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Seite:Die Gartenlaube (1857) 044.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Jahre, so oft ich irgend eine Stunde für den zoologischen Garten oder eine Privatsammlung erübrigen kann, und sie erscheinen mir immer wieder neu, immer wunderbarer, geheimnißvoller, bezaubernder in ihrer Metamorphosen- und farbenreichen Doppelnatur von Pflanze und Thier. Auch die Gebilde, welche losgelöst von dem Boden, als animalische Formen gelten, weichen so sehr von den Geschöpfen süßer Wasser ab, daß sie schwimmend, kriechend, sich windend und schlängelnd in ihrem ungestörten Leben als Beute oder Beutemacher, in ihrer List und Vorsicht, den im blumigen Scheine der Unschuld lauernden Zoophyten-Armen zu entgehen u. s. w. immer interessant bleiben und nie langweilig werden, eine Tugend, die man oft den besten Menschen absprechen oder wenigstens etwas stärker wünschen muß. Und mit welcher Wonne weidet sich das Auge auf den sammetnen Wiesen, welche die Felsen des durchsichtigen, durchsonnten, mit lebendigen Thierblumen besternten Miniatur-Meeres überteppichen! Die feinsten, grünen, cocongewebten Hauche von Ulven, Enteromorphen und Cladophoren streben empor, dazwischen strahlen rosig und sanguinisch eßbare Iridäen, Delesserien, Corallinen, Rhodomelen und Gracillarien und steigen saftig aus dem Grunde stolze Blätter und Blüthen hoch über den kleinen, blanken Meeresspiegel empor. Sternenfische scheinen und glitzern farbenspielig zur Sonne empor, die schneeigen Baumkronen der Anemonen erröthen rosig und aurorafarben, übergolden sich und wechseln die Farbe öfter, wie ein gewisser Bürgermeister 1848. Kleine, arme Ritter stecken ihre Trompeten oben zum Thurme heraus und blühen die zartesten Hauche von Farbentönen, die bei der leisesten Berührung wie ein Blitz verschwinden und das Insekt, das ihre zarten Hauche von Fangfäden berührte, mit in ihren Thurm hineinziehen.

Die dicken, lebendigen, weidenartigen Baumkronen der Edwardsia vestita, einer erst neuerdings entdeckten See-Anemone, starren wie Speere in der Sonne und manches unvorsichtige Geschöpfchen stürzt sich mitten in seiner Lebensfreude dazwischen, ohne Arnold-Winkelried’sche Absichten, und verschwindet im Nu mit allen den zahllosen Spießen und Speeren im Stamme. Die schlangenhaarige Anemone, Actinia anguicoma, läßt ihre lebendigen, räuberischen Haare und Hände wie todt hängen, um die lustig umherschießende Garneele (Shrimp, die alle Tage hundertzentnerweise in England zum Thee gegessen werden) desto sicherer zu machen und im Nu mit hundert Schlangenumarmungen in ihren Stumpf und Stamm hineinzuwürgen. Ich berührte einmal das Schlangenhaupt einer solchen Actinia mit einem Stäbchen, das sie mir sofort aus der Hand riß. Nur mit der größten Schwierigkeit gelang es mir, das unverdauliche Stäbchen aus ihren hundert Armen und Zähnen herauszuwickeln. Arme und Zähne, Haare und Hände, Kopf und Magen, alle diese Ausdrücke passen für die sonderbaren Glieder dieser wunderlichen Launen und Träume der Natur zwischen den Grenzen animalischer und vegetabilischer Gebilde; aber sie passen deshalb auch nicht, weil diese Ausdrücke einen animalischen Organismus voraussetzen. Spricht man dagegen von Stamm, Wurzel, Zweig u. s. w., sind dies auch wieder hinkende Vergleiche, da diese sonderbaren Thierpflanzen eben lebendig thierische sind. Die speciellen Kunstausdrücke der Zoophytologen sind aber ohne gelehrten Commentar noch unverständlicher, so daß wir der Kürze wegen vorläufig nur der Anschauung im Allgemeinen zu Hülfe kommen wollen. Wir finden daher einige der Creaturen des abgebildeten Aquariums noch besonders und deutlicher mit Holzschnitt eingedruckt, zunächst die Edwardsia vestita, die „bekleidete“ Anemone, welche indessen ihr Kleid, wie ein einziges Paar Hosen oder wie einen Sack hat fallen lassen, um weidenbaumartig rasch heraus zu wachsen und mit ihren schieferartigen, farbenspielenden Tentakeln jedes beliebige damit in Berührung kommende Thierchen hangend einzuschließen, sich damit in den Stamm hineinzuziehen und verschlossen zu bleiben, bis das Verdauungsgeschäft abgemacht ist und neuer Appetit die Räuberspeere aussendet, ihn zu befriedigen. In Zeiten großer Gefahr verschwindet oft nicht nur die Krone, sondern auch der Stamm und steckt sich in den Sack unten, der über dem Kopfe zugebunden wird und mit seiner gepanzerten Außenseite, wie eine Festung, jedem Angriffe trotzt. Auch denkt kein Raubthier unten so leicht an einen Angriff gegen einen so harten, unscheinbaren Klumpen, als welcher das Geschöpf jetzt erscheint, da Niemand vermuthet, was für Schönheit und Fülle sich darin verstecke.

