Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1857) 088.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

und kalt, so daß das Oel in den Lampen erstarrte, und nur höchst schwache Erleuchtung des Kajütensaales zuließ. Der Nebel lag dicht und schwer, Alles mit fast undurchdringlicher Finsterniß einhüllend. Rauschend rollten die Wogen über das Deck, wenn das Schiff, ein neuer französischer Klipper, mit seinem scharfen Vordertheile in den sich ihm entgegenstürzenden Wellenberg eindrang (wir gingen 10 Knoten). Es hatte sich unsrer eine weniger heitere Stimmung, als gewöhnlich, bemächtigt, ein Widerschein der trüben, kalten Natur, welche uns umgab; bald kam das Gespräch in’s Stocken und ruhig saßen wir da, Jeder mit sich selbst beschäftigt oder den Rauchwolken nachschauend. Plötzlich stürzte der Obersteuermann herab, und rief dem Kapitain einige Worte zu. Obgleich dies nur das Werk eines Augenblicks war, hatten wir doch den Sinn dieser Worte aufgefaßt, deren schreckliche Bedeutung uns sofort der Gedankenträumerei entriß. „Ein Schiff abordirt uns!“ Im Nu hatten wir den Kajütensaal durcheilt, waren die Treppe hinauf geflogen und starrten hinaus in die Nacht, unsern Feind suchend. Wir waren im Wellenthale und auf dem Gipfel der nächsten Welle sahen wir die dunkle Masse eines großen Dreimasters, der mit vollen Segeln und günstigem Winde auf uns herabstürzte. Der Kapitain sagte trocken: „Wir sind verloren – bereitet Euch vor!“ und still stand er am Mast, erwartend des Schicksals Wille; denn in seiner Macht stand nichts, der Gefahr zu entgehen, das Schiff konnte nicht gewendet werden wegen des ungünstigen Windes, und uns blieben nur wenige zwischen Leben und Tod entscheidende Augenblicke. Die Matrosen schrieen, beteten, sandten noch Abschiedsgrüße an die Heimath und die Lieben, Allen schien der Tod unvermeidlich und Jeder bereitete sich vor auf das kalte, nasse Grab. Der Gedanke, hier von diesen schwarzen, unheimlichen Wogen verschlungen zu werden, mochte Jedem fürchterlich sein, und veranlaßte einen Matrosen zu dem Ausrufe: „Hier zu sterben, heißt zweimal sterben!“ Gewiß, wäre er in dem blauen Meere und der linden Luft der Tropen gewesen, der Tod hätte leichter geschienen. Von dem andern Schiffe tönte lautes Fluchen und Schreien zu uns herüber, ohne daß wir die Personen selbst hätten erkennen können. Dumpf klangen die Glocken der beiden Schiffe durch den pfeifenden Wind und erhöhten das Unheimliche des Eindruckes. Und doch war Alles dies in nur wenige Augenblicke eingeschlossen, nur auf einen kurzen Zeitraum drängte sich diese Fülle von Gefühlen, kreuzten sich die Gedanken und flog der Geist in die Ferne zu dem, wovon Jeder für sich im Stillen Abschied nahm. Mein Entschluß zur Rettung, wenn solche möglich, war gefaßt. Das fremde Schiff, als das abordirende, war weniger gefährdet, als das unsrige, welches dem Stoße seine lange Seite darbot. Konnte ich ein Seil erfassen, so hatte ich Hoffnung, davon zu kommen. In der angstvollen Erwartung standen wir regungslos. Näher kam die drohende Masse, lauter wurden die Ausbrüche der Angst, jetzt war es noch wenige Ellen und ein Schrei des Entsetzens rang sich aus mancher Brust. Doch der Himmel war uns gnädig, das Meer selbst trat als Vermittler auf, eine herbeirollende Woge erhob uns und schleuderte den Feind hinter uns vorbei, uns nur die Seile des Gig fortreißend und den Bord des Hintertheils beschädigend. Lange noch standen wir, sprachlos dem sich bald im Nebel verlierenden Schiffe nachschauend, bis der fröhliche Ausruf der Matrosen uns zurückrief. Schnell waren die Gedanken an Gefahr verschwunden, und lachend gestand ein Jeder, daß er zwar den Tod nicht gefürchtet hatte, aber ein wärmeres Wassergrab diesem kalten am Kap vorgezogen haben würde.




