verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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No. 12. | 1857. | |
Die Saison in Alexanderbad war sehr still. Die launische Mode wechselt mit den Bädern so gut, wie mit den Trachten, und nur Wenige wagen es, ihrem Scepter zu widerstreben. Auch Alexanderbad ist diesem Wechsel erlegen. Es kann nicht mehr wetteifern, wie einst, mit den hessischen Bädern, die durch ihre Spielbanken die fashionablen Schwindler zu sich locken, noch mit Wiesbaden und Kissingen, noch mit den nahen böhmischen Bädern, die den alten Ruf behaupten, noch mit dem gleich nahen sächsischen Bad Elster, das alle Anstrengungen macht, sich empor zu schwingen. Die schönen Tage, da die Königin Louise von Preußen hier Hof hielt, und das nahe Felsengebirge „Luxenburg“ ihr zu Ehren „Louisenburg“ genannt ward, scheinen nicht wiederkehren zu wollen unter bayrischem Scepter. Aber wenn auch die Zahl der Curgäste verhältnißmäßig klein, so wächst doch die der Vergnügungsreisenden, die es berühren, seit der Strom derselben auch wenigstens einige Arme von sich in das Fichtelgebirge sendet.
Zu diesen Vergnügungsreisenden gehörte auch Bruno Meinhardt. Ein rüstiger Fußgänger im blühendsten Jünglingsalter, durchwanderte er an einem heißen Sommertage in Begleitung eines der Gegend kundigen Führers diese reizendste Partie des Fichtelgebirges. Ueberall war es einsam und menschenleer gewesen, und es war darum kein Wunder, daß er lauschend stehen blieb, als auf der Louisenburg die ersten Menschenstimmen an sein Ohr schlugen, und sie klangen ihm um so melodischer, da es zarte weibliche Stimmen waren, die hier in fast wehmüthigen Tönen mit einander flüsterten. Ohne die Sprecherinnen zu sehen oder von ihnen gesehen zu werden, blieb er hinter einer der abenteuerlich gestalteten, mit Moos überzogenen Felsenwände stehen, an denen dieser wundersame Berg so reich ist, und lehnte sich mit dem Ohr an eine Spalte, die auch die leisesten Worte zu ihm hindurch dringen ließ.
„Wir brauchen nur um diese Ecke zu biegen und sind an dem Jean Pauls-Platz,“ erklärte der Führer. Aber Bruno winkte ihm heftig Schweigen zu und daß er hier warten möge, und hörte den ungesehenen Sprecherinnen zu.
Sie waren offenbar viel zu sehr in ihr Gespräch vertieft, um auf das zu achten, was etwa in ihrer Nähe sich regen mochte, und er hörte die Eine zu der Andern in schmerzlich aufgeregtem Tone sagen: „Ich dachte in Dir eine Bundesgenossin, Beistand und Hülfe zu finden – und nun bist Du selbst gegen mich und stimmst den Anderen bei, statt mich zu beschützen!“
„Du bist ungerecht, Amanda!“ antwortete eine ruhig klingende Stimme, „ich habe Deiner Familie gegenüber ihrem Plan noch mit keiner Silbe beigestimmt – aber im Innern muß ich es thun, wenn ich Alles bedenke, um Deines eigenen Wohles willen. Du erliegst diesen kleinlichen, täglich wiederkehrenden Quälereien – Du hast mir mehr als einmal versichert, daß Du die unaufhörlichsten Kämpfe mit Dir selbst zu bestehen hast – Deine Jugend vergeht unter verstohlen geweinten, bittern Thränen; die Widerwärtigkeiten, die Du verbergen mußt, und die darum doppelt schwer zu ertragen sind, zehren an Deiner Gesundheit – die Alexanderquelle kann Dir so wenig helfen, wie irgend ein anderes Heilmittel, wenn Dein Gemüth nicht ruhig wird – und das kann nicht eher geschehen, als bis Du, dem jetzigen Kreise entrückt, ein neues Leben beginnst, das Du Dir nach Deinem Gefallen gestalten kannst.“
„Und das hältst Du für möglich an der Seite eines ungeliebten Mannes?“ rief Jene erstaunt. „Mir ist, als wären alle Kämpfe in meinem jetzigen Verhältnisse Kinderspiel gegen die in einer solchen Ehe, zu der man mich zwingen will.“
„Aber seit wann ist Dir denn Blumenbach unangenehm?“
„Seit er um mich wirbt!“
„Das ist nur eine Mädchengrille, ich kenne das. Wir bilden uns Alle ein Ideal aus den Romanen und Gedichten, die unsere Phantasie beschäftigen. Das Ideal eines Mannes, das wir im Leben nicht finden, und das Ideal einer Liebe, die noch viel weniger existirt. Wohl uns, wenn wir uns endlich von diesen Träumen los machen, statt in nie zu stillender Sehnsucht unsere besten Kräfte zu verzehren; wenn wir aufhören, überspannte Ansprüche zu machen und bescheiden vorlieb nehmen mit dem Gebotenen. Ich habe auch resignirt –“
„Und bist Du denn glücklich?“ unterbrach sie Amanda rasch.
„Wenigstens glücklicher, als Du jetzt bist;“ antwortete Jene nach einer Pause mit einem nur halb unterdrückten Seufzer, „so glücklich, wie es die meisten Frauen sind, die an der Seite eines rechtschaffenen Mannes ihren Pflichten leben und alle romantischen Träumereien überwunden haben. Eine solche Frage solltest Du nicht thun – Du kennst mein Leben!“
„Diese Antwort sagt mir genug,“ antwortete Amanda, „genug, um es mir klar zu machen, daß, wenn ich nachgebe, wenn ich den Verhältnissen mich opfern ließe, ich nur ein Schattenleben führen würde! O, daß ich keine Seele finde, die mich versteht, kein Wesen, mich zu beschützen!“
„Hier an dieser geweihten Stelle ist es Ihnen nah!“ rief plötzlich eine begeistert tönende Männerstimme; „sie trägt nicht
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_157.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)