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Seite:Die Gartenlaube (1857) 067.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Noch schlimmer ist der Hecht von unten. Daß er junge Enten verschlingt, ist durchaus nicht sein schlimmster Fehler. Wenn er wie eine Boa Constrictor gefressen, legt er sich gern im seichten Wasser zur Verdauung, nicht selten an der Mündung einer Pfeife.

Kommen nun die Enten, geführt von ihrer Lockerin, wie eine kleine Flotte angeschwommen, dreht er sich unwillig, zu sehen, was los sei, schlägt mit dem Schwanze, und bringt die ganze Flotte fliehend auf ihre Flügel. So verliert der Mann durch diesen Hechtschwanz vielleicht einen Fang von 100 bis 150 Thalern an Werth.

Und dann der langbeinige Reiher! Wie in Stein gehauen steht er da am Rande, den langen Hals zusammen geklappt, mit funkelnden, kleinen runden Augen, um den Fisch in seiner Nähe blitzschnell mit langem Schnabel zu spießen, zu verschlingen und dann wieder wie steinern still zu stehen, bis wieder ein Fisch in das Bereich seines Spießes schwimmt. Das würde noch nicht so viel schaden, aber er wittert noch viel feiner, als die Enten. Selbst der glimmende Torf entgeht ihm nicht. Mit eigenthümlichem Jammergeschrei fliegt er davon, und warnt damit auch die Enten, die insofern viel Sprachkenntnisse zu haben scheinen, als sie den Warnungsruf einer ganz andern Thiergattung sofort verstehen, danach fliehen und die Mitte des Teiches den ganzen Tag nicht wieder verlassen.

Die Geschäftszeit für den Lockmann ist vom Oktober bis März. Einige Entenarten bleiben das ganze Jahr. Die besten aber kommen vom Oktober an aus den großen Sumpfgegenden von Nordeuropa, und bleiben bis zum Frühlinge, wenn ihre Sommerwohnungen wieder aufgethaut sind.

Diese hocharistokratischen künstlichen Wildnisse und Wildstände haben im Hechte, im Reiher und dem schwarzbraunen pfiffigen Pochard arge Feinde, ärgere aber in der Art, der Schaufel, der niedrigen Karre, dem gemeinen Pfluge. Die französische Aristokratie opferte ihre Vorrechte in einer heißen Augustnacht; der englischen, zäheren, werden sie langsamer, nüchterner, aber gründlicher abgepflügt, und durch Schürfen und Schaufeln sehr allmälig abgewonnen.




Ein Besuch bei Alexander von Humboldt.

Durch die Empfehlung eines jungen Naturforschers, der sich schon längere Zeit der Gunst und Theilnahme des berühmte Gelehrten erfreute, gelang es auch mir, Zutritt bei Alexander von Humboldt zu erhalten. Bei den zahlreichen Besuchen, mit denen der große Mann täglich beschwert wird, ist derselbe genöthigt, eine gewisse Ordnung zu beobachten. Jeder Fremde, der die Bekanntschaft Humboldt´s zu machen wünscht, hat sich deshalb schriftlich an denselben zu wenden. In dem Falle, daß der Besuch angenommen wird, erhält er eines jener kleinen Billets von der eigenthümlichen Hand des Gelehrten, deren Hieroglyphenschrift keineswegs so leicht zu enträthseln ist. Von seinen Reisen schreibt sich Humboldt die Gewohnheit her, auf einer über seinen Knieen ausgebreiteten Mappe sowohl Briefe wie größere Arbeiten zu schreiben; er bedient sich der lateinischen Lettern. Die Zeilen beobachten nicht immer die gerade Linie, die einzelnen Buchstaben schwanken hin und her, und manches Wort bleibt selbst für die eingeweihten Freunde und Verehrer eine unlösbare Aufgabe, die schon Manchen zur Verzweiflung gebracht hat. Die charakteristische, aber keineswegs kalligraphische Handschrift umschließt aber wie ein unscheinbares Gefäß den köstlichsten Inhalt. Jedes dieser Briefchen, selbst das unbedeutendste, legt ein Zeugniß für den Geist und die humane Bildung des Absenders ab. Es sind Reliquien, die der Empfänger sorgfältig zu bewahren pflegt.

Ein solches Briefchen beglückte auch mich, und lud mich zu Alexander von Humboldt ein. Zur bestimmten Stunde stand ich in der Brandenburger Straße vor dem Hause, welches der berühmte Gelehrte schon seit langer Zeit bewohnt. Das Gebäude gehört dem reichen Banquier Alexander Mendelssohn, mit dessen Familie Humboldt seit Jahren schon befreundet ist. Als Humboldt die ihm lieb gewordene Wohnung verlassen sollte, kaufte Herr Mendelssohn das Haus, und sicherte so seinem Freunde und jetzigen Miether den behaglichen Aufenthalt. Dieser Zug einer liebenswürdigen Pietät von Seiten des Banquier verdient gewiss die vollste Anerkennung.

