Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1857) 087.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

von der warmen, heitern, weichen Luft herstellen zu lassen, schreibt über das Gefängniß- und Fangwesen so:

„Es ist mir nicht möglich, mit Ruhe diesen Hafen und diese Herrlichkeiten der Natur zu genießen. Neulich weidete ich mein Auge an dem herrlichen Farbenspiele des ruhigen Sonnenunterganges, und sah hinunter weit über den farbig aufglänzenden Meerbusen. Nicht lange und ein langer Transport Gefangener ward an mir vorbeigetrieben, Gefangene wegen gewöhnlicher Polizeivergehen und Gefangene wegen politischer Gesinnungen. Die Handgelenke Aller waren mit starken Stricken so fest auf dem Rücken aneinander gebunden, daß Vielen die Hände furchtbar aufgeschwollen waren. Dabei trieben die Soldaten mit ihren Gewehren bald den Einen, bald den Andern, der Ermüdung und Ermattung verrieth. Es waren lauter „Condannati“ (Verurtheilte) zu sechs bis zehn Jahren.

Da das Königreich beider Sicilien keine Kolonieen hat, kann es diese Unglücklichen nur im Lande selbst verbannen; sie werden gewöhnlich auf öden Inseln an der Küste untergebracht, wenn nicht in die furchtbare Festung auf der Insel Maretimo eingegraben. Die Gefangenen zerfallen in zwei Klassen: Schuldige und Unschuldige, oder condannati, prozessorisch Verurtheilte oder auch im Prozeß Freigesprochene, die aber dennoch wegen verdächtiger Umstände im Gefängnisse bleiben müssen; die zweite Klasse besteht aus Untersuchungsgefangenen, die von der Polizei gefangen, in deren Händen bleiben, ohne daß sie so leicht zu einer Entscheidung über ihre Lage kommen. Diese Letzteren „alla disposizione della Policia“ sind durchweg am schlimmsten dran. Die condannati wissen doch, wie lange? und ihre Natur kann sich bald gegen das Schrecklichn ihrer Lage abstumpfen, da es einen Anfang und ein Ende hat, eine Gestalt.

Aber die Unschuldigen und auf einen bloßen Verdacht, auf die Denunciation eines Feindes hin polizeilich Verhafteten können nicht einmal erfahren, in wie viel Jahren sie einmal wirklich untersucht werden, wessen sie beschuldigt sind und auf wie viele Jahre sie dann zu dulden haben. Verhaftung und Einkerkerung auf bloßen Verdacht hin kommt leider sehr oft vor, und zwar in der Regel auf den Rath von Herren, die bezahlt, und sonst in jeder Weise bevorzugt werden, damit sie überall Zutritt haben und horchen und nach Herzenslust denunciren können.

Ich sah eine Truppe Condannati bei ihrer Ankunft im Exile auf einer Insel. Der Sbirro, Polizeibeamte, präsentirte sie dem Richter der Insel, und übergab ihm deren Akten. Nachdem ihre Namen vorgelesen waren, überließ man sie ihrem Schicksale. Sie können essen, was sie bezahlen können und wohnen, wo sie wollen. Sie bekommen von der Regierung täglich etwa drei Silbergroschen. Arbeit und Verdienst gibt’s nicht auf solchen Inseln und im Ueberdrusse präsentirt sich mancher den Behörden mit der Versicherung. daß er „Enthüllungen“ machen könne. „Enthüllungen“ sind ein sehr gesuchter Artikel bei aller despotischen Polizei. Der Enthüllungskandidat wird sofort nach Neapel geschickt und dort „vernommen.“

Die Gefängnisse in und um Neapel stecken voller Verhafteter aus allen Ständen, die nur auf den bloßen Verdacht hin oft Jahre lang sitzen. Jeder Schurke, der einen Gegner seiner Lüste und Launen beseitigen will, denuncirt ihn mindestens als „liberalen Philosophen.“ Das reicht hin, um ihn mitten aus seinem Kreise zu reißen und desto länger unter Schloß und Riegel zu halten, je unbestimmter die Beschuldigung ist. Und nichts wird so grimmig verfolgt, als die heillose Furcht vor „liberalen Philosophen.“ Ein einziger Wink, daß ein unabhängiger Mann „gefährliche Meinungen“ habe, reicht hin, ihn des Nachts aus dem Bette zu zerren und einzusperren. Ein armer, halb blödsinniger Mann, der wegen solcher gefährlichen Meinungen („opinioni“) gesessen hatte, sagte kläglich, ohne das Wort nur zu kennen: „Ich bin bestraft worden wegen Pirioni und weiß nicht mal, wer Pirioni ist.“

Die Zahl Derer, die wegen Opinioni oder Pirioni oder wegen eines Verdachts hin in Gefängnissen liegen und vergessen sind, soll groß sein. Ein neuer Gefängnißdirektor fand in einem Kerker mehrere Dutzende, deren Schuld Niemand anzugeben wußte. Er schrieb deshalb an seine „Behörde“ und meinte, ob diese nicht vielleicht vergessen sein sollten. Die „Behörde“ konnte auch nichts ermitteln, so daß sie wirklich nach Jahren, die Einige im Kerker zugebracht hatten, entlassen wurden.

