verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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So eng England in den meisten Gegenden der dichten Bevölkerung und auch uns im Vergleich zu andern Ländern erscheint, erfreut es sich doch natürlicher und noch mehr künstlicher Wildnisse, welche nie von dem Laute einer civilisirten Thätigkeit erschreckt werden, in denen der schrille Pfiff einer Locomotive, das heisere Geräusch einer gewetzten Sense, das ferne Aechzen eines Segels, der Anblick, ja der Geruch eines Menschen zum unerhörtesten Verbrechen würde. Schon die berühmten „Fen-districts“ (Moorgegenden) lassen oft blos Menschen zu, insofern sie den darin herrschenden befiederten und besinnten Geschöpfen, den lebendigen Vorrathskammern der Wild und Geflügel essenden Standes- und Geldaristokratie, der Helden in der Geflügel-Ausstellung des Krystallpalastes als Wärter und Erzieher, als Einfänger und Vertheidiger dienen. Die darin gehegten und gepflegten Moor- und Sumpfvögel, Teichfische und Amphibien sind heilig, aristokratische Jagd-, Fischerei-, Angel- und Lockteich-Privilegien. Ja selbst das gemeine, wilde Kaninchen, unabsehbare Strecken mit Millionen bevölkernd, ist heilig, so heilig, daß die Magistrate Jungen schon wegen des Verdachts, daß sie möglicher Weise die Absicht gehabt haben könnten, mit einem „Karnikel“ Streit anzufangen, hart bestrafen.
Der Mensch hat immer eine große Vorliebe für das Geheime und Verbotene, sei’s für Geheimrath werden oder verbotene Bücher, für die Geheimnisse der Chemie oder der Kabinette. Sobald ich hörte, daß diese künstlichen Wildnisse dem gewöhnlichen Sterblichen hermetischer verschlossen seien, wie dem besten Riesen-Teleskope die Grenzen des Himmels, nahm ich mir vor, um jeden Preis Zutritt in diese verbotensten Heiligthümer der englischen Jagd- und Wildprivilegien zu bekommen. Ich hatte keine Wahl mehr, es ließ mir keine Ruhe.
Was sonst noch kein Fremder gewagt, sollte es einem courageusen Deutschen nicht möglich werden, in die verborgenen Heiligthümer der Moore von Norfolk und Lincolnshire, in einen Ententeich, einzudringen? Das nagte an meinem patriotischen Herzen. Ich konnt’s nicht ertragen. Jeder Engländer sagte mir: „Nicht möglich! Lächerlich, dies zu versuchen! Ist noch niemals Jemandem gelungen.“
Was liegt daran, einen Ententeich zu sehen, denn darin besteht das ganze Geheimniß. Nichts! Nicht das Geringste. Aber die Unmöglichkeit, ihn zu sehen, das war der meinen Augen hingeworfene Fehdehandschuh, den ich nicht liegen lassen durfte. Ich glaube, es würde nicht halb soviel gestohlen, wenn das siebente Gebot nicht wäre. Wenigstens bin ich überzeugt, daß ich nie daran gedacht hätte, den Ententeich in Lincolnshire zu besehen, wenn ich nicht Jahre lang von allen Seiten gehört hätte, so etwas sei absolut unmöglich und wenn ich nicht Jahre lang mit allen Gesuchen und Petitionen um Zulassung entschieden und einige Male grob abgewiesen worden wäre, wie ich die meisten Merkwürdigkeiten großer Städte, die umsonst zu sehen sind, während Jahre langen Aufenthalts keines Blicks gewürdigt und nur denen meinen Besuch abgestattet habe, die ummauert, mit Brettern und Leinwand vernagelt, nur für Geld zu sehen waren.
Man halte dies nicht für überflüssige Einleitung in die Geheimnisse eines Ententeichs. Es ist kein gewöhnlicher Ententeich, sondern ein Entenlockteich „a decoy“, wie’s die Engländer nennen, ohne daß 10 Menschen eine richtige Vorstellung davon haben. Ich habe in illustrirten Magazinen, ja in naturwissenschaftlichen Büchern der Engländer nur ganz verkehrte Beschreibungen und Abbildungen davon gesehen. Man sieht Jäger mit Flinten in solchen abgebildeten „decoy’s“ mit Jagdhunden. Aber diese künstlichen Wildnisse für wilde Enten und Wasser- und Zugvögel ähnlicher Art sind so empfindlich, daß der bloße Gedanke an einen Schuß die Ernte eines ganzen Jahres verderben kann.
