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Seite:Die Gartenlaube (1857) 162.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)


Vorlesungen über Kunst.
Von Chr. Schuchardt in Weimar.
1. Ueber die vervielfältigenden Künste.
Was sind vervielfältigende Künste? – Der Holzschnitt eine deutsche Erfindung. – Ein heiliger Christoph der bekannte Aelteste. – Betrügerische Nachahmungen. – Die Erfindung der Buchdruckerkunst eine Folge der Erfindung des Holzschnittes. – Clair-obscur (Helldunkel) ebenfalls deutsche Erfindung. – Neuester Stand der Holzschneidekunst.

Die Gegenstände, worüber ich in dieser Stunde etwas mitzutheilen gedenke, sind so allgemein bekannt, daß es fast überflüssig scheinen könnte, nur ein Wort darüber zu sagen. Wer kennt nicht Holzschnitte, Kupferstiche aller Art und Lithographien!

Es geht aber damit, wie mit tausend andern Dingen, welche wir täglich gebrauchen, die wir benennen, ohne nur zu fragen, woher sie kommen, wie sie entstehen, was für Anstrengungen ganznr Generationen, oft ganzer Jahrhunderte erforderlich waren, um sie zu dem jetzigen Grad der Vollkommenheit zu bringen.

Sich davon, soweit es geht, eine allgemeine Kenntniß, eine Klarheit zu verschaffen, das unterscheidet in gewisser Beziehung den Gebildeten, der auf Alles achtet, was die Menschheit nach ihrem Ziele bewegt, von dem Ungebildeten, der gedankenlos durch das Leben geht, der eben so gleichgültig das Product der edelsten Anstrengung hochbegabter Menschen ansieht, wohl gar dem Untergange weiht, wie er eine Blume unbeachtet unter seine Füße tritt.


Es veranlaßt dieses Thema, vielerlei zur Sprache zu bringen; und „Wer Vieles bringt, wird manchem Etwas bringen,“ meint schon der Theaterdirector in dem Vorspiel zu Faust. Das läßt auch mich hoffen, daß man am Ende diese Stunde nicht für eine ganz nutzlos verbrachte zu halten veranlaßt sei.

Vielleicht ist die Bezeichnung „vervielfältigende Künste“ nicht ganz deutlich, weshalb ich einige Worte darüber vorausschicken will. Man nennt jetzt alles Kunst, was über das gewöhnliche Handwerk hinausgeht, ja selbst dieses, sobald es mit feinem Sinn, mit Geschmack und Eleganz betrieben wird. Und deshalb verdient ein Handwerker oft mit mehr Recht den Namen eines Künstlers, als manche Andere, welche die Kunst handwerksmäßig betreiben. Wer sich nun zum Lebensberuf gewählt hat, Werke der bildenden Kunst in einer Weise darzustellen, daß sie auf mechanischem Wege vervielfältigt werden können, den rechnet man dann mit Recht zu den Künstlern, wenn er es in einem solchem Grade fähig ist, daß er die vorzüglichsten, die wesentlichsten Eigenschaften eines edlen Kunstwerkes zur Anschauung bringt. Die Vervielfältigung geschieht nur durch Abdruck und deshalb zählt man diese Künste auch zu den Druckkünsten.

Von welcher außerordentlichen Wichtigkeit die Erfindung sei, bildliche Darstellungen der verschiedensten Art in’s Unendliche zu vervielfältigen, davon kann unsere Zeit, die in Ueberfluß fast erstickt wird, gar nicht mehr das volle Bewußtsein, das rechte lebendige Gefühl haben; der Ueberfluß macht uns gleichgültig, ungenügsam. Durch die Erfindung, bildliche Darstellungen durch den Druck zu vervielfältigen, hat auch die wichtigste der Erfindungen, die Buchdruckerkunst, erst ihre Vollendung, ihren Abschluß erhalten. Tausende von Büchern sind nicht im Stande, durch ihre Beschreibungen von Gegenständen das zu leisten, was eine bildliche Darstellung vermag. Es gibt auch fast keine Wissenschaft, die sie völlig entbehren könnte: Geschichte aller Art, Geographie, Astronomie, Naturwissenschaften, wie stände es damit ohne Abbildungen; nicht zu gedenken der Verbreitung edler Kunstwerke, welche die Spitze aller höhern menschlichen Ausbildung überhaupt ausmachen.

Diese Wichtigkeit ist auch der Grund, weshalb verschiedene Nationen sich so lange und erbittert um die Ehre der Erfindung der verschiedenen Manieren der vervielfältigenden Künste gestritten haben und noch streiten.

Dem Material nach, dessen man sich dabei bedient, gibt es zwei Hauptgattungen der Vervielfältigungen: in Holz und Metall; der Manier, der Art und Weise nach gibt es ebenfalls nur zwei Hauptgattungen: Hochschnitt und vertieft gravirte Darstellungen. In neuester Zeit ist noch eine dritte Art hinzugekommen: der chemische Druck von Stein- oder Metallplatten.

