Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1857) 057.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

No. 5. 1857.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0 Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Verfehltes Leben.

Nach wirklichen Erlebnissen vom Verfasser der „neuen deutschen Zeitbilder.“
(Schluß.)

Die Majorin war zusammengefahren, als sie ihren Mann plötzlich sah. Sie schritt ihm entgegen. Man sah es ihrer Miene an, sie wollte ihren Entschluß sofort ausführen. Aber sie sah den fremden, ungewohnten Ausdruck seines Gesichtes, und blickte ihn forschend an. Die Worte, die sie auf den Lippen hatte, drängten sich zurück.

Der Major schien nur mit seinen Gedanken beschäftigt zu sein. Er gewahrte die Aufregung nicht, in der sie sich befand.

„Marie,“ hob er rasch und unruhig an, „zum ersten Male fehlte mir Dein verständiger Rath. Ich habe ohne ihn etwas unternommen, wenigstens versprochen, was mich beunruhigt. Ich muß mich Dir anvertrauen.“

Die Worte der Frau drängten sich mehr zurück: ihr Entschluß blieb ihr ja.

„Es bereiten sich,“ fuhr der Major fort, „ernste politische Begebenheiten vor. Die Pläne des Unterdrückers unseres Vaterlandes werden hochfliegender. Er eilt, die höchste Spitze seiner Macht, seines Glanzes, seines Ruhmes zu erklimmen, um desto eher und desto tiefer in den Abgrund zu stürzen. Bald wird die Zeit des Handelns für das deutsche Volk sich nahen. Für die Einzelnen ist die Zeit des Vorbereitens schon da. Ich habe Dir von dem Tugendverein erzählt, der noch vor meiner Verbannung nach Rußland oben in Preußen gestiftet wurde. Ich gehörte zu seinen Gründern. Er hatte später, auf Verlangen des französischen Kaisers, aufgehoben werden müssen; ich aber hatte gemeint, er sei wirklich aufgehoben. Aber die Treue der Diener des Königs war stärker gewesen, als der von dem Fremden erzwungene Befehl. Der Bund besteht noch, und wirkt im Verborgenen. In diesem Augenblicke war ein Abgesandter von ihm bei mir; er kam unmittelbar[WS 1] von meinen tapfern Freunden, den Obersten Gneisenau und Boyen. Man rechnet auf mich. Ich soll in diesem Theile Deutschlands im Geheimen organisiren, damit auf einen großen Ruf der dem deutschen Vaterlande treu gebliebenen Fürsten das Volk sich wie ein Mann erhebe. Ich habe meine Mitwirkung zugesagt. Marie, billigst Du es?“

Die Majorin hatte ihre Unruhe verloren, während ihr Mann sprach. Sie war mit lebhafter Theilnahme seinen Worten gefolgt, und sah ihn mit stolz blitzenden Augen an. Aber in den Stolz hatte sich Wehmuth, Trauer gemischt.

„Du wirst einer großen Sache dienen, Hermann, und Du wirst ihr begeistert dienen; Du wirst Dir neuen Ruhm und neuen Dank erwerben, zu dem Danke Deines Königs den Dank Deines befreiten Vaterlandes.“

„Aber Marie, wenn der Plan mißlingt, wenn er vorzeitig verrathen wird, so habe ich Dein, unserer Kinder Glück und Zukunft zerstört, vernichtet!“

„Mein –? O, mein Hermann, was bin ich, was ist der Einzelne, wenn es das ganze Vaterland gilt? Und unsere Kinder? Sie stehen in der schützenden Hand des Himmels. Einmal wird, muß unser schönes Vaterland aus den Ketten dieser fremden Unterdrücker wieder befreit werden; dann wird auch unsern Kindern der Dank, das Glück der Freiheit nicht fehlen. Du hast Recht gethan, Hermann. O, werde groß, werde glücklich!“

In ihren Augen standen Thränen. Sie streckte die Arme nach ihm aus; sie wollte ihn umfangen, sich in seine Arme werfen, aber sie vermochte es nicht.

Der Major drückte sie an seine Brust.

„Ich wußte es!“ rief er stolz und glücklich. „Du bist das edelste, das größte, das aufopferndste Herz! Wie liebe ich Dich!“

„Und ich Dich!“ rief die Unglückliche, hingerissen von ihrem innersten Gefühle. „Ich, ich –“

Sie wollte ein Wort aussprechen, sie vermochte es nicht. Wie konnte sie in diesem Momente ihr, sein Glück zerstören, für immer, mit dem furchtbarsten Schlage?

„Und Ihr werdet nicht unglücklich werden,“ rief der Major. „Wir werden Alle glücklich sein, der Geist des Vaterlandes, des Muthes, der Tugend wird uns beschützen.“

Er zog die Gattin auf das eine Knie, und setzte seinen Knaben auf das andere. Die kleine Agnes stellte sich zwischen Beide; sie umarmten sich Alle.

Ein Bedienter öffnete leise, aber eilig die Thür. Er sah etwas verstört aus. „Ich suche den gnädigen Herrn.“

„Was gibt’s?“ fragte der Major.

„Kann ich den gnädigen Herrn allein sprechen?“

„Sagen Sie hier, was Sie haben.“

„In der Nähe des Schlosses,“ berichtete der Diener etwas geheimnißvoll ängstlich, „sieht man mehrere Gensd’armen umherschleichen.“

Vor anderthalb Jahren, vor einem Jahre noch war das nichts Ungewöhnliches gewesen. Jetzt hatte man schon seit langer Zeit keine Gensd’armen mehr in oder um Schloß Harthausen gesehen. Der Major stutzte. Er mußte nothwendig an den geheimen Besuch denken, der vor kaum einer Viertelstunde ihn verlassen hatte. Er wechselte einen Blick mit seiner Gattin; diese war sehr blaß geworden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ununmittelbar
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_057.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)