Unter den politischen Gefangenen ist besonders die Zahl der „crociati“ (Kreuzträger) sehr groß, Leute, die mit Kreuzen auf der Brust nach der Lombardei wallfahrteten, um gegen Oesterreich zu kämpfen. Sie wanderten hin unter Bewilligung ihrer Behörde und unter dem Beifalljauchzen aller Bürger auf ihrem langen Wege. Als Venedig gefallen war, brachte man sie nach Pescara, von da nach Ancona, von da in einem österreichischen Kriegsschiffe zurück nach Neapel. Hier wurden sie alle in Untersuchungshaft gebracht, und befinden sich noch darin, wenn sie nicht gestorben sind. Es waren oft Jungen von dreizehn bis vierzehn Jahren, als sie auszogen, jetzt sind’s Greise oder Leichen. Ich stand selbst am Todtenbette eines solchen Kreuzträgers. Er war vierzehn Jahre alt, der politische Verbrecher, und starb mit Thränen über seine Mutter, mit Thränen, wie sie nur ein nach der Mutter weinendes Kind vergießen kann. Einige Mitgefangene brachten etwas Geld zusammen, um ihrem Leidensgefährten vor dem Riesengrabloche der Armen zu retten, und ihn anständig begraben zu lassen. Dies ward ihnen als Verbrechen notirt und bestraft.

Eines Tages bemerkte ich ein elendes, zerlumptes Individuum mit dem Ausdrucke des Wahnsinns auf einem Felsen sitzend. Zwei Soldaten näherten sich ihm, um ihn zu binden. Ich fragte, was er verbrochen. „Blasphemie!“ war die Antwort. Er schimpfte in der That auf Himmel und Erde, denn er war wahnsinnig. Ich erfuhr hernach, daß es ein bekannter Mensch sei, den der Pöbel schon lange auf jede Weise verhöhnt und mit Steinen geworfen, so oft er sich sehen ließ. War er doch ein Piemonteser, ein Sardinier. Jeder glaubte daher, sich durch einen Steinwurf gegen ihn beliebt zu machen. Die Sardinier sind alle als vogelfrei in Neapel in Bausch und Bogen verfehmt. Das Entsetzlichste aber ist, daß der Wahnsinnige, geboren und unabhängig in Genua, dort als Neapolitaner denuncirt, und deshalb gewaltsam nach Neapel gebracht worden war (zu einer Zeit, als alle italienischen Regierungen ihre „Fremden“ auswiesen). Hier verrieth sich der seines Vermögens und seiner Heimath Beraubte durch seinen Dialekt als Piemonteser, und ward von dem Pöbel der ganzen Stadt mißhandelt, bis er wahnsinnig, von „Blasphemie“ überfließend, gebunden und arretirt ward. Er starb wahnsinnig unter den Händen der Polizei. Alles, was den Behörden nicht gefällt, wird als „Blasphemie“ angesehen und deshalb gepackt und eingesteckt. Es ist die größte Polizeitasche, worin alles Mögliche Platz findet. Wer etwas Unrechtes gesagt, auf etwas Verbotenes getreten, ein Königs- oder Marienbild unehrerbietig angesehen, wird wegen „Blasphemie“ eingesteckt und zwar ohne Ansehen der Person mit Spitzbuben und Mördern zusammen. Von den auf 10, 20, 25 Jahre oder auf Lebenszeit in Eisen Geschmiedeten (Alle, die wegen einer staatsgefahrlichen Handlung oder Theilnahme an einer geheimen Verschwörung verurtheilt wurden) wollen wir nicht sprechen. Was läßt sich über sie mit ruhiger Feder sagen?

Mit welchem Gefühle mögen jetzt die Neapolitaner nach der Lombardei blicken, wo ein hochherziger junger Kaiser den Regungen seines Herzens nachging und mit einem Worte eine Masse Glücklicher schuf und für sich und sein Haus die Liebe eines Landes erwarb, das bis jetzt kalt ihm gegenüber stand?




Blätter und Blüthen.

Momente aus dem Schiffsleben. Die Parthie Domino – erzählte uns der junge A., der erst neulich aus Panama zurückgekehrt war, unsere regelmäßige Unterhaltung nach dem Abendthee – war beendigt, und wir zogen uns zurück auf das Sopha, um bei einer Cigarre ungestört der Unterhaltung nachgehen zu können. Der Wind, welcher sehr heftig blies, und das am Kap Horn so leicht erregbare und sehr hoch und kurz gehende Meer gewaltig aufwühlte, behielt noch immer dieselbe Richtung, welcher er bereits vier Tage gefolgt war, und die uns zwang, anstatt das Kap in zwei Tagen zu doubliren, bis zum 60. Grad südl. Br. hinabzugehen, um dann durch Laviren um die Falklandsinseln zu gelangen. Die See hatten wir von vorn und das Schiff bäumte sich auf und nieder, bald versinkend in den Wellenthälern, bald schwebend auf dem Wellenberge. Die Nacht war rauh

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_087.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)