Von diesen Unterschieden, von der Zeit der Erfindung jeder der verschiedenen Manieren, und darüber, wem die Ehre der Erfindung jeder derselben zukommt oder noch bestritten werde, will ich jetzt das Hauptsächlichste mittheilen.

Die älteste Manier der vervielfältigenden Künste ist der Hochschnitt. Gewöhnlich sagt man Holzschnitt, weil am häufigsten Holz dabei verwendet worden ist. Erst in neuester Zeit haben Einige gemeint, durch genaue Untersuchungen ermittelt zu haben, daß man zu den frühesten Hochschnitten Metall gebraucht habe. Nun läßt sich zwar ziemlich genau erkennen, ob ein Abdruck von einer Holz- oder Metalltafel genommen sei, es ist aber damit nichts gewonnen, weil es auch sehr viel alte Holzschnitte gibt, und von den ältesten Metallschnitten keiner ein bestimmtes Datum hat, am allerwenigsten eines, das älter wäre, als das auf dem bekannten ältesten Holzschnitte.

Bei den Hochschnitten in Holz und Metall sind die Linien, welche Umrisse und Schattenstriche, also die bildliche Darstellung geben, hochstehend; die Grundfläche aber, welche beim Abdruck auf dem Papier weiß bleiben soll, wird vertieft. Es ist ganz so wie beim Bücher- oder Letterndruck; und gewöhnlich werden Holzschnitte auch in derselben Presse und zwar, wenn es erforderderlich ist, zugleich mit dem nöthigen Text, darum in beweglichen Lettern, abgedruckt.

Das älteste Denkmal dieser Gattung ist ein heiliger Christoph, welcher das Christuskind auf seinen Schultern durch’s Wasser trägt. Er ist bekannt unter dem Namen des Burxheimer Christoph, weil er 1769 in dem Kloster Burxheim in Ottobeuern, Kreis Schwaben, entdeckt wurde. Dieser Holzschnitt hat die lateinische Unterschrift: Cristoferi faciem, die quacunque tueris, illa nempe die morte mala non morieris[1] und die Jahrzahl 1423. Es ist davon nur ein einziges Exemplar bekannt, das eben genannte, und das befindet sich jetzt in der Bibliothek des Lord Spencer in England. Im Jahr 1806 erkaufte zwar das Pariser Kupferstichcabinet ein zweites Exemplar; bei dem Vergleich aber mit dem Lord Spencer’schen, zu welchem Zweck der Besitzer seinen Bibliothekar, Herrn Dibdin, mit dem Schatze nach Paris kommen ließ, ergab es sich, daß das Pariser Exemplar nur eine Copie sei, aus einem Journal entnommen, das Herr von Murr in Nürnberg herausgegeben hat, und zwar aus dem Jahrgang 1776. Durch Färben des Papiers und sonstige Manövres hatte man demselben ein veraltetes Ansehen gegeben. Ueber den förmlichen Congreß, der zu dieser Vergleichung zusammengerufen wurde, ist zwar so recht Bestimmtes nicht zu Tage gekommen. Herr Dibdin gibt aber in seiner Reise nach Frankreich an, daß das Pariser Exemplar von einer spätern Platte, aber ebenfalls mit der Jahrzahl 1423 bezeichnet, genommen sei. Mr. de Laborde dagegen, als tüchtiger Kenner und Schriftsteller in diesem Feld bekannt, spricht bestimmt aus, daß das Pariser Exemplar nichts als ein mit Kaffee gefärbtes Exemplar aus dem von Murr’schen Journal sei.

Hätte der Director des Pariser Cabinets die nöthige Kenntniß von der Beschaffenheit des Papieres in den verschiedenen Perioden gehabt, oder sich darüber belehren lassen, so würde er sich diese Demüthigung erspart haben. Diese Kenntniß ist oft deshalb entscheidender als selbst die feinste Kunstkenntniß, weil sie bestimmt nachzuweisen ist, während die aus dem gründlichsten Studium gewonnene Kenntniß diejenigen nicht überzeugen kann, welche nicht einen gleich gebildeten Sinn haben. Ja, es begegnet nicht selten, daß die Unwissenheit in solchen Fällen siegt, weil auf ernstes Studium sich gründende Kenntniß von ihr so gern verdächtigt, für Sonderbarkeit, Caprice, Dünkel ausgelegt wird.

Einen andern Beleg zu dem Gesagten will ich noch anführen: In einer Cölner Auction kam vor einigen Jahren eine Raphael’sche Zeichnung vor, die der verstorbene Besitzer um hohen Preis

  1. An dem Tage, an welchem Du das Bild des heiligen Christophs anschauest, wirst Du nicht eines schlimmen Todes sterben.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_162.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)