verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
|
No. 7. | 1857. | |
„Was würden alle diese Leute sagen,“ dachte Bergt, „wenn man mir das Haus und die Möbel verkaufte, oder wenn man mich in das Schuldgefängniß brächte?“
Er ging rascher. Mit Schweiß bedeckter Stirn erreichte er die Thür des Juden, der ein freundliches Haus an der Promenade bewohnte. Bebend zog er die Glocke. Ein junges Mädchen, die Tochter des Hofkommissärs, öffnete.
„Fräulein Lydia, kann ich Ihren Herrn Vater sprechen?“
„Ja, Herr Sekretair, er ist zu Hause!“ war die freundlich ertheilte Antwort. „Bemühen Sie sich in sein Zimmer, das Sie kennen, und Sie werden ihn antreffen.“
Lydia, ein Mädchen von neunzehn Jahren, war eine jener pikanten Erscheinungen, wie man sie nicht selten in vornehmen Judenfamilien antrifft. Als einzige Tochter des reichen Kommissärs hatte sie eine Erziehung genossen, die sie weit über die jungen Mädchen ihres Standes erhob. Lydia war nicht nur von besonderer Schönheit, sie war auch im hohen Grade geistreich. Wir werden sie später kennen und schätzen lernen.
Der Sekretair stieg die Treppe hinan, und klopfte an eine der Thüren auf dem Korridor des ersten Stockes. Eine tiefe Baßstimme forderte zum Eintreten auf. Bergt öffnete – er stand vor dem Hofkommissär. Der Jude war ein langer, korpulenter Mann mit einem ernsten, fast strengen Gesichte; die große, wie der Schnabel eines Geiers gebogene Nase und die scharfen Blicke seiner großen, runden Augen, die wie Kohlen unter ergrauten buschigen Brauen glüheten, dazu das fast haarlose Haupt mit einem spärlichen Kranze grauer Locken im Nacken verliehen ihm ein gebieterisches, imponirendes Ansehen. Er befand sich noch in Schlafrock und Pantoffeln. Als Bergt eintrat, legte er die Feder nieder und drehete sich auf seinem kreischenden Schreibsessel halb zur Seite, indem er den Besuch ruhig ansah.
„Sie haben mir diesen Morgen einen Brief gesandt,“ begann Bergt, nachdem er seinen Hut abgelegt.
„Ja, Herr Sekretair,“ antwortete ernst der Jude.
„In der Angelegenheit, die der Brief berührt, erlaube ich mir, Ihnen einen Besuch abzustatten.“
Der Jude fragte, indem er einen Stuhl heranschob: „Bringen Sie Geld, Herr Sekretair?“
„Nein, mein Herr!“ antwortete Bergt mit einem schmerzlich demüthigen Lächeln.
„Nehmen Sie Platz, mein Herr!“ Bergt ließ sich nieder.
„Sie haben mir eine so kurze Frist gestellt, Herr Hofkommissär, daß ich Sie bitten muß, den Zahlungstermin um vier Wochen hinauszuschieben.“
„Ich bedauere, mein lieber Herr, Sie auf Ihre Bitte abschläglich bescheiden zu müssen.“
„Bedenken Sie, woher ich in so kurzer Zeit viertausend Thaler nehmen soll?“
Der Jude zuckte seine breiten Achseln.
„Sie wissen seit drei Monaten,“ murmelte er, „daß Ihr Wechsel abgelaufen ist. Warum haben Sie sich nicht bemüht, das Geld zu schaffen?“
„Ich habe nicht minder auf den Geschäftsmann, als auf den mir freundlich gesinnten Kapitalisten gerechnet. Sie allein kannten bis jetzt meine Lage – ich bin fürstlicher Beamteter – sollte ich mich noch einem Dritten entdecken?“
„Dies zu vermeiden wird Ihnen unmöglich sein, Herr Sekretair, wenn Sie nicht eigene Hülfsquellen besitzen. Ob das Unvermeidliche nun vier Wochen früher oder später eintritt – was kann Ihnen darauf ankommen? Aber mir liegt Alles daran, mein Geld so bald als möglich zurückzuerhalten. Das gerichtliche Verfahren gegen Sie nimmt seine bestimmte Zeit in Anspruch – –“
„Herr Hofkommissär, wollten Sie wirklich Ihre Rechte so streng geltend machen?“ fragte Bergt mit bebender Stimme.
„Es sollte mir leid thun, wenn es bis zum Aeußersten kommen muß.“
„Sie werden mich ruiniren!“ stammelte der Sekretair.
„Lieber Herr, auch ich gehe zu Grunde, wenn mir das Kapital länger entzogen bleibt. Man hält mich für reich, und diesen Glauben muß ich erhalten, wenn ich als Geschäftsmann nicht meinen Kredit verlieren will. Ich agire mit fremden Kapitalien – auch Ihnen, mein Herr, habe ich Gelder geliehen, die mir anvertraut waren. Ist von meiner Seite nicht genug geschehen, indem ich die Wechselfrist um drei Monate verlängerte? Ich bitte, dringen Sie nicht weiter in mich, meine Disposition ist getroffen, und eine Aenderung derselben ein Ding der Unmöglichkeit.“
„So bin ich ruinirt, verloren!“ rief Bergt, indem er aufsprang und hastig durch das Zimmer ging. „Die Wechselhaft bringt mich um meinen Posten – der neue Präsident ist ein strenger Mann – großer Gott, was soll ich thun, was soll ich beginnen? Wissen Sie kein Auskunftsmittel, Herr Hofkommissär?“
Der Jude ergriff seine Feder wieder.
„Wenn ich mir zu helfen wüßte, lieber Herr, würde ich Ihnen Nachsicht geben,“ antwortete er ruhig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_089.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)