Auf der andern Abbildung sehen wir oben rechts die schlangenhaarige Actinia anguicoma mit ihren perlenweißen, hängenden Tentakeln, baumstammartigem Körper von blasser Orangefarbe und den kleinen, noch helleren Tuberkeln daran. Links darunter hat sich ein Seestern (Goniaster equestris) mit Scharlachgrundfarbe und blaßgelben Punkten und Lichtern entfaltet, der in Zeiten der Gefahr sich zu einem farblosen Klümpchen zusammenwickelt. Die Thierblume unten rechts ist ein Sternfisch anderer Art, Palmysses membranaceus, blaß strohgelb mit purpurrother Stickerei auf seiner Oberfläche. Links daneben ist die stark fünfstrahlige Cribella oculata in der Mitte von tiefer Rosenfarbe, nach den Enden abnehmend und bis zum Weiß verschwindend. Oben links ein Echinus miliaris, im Hintergrunde darüber Zweige des maritimen Baumes Rhodomela subfusca mit rother Grundfarbe und rothen Farbentönen in seinen arabeskenartigen Zweigen.

Dieser in Holz geschnittene Blick in die heraufbeschworene oceanische Unterwelt gelte jetzt zugleich als Scheideblick dieses Artikels und als aufmunternder Wink zu Versuchen, ihn aus seinen hölzernen Banden zu flüssigem, dauerndem Leben im Putzzimmer zu erlösen, wo er mehr Genuß gewähren mag, als die todten, koketten Schätze von Tassen und Silbergeräthen im Schranke mit Spiegelwänden, welche durch Wiederschein noch einmal so viel dazu lügen sollen.




Blätter und Blüthen.


Schönheitstaufen. In Paris schminken heut zu Tage alle Frauen ihre Gesichter: die häßlichen und die hübschen, die jungen und die alten. Alle schminken sie mehr oder weniger kunstgemäß, mehr oder minder kühn, mehr oder minder grotesk – Alle aber retouchiren sie das Gesicht, das ihnen Gott gegeben hat.

Diese Tätowirung der civilisirten Frauen (die Leserin verzeihe uns den Ausdruck) nennt man repiquer, eine Bezeichnung, die sich schwer in’s Deutsche übersetzen läßt und die deshalb hier unübersetzt bleiben muß. Es ist ein Kunstausdruck, der aus den Ateliers hervorgegangen, und die Pariserinnen meinen, es gebe keinen treffenderen für die Sache.

Alle Frauen sind, wie wir sagten, heute mit dieser Kunst beschäftigt; die Schuld davon trägt der Schriftsteller Théophile Gautier, der die schwarzen Augen des Orients, die schwarz-atlasnen Augenwimpern, die Reize des bläulichen Weiß und des funkelnden Schwarz, die von einem fast unsichtbaren Thau bedeckten, blendenden Schultern, kurz alle Effekte zu glühend besungen hat, welche die Natur gar nicht spendet und die man im Gegentheil sehr leicht durch Silberglätte, Bleiweiß, Antimonium und alle die übrigen Präparate gewinnen kann, die diesem kleinen Laster zu Gebote stehen.

Er hat dadurch allen Pariserinnen den Kopf verdreht, die jetzt alle einen Teint haben wollen, weiß wie Silber, wie Schnee oder Milch, glänzend wie die Haut der Viper und roth wie Nacarat, namentlich aber erpicht sind auf den funkelnden Sammetblick der Peri’s.




Pädagogik. Bei der großen Bedeutung einer gesunden Erziehungskunst für den Kulturgang des Menschengeschlechts, auf welchem jedes Menschenleben ein Schritt – vorwärts oder rückwärts – ist, dürfen wir nicht unterlassen, von Zeit zu Zeit auf wichtige pädagogische Schriften aufmerksam zu machen, wichtig für „Schule und Haus.“ Jetzt liegen uns drei solche Bücher vor von dem unermüdlichen Vorkämpfer für Hebung und Befreiung der Schule: Direktor A. Diesterweg. Es sind dies dessen jüngst erschienenes „Pädagogisches Wollen und Sollen“ und „Pädagogisches Jahrbuch für 1857.“ Beide Bücher, namentlich das erstere, sind reiche Fundgruben von beherzigenswerthen Fingerzeigen für Lehrer wie für denkende Eltern. Das dritte Buch ist die bei Enslin in Berlin erschienene „Populäre Himmelskunde und astronomische Geographie“ (fünfte Auflage). Die Ziffer fünf enthebt uns eines empfehlenden Wortes. Für Lehrer ist dies ein unentbehrliches Buch. – Von dem bekannten Oltrogge erschien unter dem Titel: „Auswahl aus der deutschen Dichtung, von der ältesten Zeit bis auf die Gegenwart in chronologischer Ordnung, mit kurzen Biographieen,“ ein für alle Schulen und zum Selbstunterricht eingerichtetes Handbuch der deutschen Literaturgeschichte, das wir der strebenden Jugend und allen Schulen bestens empfehlen.





Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_044.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)