verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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aber sie haben während dieses ganzen Jahrhunderts diese Richtung mit Palmerston’scher Politik mehr unterstützt, als zu verhindern gesucht, obgleich sie sehen, daß ihnen dadurch die Oberlandpost und die ganze Sammlung zusammengeraubter Königreiche und Mongoleien in Indien verloren gehen wird. Sie sind jetzt, wie es heißt, mit 15 Dampfschiffen beschäftigt, 11,000 Mann, 1200 Pferde und die nöthigen Seeleute und Marinesoldaten nach Persien zu schaffen, um Indien zu retten. Zur Zeit des afghanischen Krieges war es Zeit dazu, jetzt ist’s wahrscheinlich 18 Jahre zu spät.
Der dermalige Herrscher der Afghanen, Dost Mahomed, steht gegenwärtig an der Spitze einer Armee von beinahe 70,000 Mann, und soll dieselbe, sagt man, auf 100,000 Mann gebracht werden; aber diese undisciplinirte Armee, in welcher der Schach von Persien alle Muselmanen der Sekte der Schiiten zu Anhängern hat, würde der persischen Armee weit nachstehen, wenn sie nicht von den Engländern bis in die Organisationsdetails unterstützt würde. Die Armee der Afghanen ist aus den Kontingenten der verschiedenen Stämme zusammengesetzt. Sie besteht zu zwei Dritteln aus Kavallerie, welche ihren besten Theil bildet. Diese Truppe ist in 25 Korps unter den Hauptchefs des Landes getheilt. Ihre malerische Kleidung ist uralt. Die Soldaten tragen eine sehr hohe konische Mütze, eine lange Jacke, weite Beinkleider und Maroquinstiefeln. Die Bewaffnung ist nicht gleichförmig; die Einen haben lange Flinten wie die Araber, die Andern sehr mörderische Lanzen oder Aexte, deren sie sich mit grosser Gewandtheit bedienen. Diese Kavallerie, welche nicht nach europäischer Weise manövrirt, ist wirklich furchtbar. Die Inferiorität der Armee der Afghanen besteht sohin in der Infanterie. Die Soldaten tragen schwere Karabiner, deren sie sich schlecht bedienen; sie sind weder an Märsche noch Strapazen gewöhnt, und manövriren ohne Zusammenwirken. Um diesem um so fühlbarern Uebel zu steuern, da die persische Infanterie ausgezeichnet ist, lassen die Engländer die Infanterie der Afghanen durch eine ihrer besten Brigaden verstärken.
Die Artillerie der afghanischen Armee ist nicht besser, als ihre Infanterie, weshalb es die Engländer für nöthig erachteten, der Brigade zwei Feldbatterien und eine Haubitzenbatterie beizugeben. Aber ein ebenso wirksames Mittel als die Truppensendungen ist das von den Engländern angewendete, indem sie Dost Mahomed, dessen Habgier bekannt ist, bedeutende Summen zuschickten und ihm Waffen und Munition auf ihre Kosten lieferten. Der wilde Häuptling weiß übrigens sehr wohl, daß Rußland der Verbündete Persiens ist, und er fürchtet die Macht des Czar. Die Afghanen sind tapfer, räuberisch und undisciplinirt. Der Armee folgt ein beträchtliches, den verschiedenen Stämmen gehöriges Material. Mehre führen Weiber und Kinder mit sich in den Krieg; eine Gewohnheit, die ihren Nomadensitten entspricht. Das westliche Afghanistan, welches sich mit Persien im Kriege befindet, umfaßt drei große Abtheilungen: das Königreich Kabul mit fünf Provinzen, das Königreich Kandahar mit drei Provinzen, dann das Fürstenthum Herat, das aus zwei Provinzen besteht: der Stadt Herat und ihres Gebietes mit den Städten Zurudge und Ubah und jener von Siahband mit der Hauptstand gleichen Namens.
Kabul ist die Residenz Dost Mahomed’s und der Hauptort des ganzen Reichs. Sie liegt 2000 Meter über der Meeresfläche und hat Befestigungswerke, welche die Fürsten der Familie Timur erbauen ließen. Die Stadt Kandahar liegt am linken Ufer des Orghendab, einem der Nebenflüsse des Hirmend. Diese wichtige Stadt bestand schon zu Zeiten Alexanders des Großen und zählte 1809 100,000 Einwohner. Das Wort „Afghan“ bedeutet Bergbewohner, was beweist, daß diese Völker ursprünglich Persien, Hindostan und Baktriana bewohnten.