Ich glaube, noch Niemand in England, der schriftstellern und zeichnen kann, hat jemals einen solchen Teich gesehen, wenigstens lassen sich die falschen und verkehrten Schilderungen und Abbildungen davon, die von einer einzigen falschen Phantasiezeichnung in alle Bücher, selbst naturwissenschaftliche übergegangen sind, nicht anders erklären. Um aber nicht zu lange einzuleiten, übergehe ich die ganze merkwürdige Geschichte meiner Liste und Ränke und Diplomatieen, die endlich doch (Ende vorigen Novembers) zum Ziele führten. Es war freilich auch Glück dabei, da ich Zutritt zu einem Lockteich-Eigenthümer ausfindig machte, der sein ganzes Geschäft selbst besorgte, so daß Alles von ihm allein abhing. In größern Anstalten der Art, der Aristokratie gehörig, ist der Zutritt wohl allerdings absolut unmöglich, schon deshalb, weil der einzige Mensch, der die Geheimnisse dieser merkwürdigen Schonungen größtentheils allein betritt, so voller Aberglauben und so eifersüchtig auf sein Monopol ist, daß ihn kein Herr und Eigenthümer zwingen und bewegen kann, nur ihn zuzulassen.
Nachdem mir der aufgeklärte Eigenthümer einer kleinen Anstalt der Art feierlich Eid und Ehrenwort abgenommen, daß ich nie seinen Arm loslassen, mich nicht sehen, nicht hören, nicht riechen lassen, nicht sprechen, nicht husten, nicht niesen wolle, schlichen wir vorsichtig unsern Weg durch Gebüsch und Schilf in das Heiligthum seines Teiches an, Jeder ein Stück glimmenden Torfes in durchlöcherter Blechbüchse vor uns tragend, das beste Mittel, die „Witterung“ menschlicher Nähe für die Bewohner des Teiches zu zerstören.
Seltsamste, panischste aller Naturscenen! Schon meilenweit vor der Wohnung meines „Decoy-man“ (Verwalters und Eigenthümers des Wild-Enten-Lockteichs) hatte jede Spur von Civilisation und deren Geräusch aufgehört. Ein trüber, schwerer Nebel hing über dem niedrigen Buschwerk und in den unabsehbaren Bayonnetten von Schilf-Armeen, die nach allen Seiten hin in trauriger Ebene sich in’s nebelhaft Unbestimmte verloren. Schweigend schlichen wir durch die schweigenden Fußpfade, die durch Schilf über dumpfen Boden hinirrten, hinter uns ein jämmerliches, merkwürdiges Exemplar von stummen Hunde. Die leiseste Luftbewegung wurde laut im seidenen, scharfen Seufzen des Schilfes, das bald mauerartig dicht vor uns stand. Wir waren vor der äußersten Verzäunung angekommen, der äußersten, höchsten Schilffestungsmauer, deren mehrere den sechsstrahligen Teich umgeben und gegen Geräusch und Aussichten schützen. Weitere Umgebungen müssen durch anderes Gestrüpp und Dickicht mindestens anderthalb englische Meilen ringsum jedes lautere Geräusch ausschließen. Diese Umgebungen müssen also künstlich vereinsamtes, wild liegendes Eigenthum des Teichbesitzers und weit und breit vor Menschen und deren Thun und Treiben gewahrt sein. Das macht solche Anlagen in einem Lande, wo Grund und Boden fast überall schon zu enge und deshalb theuer ist, ungemein kostspielig und immer mehr zu Seltenheiten großer aristokratischer Grundbesitzer. Das Pfeifen oder Zurufen eines Pflugknechts, das Geklingel einer Schafglocke, eine gewetzte Sense darf hier nie vernommen werden. Straßen mit knarrenden Wagen, die knirschende Takelage eines Bootes, das fernste Aufkreischen einer Locomotivpfeife entvölkert den geheimnißvollen Teich oft auf ein ganzes Jahr und macht ihn werthlos. Mein Führer, der 1/2 Meile weit von seinem Teiche wohnte, hatte sich einmal die ganze Ernte verdorben, blos durch heftiges Einschlagen eines Nagels in sein Hausthor. Der Lockteich darf mit einem Worte von keinem Geräusch, das die wilden Bewohner selbst nicht machen, berührt werden. Sie sind natürlich, je nach den Mitteln, verschiedener Größe. Der, welchen ich zu sehen auserkoren war, bestand aus einem etwa drei Morgen bedeckenden See mit sechs regelmäßigen, sich einengenden Ausläufen, „pipes,“ Pfeifen, genannt. Aus der Vogelperspektive würde er daher wie ein sechsmahliger Stern oder eine sechsfüßige Spinne aussehen. Von jeder „Pfeife“ krümmen und engen sich rundbogig überdeckte dunkle Graben, in welche die wilden Enten gelockt, von unsichtbarer Hand geräuschlos gewürgt und auf den Markt (à Stück 11/2 bis 3 und mehr Thaler) gebracht werden. Die am See mit 18 Fuß Weite anfangenden und sich dann von allen Seiten, auch in ihren Ueberdachungen einengenden Pfeifen laufen in den sechs Hauptrichtungen des Kompasses in’s Land hinein, um sich immer der bedienen zu können, gegen welche der Wind kommt und so den Geruch des einzigen Menschen in ihrer Nähe wegzublasen. Bei Windstille muß nicht selten glimmender Torf diesen Menschengeruch (gegen den alles Wild die fabelhaft feinste Nase des Abscheues und der Furcht hat) zerstören, wie wir ihn, weil ihrer Zwei, der Vorsicht wegen bei uns
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_065.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)