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Seite:Die Gartenlaube (1857) 016.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

eigentlich müde wird der Körper auch nie in dieser reinen leichten Luft, selbst nach solchen Anstrengungen, die den stärksten Mann im flachen Land zu Tod erschöpfen würden. Die Zwischenzeit zwischen Tag und Jagd ist deshalb auch nicht Erholung, sondern wieder nur ein Vergnügen anderer Art. Man hat eben nicht zu Jagen aufgehört, weil man müde – sondern einfach, weil es dunkel wurde, und beginnt frisch wie am vorigen Morgen, sobald die Sonne sich im Osten zeigt.




Blätter und Blüthen.

Deutsche Gräber. Wenn man die Dankbarkeit der deutschen Nation nach den Gräbern ihrer Edelsten und Besten bemessen soll, so ist das Resultat ein sehr trauriges; Mozart, dessen Gesänge und Opernmelodien ganz Europa singt, ruht in einem Stückchen Erde, das Niemand kennt, und mit Gewißheit auch niemals wird bezeichnet werden können. Von Sebastian Bach weiß man nur, daß er auf dem Leipziger Friedhof Ruhe fand; das kleine Fleckchen, was seine Gebeine birgt, kennt man ebenfalls nicht. Wer weiß von Hutten’s Grab? Ungewisse Nachrichten behaupten, daß er auf der kleinen Insel Ufnau im Züricher See gestorben sei. Ein Denkmal, einen Stein nur, der seinen Namen trüge, hat Niemand gefunden. Leibnitzens Grab mußte durch einen Franzosen aufgefunden werden, kein Deutscher hatte danach gefragt. Die Gebeine des großen Archäologen und Kunstkenners Winkelmann ließ man ohne Denkstein, der Vergessenheit zum Raube, und schon im ersten Decennium dieses Jahrhunderts war es zweifelhaft, wo sie ruhen.

Auch des armen unglücklichen Bürger’s Grabstätte war lange Zeit unbekannt. Erst 1845, nachdem der Dichter, dessen Balladen Gemeingut der Nation geworden, bereits 51 Jahre im Grabe ruhte, ward durch die Bemühungen eines Göttinger Studenten die Frage nach dem Orte seiner Ruhe angeregt. Vergebens waren alle Forschungen, in den Behördenregistern fand man zwar den Namen Bürger’s, aber nichts über sein Grab. Durch Zufall traf man endlich einen alten Schneider, der sich des Begräbnisses des Dichters erinnerte. „Als er,“ erzählte dieser, „ein noch junger Mann, aus der Fremde zurückkehrte, habe er nicht gleich Arbeit gefunden, und eines Tages durch die Straßen Göttingens schlendernd, sei er einem Leichenzuge begegnet, dem er, da er just nichts Besseres zu thun wußte, nach dem Weender Friedhofe gefolgt sei. Der Todte habe Bürger geheißen, sei aber, wie er gehört, vor Hunger und Kummer gestorben. Auch sei die Bestattung sehr ärmlich gewesen. Unter den Wenigen, die dem Sarge folgten, habe er besonders den Buchhändler Dietrich bemerkt, der auch späterhin eine Akazie auf das Grab gepflanzt.“

Man suchte und fand die Akazie und somit das Grab. Sofort trat ein Comité zusammen, die Ruhestätte des Dichters mit einem Denkmale zu bezeichnen, der Magistrat der Stadt schenkte den Platz, es wurden Gelder gesammelt und – drei Jahre später stand noch immer die einsame Akazie des Buchhändlers Dietrich als einziges Denkmal auf dem Grabhügel; das Comité hatte sich aufgelöst, mit den Geldern war ein Student durchgegangen und das Dichtergrab, was so lange verschollen war, ist zur Stunde noch gänzlich verwahrlost, und Nesseln und Unkraut überwuchern die Ruhestätte eines deutschen Sängers, dessen Leben schon mit Dornen und Disteln reich übersäet war.

Armer Bürger!