Gutzkow’s Narrenwelt. – Bei jedem Neuen, das der Feder Karl Gutzkow’s entstammt, können wir darauf gefaßt sein, etwas Bedeutendem und Anregendem zu begegnen, irgend einer neuen Idee, einem kühnen Gedanken, einem Etwas, das aus den Tiefen des Seelenlebens hervorgezogen ist oder als Geheimnißvolles und Verstecktes in der Gesellschaft überall mitwirkend und bestimmend geruht hat. Schärfe des Urtheils[WS 1] im Allgemeinen, wie im Besonderen, Vielseitigkeit des Schaffens und Gestaltens, Reichthum an Ideen, Gedanken und Bildern und eine Gestaltungskraft, die auch die widerstrebendsten Stoffe zu bewältigen vermag, das sind die Vorzüge Gutzkow’s, die ihm Eingang in alle Volksschichten verschafften, die seinen Namen populär gemacht haben. Einen neuen Beweis für seine unerschöpfliche Produktionskraft mit allen Eigenthümlichkeiten, die wir eben erwähnten, gibt uns „die kleine Narrenwelt.“ 3 Bände. Frankfurt a. M., Verlag der literarischen Anstalt. 1856.

Das Ganze ist, so zu sagen, eine Aus- und Durchführung der mephistophelischen Worte: „der Mensch, die kleine Narrenwelt –,“ die auch dem Werke als Motto vorangestellt sind. All’ die kleinen menschlichen Schwächen und Eigenheiten, alles Das, was in uns oft so närrisch prickelt und pustet, all’ die tausend Widersprüche, denen wir im Leben an Andern und uns selber begegnen, und die wir doch nicht reimen können, all’ die Absonderlichkeiten und Eigenheiten, die z. B. in der Ehe zuweilen die Veranlassungen zu subtilen Verzweiflungen sind, finden wir in der „kleinen Narrenwelt“ mit überraschender Wahrheit und, was eben so viel werth ist, recht natürlich erklärt hingestellt, so daß wir bald einem guten Freunde zu begegnen glauben, den wir jetzt besser verstehen; bald der eignen Frau, die uns ferner kein Geheimniß mehr ist, bald, verzeih’ lieber Leser! uns selbst. Die Geschichten der Narrenwelt sind nicht lang ausgesponnene; es sind kleine Toilettenspiegel mit geschliffenem Glas; man erkennt sich darin bis auf die einzelnen grauen Haare, die wir der Wirklichkeit gern wegdisputiren möchten. So schildern uns „die Kourstauben“ in unübertrefflicher Charakteristik ein Weib, wie es viele gibt, die in schmeichelnder Selbsttäuschung sich für poetisch hält, Gedichte liest und einen Dichter sogar interessant findet. Die Art aber, wie dieser poetische Schleier fällt und die realistische Natur sichtbar wird, ist überraschend fein gedacht und eine der genialen Wendungen, an welchen Gutzkow in stofflichen Gestalten so reich ist.

Im zweiten Bande treffen wir auf eine längere Erzählung: „die Nihilisten.“ Hertha, als die Repräsentantin der modernen weiblichen Bestrebung nach dem Rechte eigenster Selbstbestimmung kommt in eine Reihe natürlich gedachter und spannend verwebter Verhältnisse, die ihr über das Herz, als den weiblichen Kopf, hinausgewachsen sind, so daß ihr die gewohnte Umschau, die einstige Klarheit abgeht. Constantin und Leonhard sind vortrefflich gezeichnet, gleichsam durchschnittene Menschen, in denen wir jede Faser, jede Arterie liegen sehen. Junker Hans ist eine Figur, die trotz aller Rauhheit und Derbheit dennoch unser Interesse festhält, einer jener drolligen Käuze, die am Schliffe der Civilisation absterben. Die Erzählung ist ein Gewebe des Natürlichen und psychologisch Tiefsinnigen und von spannendstem Interesse bis zum letzten Wort.

„Ein deutsches Dichterleben“ im 3. Bande gibt uns ein traurig, trübes Bild von der Existenz des deutschen Genius, wenn er nicht mit goldenen Flügeln geboren ist; Duller ist eine Aufforderung mehr an die deutsche Nation, ihre Geister zu schützen, daß sie nicht im Bildungsdienste des Volkes elend und gebrochen verkümmern! – All’ die kleinen Skizzen, Abhandlungen, Urtheile und Meinungen, an welchen „die kleine Narrenwelt“ so reich ist, sind mit jener Schärfe, Wahrheit und liebevollem Eingehen auf ihre Gegenstände geschrieben, daß sie den unwillkürlichen Eindruck des Gründlichen, Wahren und Richtigen machen. – Gerade die genaue Kenntniß von Welt und Menschen, wie sie Gutzkow besitzt, diese Schärfe der Beurtheilung und die immer pikante, an überraschenden Wendungen so reiche Sprache befähigen ihn vor Allen, die kleinen Narrheiten und Thorheiten, die wir zur beliebigen Auswahl in uns tragen und womit wir uns sogar zu Zeiten freundschaftlich aushelfen, an’s Licht zu ziehen und uns die Würmer zu zeigen, die sich in das Holz gebohrt haben, aus welchem wir uns im guten Glauben schnitzten, daß es vom besten Kerne sei!