Mit klopfendem Herzen stieg ich die Treppe hinauf, welche nach der Belle-Etage führt. Ein Gefühl von Ehrfurcht überkam mich plötzlich, als ich in das Vorzimmer trat; mir war zu Muthe, als sollte ich mit dem Könige sprechen. Im Reiche des Geistes ist Alexander von Humboldt sicher ein geborener Fürst von Gottes Gnaden, seine Herrschaft erstreckt sich über die ganze Erde, und sein Name wird in den fernsten Weltgegenden mit Bewunderung und Verehrung genannt. Er erschien mir in diesem Augenblicke als ein Welteroberer im höchsten Sinne. Ich dachte an seinen wissenschaftlichen Siegeszug durch das spanische Amerika, durch die Hochebenen Asiens, wie er die Anden bestieg, auf dem Chimborasso die Fahnen der Wissenschaft wehen ließ, die Krater der feuerspeienden Vulkane durchforschte, das Senkblei des Geistes an die Tiefen des Meeres und an die höchsten Gipfel der Erde legte, die Naturkräfte und ihre Gesetze maß und bestimmte, und magnetische Kreise von einem Punkte zum andern zog. Er war mir wie Napoleon Eroberer, Sieger und Gesetzgeber zu gleicher Zeit. Die Nähe eines solchen Mannes hat für uns zugleich etwas Erhebendes und Demüthigendes. Wir werden uns der eigenen Kleinheit und der Größe der Menschheit bewußt. Ich hatte vollkommen Zeit, diesen Gedanken nachzuhängen, und zugleich einen Blick auf meine nächste Umgebung zu thun. Das Vorzimmer war mit ausgestopften Vögeln, mit Fischen und Seethieren einer fremden Zone erfüllt; rings umher standen verschiedene physikalische und astronomische Instrumente, der gelehrte Apparat, mit welchem der Naturforscher die Wunder der Schöpfung enthüllt. An den Wänden hingen einige Gemälde, meist landschaftliche Ansichten ferner und exotischer Gegenden. Das Ganze stimmte zu dem Charakter und Beruf des Eigenthümers, und bereitete den Gast in würdiger Weise vor.

Nachdem ich einige Augenblicke hier verweilt, erschien der Kammerdiener, Herr Seifert, der bereits länger als dreißig Jahre in Humboldt’s Diensten steht, und dessen Begleiter auf der Reise durch die Steppen Hochasiens gewesen war. Seifert genießt im vollsten Grade das Vertrauen seines Herrn, dem er mit unerschütterlicher Treue anhängt. Seine ganze Erscheinung, welche einen gewissen preußisch militärischen Anstrich trägt, erinnert an den ehrlichen Paul Werner in Lessing’s „Minna von Barnhelm“ und ruft uns das Bild jener alten Diener zurück, welche man fast Freunde nennen kann, und deren Gattung in unserer schnell dahin lebenden und wechselnden Zeit bald nicht mehr gefunden werden dürfte. Der Kammerdiener öffnete mir die Thür, und führte mich durch die Bibliothek, welche der geniale Hildebrandt erst kürzlich in seinem trefflichen Bilde abgeschildert hat, in das eigentliche Empfangszimmer des berühmten Gelehrten. Diesmal richtete sich meine ganze Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Erscheinung Humboldt’s selbst. Ein freundlicher Greis in gebückter Haltung trat mir entgegen, und empfing mich mit der humansten und zuvorkommendsten Höflichkeit. Meine schüchtern vorgebrachte Entschuldigung wegen meiner Zudringlichkeit beantwortete er mit einem aufmunternden Lächeln, und bald verlor sich meine Befangenheit im Laufe einer Unterhaltung, die für mich ewig unvergeßlich bleiben wird. Während derselben unterließ ich nicht, das Bild des berühmten Mannes meinem Gedächtnisse für immer einzuprägen.

Die Figur ist nicht groß, eher untersetzt zu nennen, Füße und Hände klein von echt aristokratischer Bildung. Silberweißes Haar umgibt das ehrwürdige Haupt, welches an der hohen und breiten Stirn, dem Tempel des Geistes, den deutlich ausgeprägten Stempel des Genius trägt. Seine Augen sind blau und trotz des hohen Alters ausdrucksvoll und lebendig. Um den fein geformten Mund schwebt ein eigenthümliches Lächeln, halb sarkastisch, halb wohlwollend, voll geistiger Ueberlegenheit und Feinheit, welche nur das Resultat des Wissens und der Erfahrung sind. Während Humboldt spricht, sitzt er gebückt mit auf den Boden gerichteten Blicken vor sich hinsehend; nur von Zeit zu Zeit erhebt er das Haupt, den Hörer freundlich und aufmunternd anlächelnd. In der Unterhaltung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_067.jpg&oldid=- (Version vom 3.2.2022)