verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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No. 10. | 1857. | |
Am Charfreitag des Jahres 1474 bot die Stadt Breisach im Elsaß einen seltsamen Anblick dar. Während die ganze Christenheit an diesem Tage in allen Städten und Dörfern, sonntäglich gekleidet, zu den Kirchen und Domen eilte, um unter Gebet und Gesang die Todesfeier des Heilands zu begehen, und in der Nähe und Ferne die Glockentöne hell und klar durch die Morgenluft klangen und die Gemeinden zum Gottesdienst riefen, in den Walddörfern des nahe gelegenen Schwarzwaldes, wie in den Alpenthälern des nachbarlichen Bernerlandes, zog zu Breisach in der neunten Morgenstunde ein dichter Haufen Volkes: Männer, Frauen, Jünglinge und Mädchen in ihren Werkeltagskleidern und mit Hacken, Schaufeln, Spaten, Karren und Aexten ausgerüstet, hinaus aus dem Stadtthor zu den Ufern des Rheins, welcher unweit der Stadt vorbeifließt. Zur Linken und Rechten der Leute aber ritten mit blanker Wehr und Waffe burgundische Reiter, Flamländer und Picarden, wilde, verwegene Gesichter, die in ihrer rauhen, fremden Sprache die Säumigen, die hie und da hinter dem Zug zurückblieben, mit gotteslästerlichen, wüsten Flüchen zur Eile antrieben. Zuweilen traf auch wohl ein Schlag mit der Klinge die Schultern eines alten Mannes oder einer schwachen Frau, die seufzend unter der ungewohnten, schweren Last der Hacken und Schaufeln, die sie trugen, mit den rüstigeren Gefährten nicht gleichen Schritt halten konnten. Erscholl dann ein jäher, schriller Schmerzensschrei der Getroffenen, so blickten die Männer und Jünglinge mit finsteren, zornigen Blicken zu den Reitern empor, und trotz dem heiligen Tage entfuhr mancher Fluch den Lippen der Bürger und manche Faust faßte den Stiel der Hacke oder Axt fester, während die Zähne im verbissenen Grimm knirschten. Doch die Reiter kümmerten sich weder um die drohenden Blicke, noch um die zwischen den Zähnen gemurmelten Flüche. Die Verwünschungen und Flüche verstanden sie nicht, und über die Drohblicke lachten sie, im Gefühl jener übermüthigen Sicherheit, die dem Bewaffneten seine Wehr dem Wehrlosen gegenüber fast immer verleiht, nicht beachtend, daß sich in der Hand der haßerfüllten Männer der Kieselstein am Wege, den der Huf ihrer Rosse traf, zum tödtlichen Wurfgeschoß, die Erdhacke zur mordenden Streitaxt verwandeln könnte … –
So ging der Zug weiter und weiter bis zu den Ufern des Rheins, von welchem tiefe, frischaufgeworfene Erdgräben sich eine ziemliche Strecke weit nach der Stadt hinzogen. Die Reiter stiegen von den Pferden, die sie zusammenkoppelten, und trieben dann das Volk zur Arbeit an, die darin bestand, von dem Rheinufer an breite Gräben bis an die Mauern der Stadt und um diese herum zu ziehen. – Als der ganze Haufe nun in Thätigkeit war und hier von den Männern gehackt und gegraben, dort von den Frauen und Mädchen die Erde in den Karren weggefahren und wieder an anderer Stelle von den alten Leuten, die zum Graben und Fahren zu schwach waren, die Erde zusammengeschaufelt wurde, setzten sich die Reiter auf den grünen Rasen, um, während das Volk fuhr, grub und schaufelte, zu trinken und zu würfeln.
So früh es auch noch im Jahre war – es war im Monat April – so fielen die Strahlen der Sonne doch schon heiß auf die arbeitenden Männer und Frauen nieder, und lockten auf manche, von der Anstrengung geröthete Stirn helle Schweißtropfen. Am härtesten aber wurde die schwere Arbeit den Frauen und Mädchen, deren Körperkräfte die ungewohnte Anstrengung kaum zu ertragen vermochten. Und doch bat Keine von ihnen einen der Reiter, die in sorgloser Trägheit zusahen, wie sich das arme Volk abmühte und plagte, um Nachsicht oder Befreiung von der Frohnarbeit, denn sie kannten die rohe Weise dieser verwilderten Krieger, die weder Zucht noch Sitte achtend, das Schrecken aller Frauen und Mädchen der Stadt und des platten Landes waren. –
Die Arbeit an den Erdgräben mochte ungefähr drei Stunden gewährt haben, als zwei der Männer, die am äußersten Ende des einen Grabens arbeiteten und mit scharfer Hacke die Erde aufrissen, in der Ferne leichte, aufwirbelnde Staubwolken erblickten. Der Eine der Männer, eine große, kräftige Gestalt mit breiten Schultern und starken Armen, legte, um die Augen vor den Sonnenstrahlen zu schützen, die Hand an die Stirn, und blickte dann scharf nach der Richtung, wo die Staubwölkchen von der Landstraße aufwirbelten.
„Er ist es, Heinrich,“ sprach er nach einigen Secunden unverwandten Hinschauens zu seinem jüngeren und schwächer gebauten Gefährten, und ein Ausdruck des tiefsten Hasses wurde in den für gewöhnlich ruhigen, ernsten Zügen des Mannes sichtbar; „ich erkenne ihn und seine Begleiter. Es ist der Vogt des Herzogs mit den beiden Baronen, dem Bilgeri von Hewdorf und Konrad von Eptingen.“
„Wer ist es?“ rief der Andere mit erschrockener Miene, während sein Auge mit ängstlich besorgtem Ausdruck von dem heransprengenden Reitertrupp zu einer Gruppe junger Frauen flog, die eben im Begriff waren, auf einem grünen Rasenhügel ihr Mittagsmahl zurecht zu legen; „der Landvogt – der Hagenbach?
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_129.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)
- ↑ Es dürfte für die Leser der Gartenlaube von Interesse sein, zu erfahren, daß die Thatsachen, aus welchen die Erzählung beruht, rein historischer Natur sind, selbst die Namen der darin handelnden Hauptpersonen sind nicht erfunden. Der Verf.