe.

Meine amtliche Wirksamkeit erstreckte sich nicht bis nach K. Ich begab mich daher zunächst zum Minister, um mir Urlaub und Befehle an alle Behörden des Landes, so wie selbst offene Requisitionen in das Ausland hinein zu jeder Verfolgung des Verbrechers zu erbitten. Der Minister ertheilte sie mir bereitwillig, und mit dem nächsten Eisenbahnzuge fuhr ich nach K. ab.

Ich traf in dem kleinen Landstädtchen am folgenden Morgen ein. In der Nähe des Eisenbahnhofes sah ich einen dem Anscheine nach neuen Gasthof. Ich vermuthete dort den Reisenden, den ich zunächst aufzusuchen hatte, jedenfalls konnte ich dort Nachricht über ihn erhalten. Ich begab mich dahin und fragte nach dem Herrn Rudolph Hertel. Er war da. Ich erkundigte mich, wie es ihm gehe. Der junge Mann, antwortete mir der Wirth, sei seit seinem gestrigen Unfalle wie vernichtet. Außer zum Zweck der mit ihm angestellten amtlichen Verhöre habe er sein Zimmer nicht verlassen, wo er, ohne mit Jemanden zu sprechen, ja fast

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_185.jpg&oldid=- (Version vom 24.2.2017)