Pariser Industrie. Auf dem Platze vor dem Hotel de Ville sahen wir um einen Wagen eine Zuschauergruppe versammelt, die sich in jedem Augenblicke durch hinzutretende Neugierige vermehrte. Auch wir näherten uns derselben. Auf einem eleganten Einspänner stand neben dem zügelführenden Kutscher, hinter dem sich noch ein ungewöhnlich erhöhter thronartiger Sitz befand, ein hochaufgerichteter auffallend schöner, elegant gekleideter Mann, der mit einem vergoldeten Bleistifte eifrig etwas in ein Skizzenbuch zu zeichnen schien, während er dabei ruhig seine Cigarre rauchte und das Anwachsen seines Zuschauerkreises mit sichtbarer Befriedigung bemerkte. Hinter ihm auf dem erhöhten Sitze ließ ein Leiermann in phantastischer Kunstreitertracht die Töne einer sehr gut gestimmten Drehorgel erschallen. Was bedeutet das? fragten wir einen der Zuschauer. „Es ist Mangin, der Bleistifthändler,“ war die Antwort; „Sie werden gleich sehen!“ In demselben Augenblicke klappte der Genannte sein Buch zu, und nahm die Cigarre aus dem Munde. Er legte den eleganten Kastorhut ab, und setzte an dessen Stelle einen römischen Imperatorhelm auf. Allgemeines Ah! des Erstaunens der Neulinge. Dann nahm er einen weiten antikmittelalterlichen pelzverbrämten Mantel aus den Händen des Leiermanns, und warf ihn malerisch über seine Kleidung, alles schweigend und in höchster Gemächlichkeit. Jetzt stand er da, wie ein römischer Triumphator anzuschauen, den goldenen Bleistift in der einen, das Skizzenbuch in der andern Hand, und nachdem er langsam rings umher schauend seine Versammlung gemustert hatte, haranguirte er dieselben in folgender Weise: „Sie sehen mich alle erstaunt an, Messieurs, und fragen, was diese Seltsamkeiten zu bedeuten haben? Viele von Ihnen werden indessen mit der Antwort schon fertig sein. Nicht wahr, Messieurs, Sie sagen im Stillen: es ist ein Charlatan erster Klasse! – Wohlan, meine Herren, Sie haben Recht, vollkommen Recht: ich bin ein Charlatan, ich gestehe es ein, ja ich mache mir eine Ehre daraus, ein Charlatan zu sein. Leben wir nicht in Frankreich? Ist Frankreich heutzutage nicht das Land des Charlatanismus? Muß man nicht ein Charlatan sein, um die Franzosen an sich zu ziehen und für einen Augenblick zu fesseln? Aber ich bin kein gewöhnlicher Chartatan, ich will Sie gar nicht betrügen. Ich habe einen antiken Helm aufgesetzt, aber Sie haben kurz zuvor meinen modernen Hut gesehen; ich habe einen Imperatormantel angelegt, aber – (hier schlug er denselben auseinander) Sie sehen, ich bin unter demselben ganz wie Sie alle gekleidet. Es ist Egoismus, meine Herren, weshalb ich diese Tracht anlegte, reiner Egoismus, nichts weiter; nicht um Ihretwillen geschah es, sondern um meinetwillen. Ich wollte Sie anlocken, Sie um mich versammeln und Sie sehen, es ist mir gelungen.“ (Lachen und Beifall.) „Ich will Bleifedern verkaufen, nichts weiter, und es wird mir gelingen, trefflich gelingen, denn ich habe Ihre Aufmerksamkeit erregt. Aber ich darf zugleich sagen, was die andern Charlatane von ihren Waaren nicht immer sagen können, daß meine Bleifedern unvergleichlich, daß sie die besten in ganz Paris sind. Niemand in Frankreich verkauft so viele Bleifedern, ganz Paris hat meine Bleifedern, kein Fremder verläßt Paris ohne meine Bleifedern. Darum noch einmal: ich bin stolz darauf, ein Charlatan nach meiner Façon zu sein!“

Alles dieses wurde mit großem Ernste und mit dem edelsten theatralischen Anstande in gewähltester Rede gesprochen. Brauche ich noch hinzuzusetzen, daß er reussirte! Beiläufig sind seine Bleistifte wirklich vortrefflich. Ob er aber seinen theoretisch-praktischen Cours über die Charlatanerie, die einer politischen Satire so ähnlich sieht, wie das: ja, ich bin Charlatan! dem berühmten: ich bin Parvenü, noch lange ungehindert fortsetzen wird, schien meinen deutschen Polizeibegriffen mehr als zweifelhaft. Indessen, wer weiß!