Bürger’s Andenken. In der ersten Nummer der Gartenlaube dieses Jahres wird Bürger’s Grab erwähnt und darauf hingewiesen, wie dasselbe wieder aufgefunden, aber auch noch immer, gleich dem dornenvollen Leben des Dichters, verwahrlost sei.

Dornen und Disteln hat sich Bürger im Leben freilich reichlich durch eigene Schuld gepflanzt und durch seine Leidenschaft genährt, so daß er sich nach dem sittlichen Urtheile der Welt, das durch Schiller vorzüglich einen Ausspruch erhalten, kein Denkmal erworben hat; in der poetischen Nationalliteratur nimmt er jedoch, seiner Balladen wegen, einen eminenten Platz ein und die Musen Göttingens müssen deshalb mit Wehmuth auf ihres Lieblings Grab blicken, daß unter der durch Pietät geheiligten Akazie sich profanes Unkraut und Disteln eingenistet haben. Ob nun jener Blick der Musen die Jünger der Göttinnen an einem ihrer ersten Sitze in Europa zum Opfer eines würdigen Denkmales unter den Schatten der Akazie bewegen wird, muß die Zukunft lehren. Daß wenigstens eine würdige Ausschmückung des Grabes von den Priestern des Musentempels in Göttingen besorgt werde, erwartet man mit Recht und Zuversicht. Zur Berichtigung oben erwähnter Notiz muß aber für Auswärtige bemerkt werden, daß die Freunde Bürger’s bald nach dessen Tode ihm schon ein Denkmal „Urania“ gesetzt haben, welches in dem vormals Ullrich’schen Garten aufgestellt und darauf in die Anlagen vor dem neuen Thore versetzt worden ist. Ob dieses der Bürger’schen Muse und dem Geschmacke ihrer Jünger, so wie den Anforderungen der Kunst genügt, kann ich nicht beurtheilen; mich hat es kalt gelassen und mich daran erinnert, daß fast alle Manen der Genossen des Göttinger Dichterbundes, trotz ihrer dichterischen Größe, wenig ober gar nicht durch äußere Denkmäler geehrt worden sind. In der Umgegend von Göttingen lebt jedoch Bürger’s Name noch frisch im Andenken. Noch zeigt man dem Wanderer zu Niedeck des Dichters alterthümliche Studirstube; noch führt man ihn oberhalb Benniehausen an den Negerborn, der aus neun Quellen sein Krystallwasser in die Garte sendet und dessen Najade Bürger (1774) besungen; noch geleitet man ihn auf die einige Stufen höher gelegene Felsenbank im Nußwäldchen, wo er in seinem „Sorgenfrei“ an Elisens Hand (seine erste Gattin) sich am Frühlingsmorgen gern aufhielt, um den köstlichen Anblick in’s Gartethal zu genießen, das er in seiner lieblichen Idylle: „das Dörfchen“ (1771) so schön gezeichnet, und wo er an der Seite seiner Molly (1773) im bleichen Mondenscheine, beim Tanze der Elfen, unter den Geistertönen des Uhus, sein Lied schuf: „Leonore fuhr um’s Morgenroth empor aus schweren Träumen etc.;“ noch macht man mit ihm, unter Gesprächen über des armen Dichtern Leben, einen Gang in das schaurig romantische Felsenthal bei Reinhausen, das den Namen des Unglücklichen führt und wo derselbe, entfernt von dem Geräusche der Welt und seinen Sorgen, mit den Musen verkehrte. Die genannte Gegend hat Bürger in seinen Balladen verewigt; die Umgegend verewigt dessen Namen.

S. –

Berichtigung. In der Gartenlaube Seite 709 von 1856 unter „Eine Kriegsrechnung,“ die nach einem Auszuge aun dem Berichte des französischen Kriegsministers gegeben ward, ist die Stelle: „jede Minute aus jedem Mörser“ u. s. w. offenbar ein Irrthum, der sofort einleuchtet. Da uns weder der Originalbericht, noch der Auszug jetzt gerade zugänglich ist, können wir die Stelle nicht durch bestimmte Zahlenangabe berichtigen. Es kommt ja auch hier nicht darauf an, sondern auf eine Vorstellung von den ungeheuern Kosten und Ausrüstungen.



Nicht zu übersehen!

Alle Einsendungen von Manuscripten, Büchern etc. etc. für die Redaktion der Gartenlaube sind stets an die unterzeichnete Verlagshandlung zu adressiren.

Leipzig.

Ernst Keil.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: der Urtheils
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_088.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)