Der Krieg um Herat ist dem äußeren Anscheine nach um die Frage, wer nun dort regieren soll, Dost Mahomed, Persien oder ein erobernder Held der englischen Armee oder Aristokratie, d. h. in der That um das Schicksal Indiens und ganz Centralasiens, wovon die Schicksale Englands und Europa’s wesentlich mit abhängen. So fern also auch der neue Kriegsschauplatz von uns liegt, werden dessen Siege und Niederlagen (oder Vertuschungen und Verschiebungen der Krisis) uns doch in unsern eigenen öffentlichen Angelegenheiten mit der Zeit sehr nahe kommen.
Auf dem hohen Uferrande der Norder-Elbe, im Westen Hamburgs, hat man an einigen Punkten überraschend schöne Ausblicke auf Strom und Landschaft. Früh am Morgen, wenn das Wasser dampft und nur langsam der Luftbewegung oder dem Einfluß der Sonnenstrahlen weicht, am sonnig hellen Mittage und Abends, immer ist der Anblick des großen bewegten Strombildes gleich ergreifend und fesselnd. Nie aber macht es einen gewaltigeren Eindruck auf den Beschauer, als bei fliegendem Gewölk, wenn glühend heiße Sonnenblitze es zerreißen, und die smaragdenen Inseln im vielgetheilten Strome bald mit weißlich blendenden, bald mit dunkel goldgelben Lichtoasen bedecken. Will es dann ein glücklicher Zufall, daß eine frische Brise aus Westen weht, die Zeit der Hochflut den Strom weit über die grünen Inselborde aufrauschen läßt, und eine Flotte segelbedeckter Kauffahrer, vom Purpurbrand der Abendsonne umglüht, dem Hafen zuführt, so wird ein solches Schauspiel Jedem, der es mit Muße zu betrachten Gelegenheit hat, unvergeßlich bleiben.
Wir nahmen in so günstigem Augenblicke unter der Veranda des neuerbauten Hotel Wietzel Platz, um ungestört das lebensvolle Bild betrachten zu können, das sich vor uns entrollt. Da erstreckt sich zur Linken, von rothbraunem Dunst halb verhüllt, die mächtige Handelsstadt mit ihren Thürmen, deren Spitzen allein über die schwere Dunstatmosphäre emporragen. Zu unsern Füßen rollt die Elbe ihre falben Wogen in einem, hier mehrere tausend Fuß breitem Bett, das etwa zum vierten Theile von den vor Anker liegenden Seeschiffen erfüllt ist. In Zeiten großen Verkehrs kann man die Zahl derselben auf wenigstens 800 anschlagen. Der Mastenwald mit seinem buntfarbigen Flaggen- und Wimpelschmuck ist dann nicht zu übersehen. Zwischen den Reihen dieser Schiffe und im freien Strome kreuzen sich Hunderte von kleinen Fahrzeugen, diese, um Güter vom Bord an’s Land oder umgekehrt vom Land an Bord zu bringen, jene, von gewandten Ruderern geführt, um die Kommunikation zwischen dem Festland und den Inseln aufrecht zu erhalten, oder Schiffseigner, Kaufleute, Makler, Kapitaine etc. an irgend einen Punkt im lebenerfüllten Hafen zu tragen. In kürzeren oder längeren Zwischenräumen wühlen die Schaufelräder eines Dampfbootes die schimmernden Wellen stärker auf, denn nicht nur das am linken Elbufer gelegene Harburg, auch die stark bevölkerten und vielbesuchten Orte zu beiden Seiten der Niederelbe werden durch eine geregelte Dampfschiffsverbindung in den engsten Verkehr mit Hamburg gesetzt. Gewöhnlich sind diese Schiffe mit zahlreichen nicht selten mit Hunderten von Menschen erfüllt, die eine Lustfahrt nach Teufelsbrück, Nienstätten, Blankenese, Harburg, Stade oder Cuxhaven machen, und dann fehlt selten ein Musikkorps auf dem Fahrzeuge, das heitere Melodien aus beliebten Opern oder einen munteren Lanner’schen oder Strauß’schen Walzer erklingen läßt.
Plötzlich steigt über den rosig schimmernden Segelschwingen der stromaufwärts gleitenden Schiffe eine hohe schwarze Rauchsäule auf, die sich, in krauses Gewölk zerflatternd, seitwärts nach Finkenwärder zieht, und einen grauen Schatten auf die grüne Landschaft wirft. Bald darauf wird der schwarze Rumpf eines überseeischen Dampfers zwischen den Segelschiffen sichtbar, und wenige Minutcn später rauscht einer jener cyklopischen Leviathane langsam dem Lande zu, die eine Erfindung unseres Jahrhunderts sind und dem internationalen Verkehr andere, fast an’s Wunderbare streifende Bahnen angewiesen haben. Sofort mehrt sich die Zahl Derer, welche zu jeder Tagesstunde an dem eisernen Geländer der Quai-Einfassung
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_028.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)