Goethe’s wilde Wochen. Wenn wir den Mittheilungen den Engländers Lewes glauben dürfen, dessen Buch über Goethe wir bereits früher anzeigten, so trieb es Goethe in den ersten Wochen seiner Uebersiedelung nach Weimar toll genug. Im vollen Glanze der Jugend, der Schönheit und des Ruhmes trat er dort auf und eroberte im Sturme alle Herzen, selbst die, welche er, wie z. B. Wieland und die Herzogin Amalia, früher beleidigt hatte. Bei den lebenslustigen leichten Damen der genialen Periode, von denen Schiller schreibt: „Da ist beinahe keine, die nicht eine Geschichte hätte oder gehabt hätte, erobern nicht sie gern alle“, war er bald der erklärte Liebling, der wie ein Schmetterling von einer Blume zur andern flatterte und von Allen süßen Honig der Liebe sog. Er führte unter den Damen und den höheren Ständen das Schlittschuhlaufen ein – eine Kunst, die in der Residenz bisher als eine plebeje betrachtet worden – und arrangirte auf dem Schwanenteiche Nachtschlittenparthien mit Fackeln und Feuerwerk, bei denen die Herzogin und alle Damen maskirt erschienen. Dann wieder zum Entsetzen von ganz Weimar brutalisirte er, wie Wieland sagt, die bestialische Natur, stellt sich mit dem Herzoge Carl August auf den Markt, und beide knallten da stundenlang mit großen Hetzpeitschen um die Wette. Ein Herzog und ein Dichter auf offenem Markt! Das Verhältniß dieser beiden genialen Menschen ward bald ein brüderliches. Sie nannten sich „Du,“ schliefen zusammen in einem Zimmer, entliehen gegenseitig Tücher und Westen, ohne an’s Wiedergeben zu denken und tranken bei ihren Weingelagen den Sekt aus Schädeln, wie es Byron in seiner wildesten Zeit gethan. Das Lieblingswort des Tages war „unendlich.“ Das Genie verschlang „unendliche“ Würste. trank „unendlich,“ liebte „unendlich“ und schlief „unendlich.“ Aber so wilde Orgien und Nächte die beiden frühreifen Jünglinge auch durchbrachten – und daß sie es arg getrieben haben, beweist der scharf ermahnende Brief Klopstock’s, den Goethe so patzig beantwortete – so hatten Beide doch so große Zwecke und einen so mächtigen Willen, daß sie dabei moralisch nicht untergehen konnten. Die Ernennung Goethe’s zum Legationsrath mit Sitz und Stimme im Ministerium, die Seitens des Adels und der Beamtenwelt einen Protest hervorrief, den der neunzehnjährige Fürst so vortrefflich beantwortete,[1] war schon der Anfang einer ruhigern Periode, die, wenn auch nicht frei von Anfechtungen genialer Art, doch Extravaganzen, wie die früheren, nicht mehr so oft aufkommen ließ.




Schweizer Angelegenheit. Es sind uns von mehren Seiten Anfragen zugegangen, ob wir in unserm Familienblatte Notiz von den Schweizer Vorgängen nehmen und Berichte und Abbildungen, wie früher aus den orientalischen Wirren, bringen würden. Es versteht sich wohl von selbst, daß wir in einem Organ, das neben der gemüthlichen Unterhaltung und Belehrung der Zeit, ihren Interessen und Vorgängen gewidmet ist, ein so wichtiges Ereigniß nicht außer Acht lassen können. Wir haben bereits die nöthigen Veranstaltungen getroffen, unsern Lesern in Originalberichten und Abbildungen das Wichtigste aus den dortigen Vorgängen mitzutheilen, und bemerken nur noch, daß wenn dies noch nicht in der heutigen und der nächstkommenden Nummer geschieht, unsre Leser lediglich den Grund darin suchen wollen, daß wir Originalabbildungen und Berichte bringen wollen, die also nicht in 3–6 Tagen entworfen, aufgezeichnet, in Holz geschnitten und mit dem betreffenden Text geschrieben sein können.

E. K.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. „Das Urtheil der Welt ,“ schrieb er am Schluß seiner Erwiederung, „welches vielleicht mißbilligt, daß ich den Dr. Goethe in mein wichtigstes Collegium setze, ohne daß er zuvor Amtmann, Professor, Kammerrath oder Regierungsrath wäre, ändert gar nichts. Die Welt urtheilt nach Vorurtheilen, ich aber sorge und arbeite, wie jeder Andere, der seine Pflicht thun will, nicht um des Ruhmes, nicht um des Beifalls der Welt willen, sondern um mich vor Gott und meinem eigenen Gewissen rechtfertigen zu können.“
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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_016.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)