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Seite:Die Gartenlaube (1857) 101.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

No. 8. 1857.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0 Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Spekulation und Freundschaft.
Novelle von August Schrader
(Fortsetzung.)


„Nein, nein,“ rief Peters, „ich werde schweigen wie das Grab. Der Herr Rendant soll durch mich nicht in Unannehmlichkeiten gerathen – ich weiß, daß Sie sein Freund sind – ach, Herr Rath, ich danke Ihnen im Namen meiner armen Familie!“

Dem Kassendiener rannen die Thränen über das Gesicht, als er sich mit dem Gelde entfernte. Der Rath warf seinen Mantel um, und eilte nach der Wohnung des Präsidenten, der den Besuch in seinem Arbeitszimmer empfing. Bronner erzählte, was er so eben erfahren hatte.

„Die Sache wird bedenklich!“ murmelte Seldorf. „Der Rendant führt das Fräulein von Hoym zu Balle, und jetzt gibt er dem Sekretair eine solche Summe aus der fürstlichen Kasse?“

„Vergessen Sie nicht, Herr Präsident, daß er sie in acht Tagen der Kasse zurückerstatten wird.“

„Ernesti und der Sekretair sind Verbündete, und Beide bauen auf den Schutz des Fräuleins von Hoym. Wir wollen sehen, wie weit sich dieser Schutz erstreckt. Mein Freund,“ sagte Seldorf, dessen Augen glüheten, „sobald Sie erfahren, daß Bergt seinen Wechsel eingelöst hat, werden Sie mir es mittheilen.“

Der Rath ging in die Ressource, wo er den Hofkommissär anzutreffen hoffte. Der Jude saß allein an einem Tische und las die Wechselkourse in den Zeitungen.

„Wie stehen die Papiere?“ fragte Bronner, indem er dem Lesenden die Hand auf die Achsel legte.

Der Jude sah lächelnd auf.

„Für mich gut!“ flüsterte er.

„Das heißt?“

„Bergt hat heute bezahlt.“

„So stehen die Papiere auch für mich gut.“

„Freuet mich, Herr Rath! Nehmen Sie Platz, ich habe Ihnen etwas mitzutheilen.“

Bronner setzte sich. Der Jude nahm seine Cigarre aus dem Munde, und flüsterte ihm über den schmalen Tisch zu:

„Ich habe Ihre viertausend Thaler, wie Sie es gewollt, zurückverlangt.“

Wir bemerken, daß der Jude mit dem Gelde des Rathes wucherte, ohne daß Jemand um dies Gewerbe des würdigen Mannes wußte.

„Wollen Sie Ihr Geld zurückhaben oder soll ich es weiter verwenden?“ fragte Spanier.

„Es kommt auf die Verwendung an.“

„Der junge Ernesti sucht fünfhundert Thaler auf zwei Monate.“

„Der Lieutenant?“

„Ja, Herr Rath.“

„Gut, geben Sie ihm das Geld auf Ehrenschein.“

Der Lieutenant Ernesti trat in das Zimmer. Die beiden Männer unterbrachen ihr Gespräch und beobachteten eine Haltung, die nichts von dem geschäftlichen Verhältnisse verrieth, in dem sie standen; man hätte glauben mögen, sie seien sich einander völlig fremd. Der Rath trank eine Tasse Thee, und entfernte sich. Kaum hatte er das Zimmer verlassen, als Albert Ernesti rasch zu dem Juden trat.

„Ich suchte Sie, Herr Hofkommissär.“

„Das konnte ich mir denken, Herr Lieutenant,“ antwortete lächelnd der Jude.

„Nun?“

„Ich habe Alles aufgeboten, um Ihren Wunsch zu erfüllen. Bemühen Sie sich morgenfrüh in meine Wohnung, und Sie werden fünfhundert Thaler auf Ehrenschein erhalten. Zweifeln Sie nicht mehr an der Freundschaft, die ich für Ihre Familie hege.“

Der Lieutenant drückte dem Geschäftsmanne gerührt die Hand.

Der folgende Tag brachte schlechtes Wetter; der Regen fiel in Strömen aus dem düstern Himmel. In den Straßen rauschte das Wasser über das schlechte Steinpflaster, man sah nur wenig Menschen, die flüchtig von einem Hause zu dem andern eilten. Die Residenz war in einen Nebelschleier eingehüllt, der je dichter wurde, je mehr der Abend sich näherte. Das Licht der spärlich angebrachten Laternen war völlig unwirksam. Die sonst so freundliche Stadt bot einen traurigen Anblick. Alte Leute meinten, sie hätten nie einen so starken Regen erlebt.

Es war gegen sechs Uhr Abends, als Henriette in ihrem Zimmer am Klavier saß. Der Regen prasselte an die Fenster wie schwere Hagelkörner. Da ward die Glocke an der Hausthür gezogen. Die junge Frau sah nach der Uhr. Es war noch zu früh, als daß sie ihren Mann erwarten durfte, der erst gegen sieben Uhr sein Bureau verließ. Die Magd trat ein.

„Madame, eine Dame wünscht Sie zu sprechen!“

„Eine Dame, und bei diesem Regenwetter! Wer ist sie?“

„Ich kann sie nicht erkennen, sie ist verschleiert und in einen großen Mantel gehüllt.“

„Cäcilie!“ dachte Henriette, und eilte auf die Hausflur hinaus.

Da stand die verschleierte Dame, durchnäßt von Regen; aber es war nicht Cäciliens Gestalt.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_101.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)