verschiedene: Die Gartenlaube (1856) | |
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Jüngeren Tochter auf dem geradesten Wege nach Berlin zurück.
Dort kam ihm der Herr Stadtgerichtsrath Hartmann mit Briefen der Entflohenen aus Brüssel und zugleich mit der Bitte entgegen, ihm, dem Herrn Hartmann, Fräulein Charlotte zur Frau zu geben.
Fräulein Charlotte sagte dabei: „Zwei glückliche Töchter als Bräute, Vater, oder zwei unglückliche Nonnen. Wird Louise nicht Frau Thilo, so muß sie in’s Kloster gehen, und geht sie hinein, so muß ich auch hineingehen.“
Die Logik seiner jüngsten Tochter leuchtete dem Geheimerath wieder ein. Er feierte bald nachher die Hochzeiten seiner beiden Töchter in Brüssel. Von dem Herrn Klein aber durfte ihm Niemand sprechen.
Auch der Schreiber dieser Zeilen hat von Herrn Klein nichts weiter erfahren können. Wer überhaupt dieser Herr war, ob er noch in Amt und Würden, und wie er zu diesen gekommen und in diesen gewirkt – darüber schwebt ein Geheimniß, das vielleicht die Zukunft noch lösen wird.
Betrachtet man das Leben jenes Mannes, den wir in nachfolgenden Zeilen schildern wollen und der für alle Zeiten einer der ausgezeichnetsten Geister genannt werden wird, so gibt Chateaubriand ebenso wie Goethe das Epos seiner Zeit. Beide haben die Fülle des Nationalsinnes in sich aufgenommen, die ganze Substanz ihres Volkes in sich eingeknetet und Goethe’s wie Chateaubriand’s Werke enthalten allen Reichthum der Welt, alle Kunst des Dichters, alle Weisheit ihres Zeitalters. Beide stehen da, wie die Repräsentanten ihrer Epoche, aber mit der ruhigen Denkerstirn über den schaumspritzenden Wogen dieser Welt.
Francois Auguste, Vicomte de Chateaubriand wurde 1769 zu Saint-Malo in der Bretagne geboren. Die Montmorency’s und die alten Herzöge der Bretagne rechneten sich zu ihren Ahnen, und das alte Blut der Normannen hatte sich in keinem Gliede der Familie jemals verleugnet. Die Familie Chateaubriand’s, welche zu stolz war, dem Hofe zu dienen, war arm; ihre meisten Güter verkauft und nichts als das alte Schloß Combourg gehörte den stolzen Grafen von Chateaubriand.
Der Chevalier, wie Chateaubriand als der Jüngste genannt wurde, kam mit seinem zwölften Jahre auf das College nach Dol. Der Chevalier war ein sonderbarer Kauz; bald heiter, bald träumerisch; bald im wilden Spiel mit den Straßenjungen, dann plötzlich in sich gekehrt, der „Lehrling der Einsamkeit;“ bald lernte er gar nichts, bald setzte er mit seinen fließenden lateinischen Versen das ganze Lehrerkollegium in Verwunderung.
Nachdem der junge Chevalier auch den Kursus auf dem College zu Rennes beendet hatte, galt es, einen Stand zu ergreifen. Der alte Papa kommandirte den Träumer auf die Marine; Chateaubriand kam wieder zurück, und versicherte, daß die Marine nicht für ihn passe. Der Vater kommandirte ihn darauf als Priester in ein Seminar; der Herr Sohn lief aber wieder fort, und sagte dem alten Grafen, daß das Seminar unausstehlich sei. Von nun an lebte der junge Mann im väterlichen Hause; unglücklich, sehnsuchtsvoll und im Widerstreit mit dem Ideal und dem Leben, erstand aus der Tiefe seines Gemüths der Dichter. Die Schwermuth drückte seine glühende Stirn, und der dichterische Schmerz stieg eines Tages so hoch, daß der Schwärmer mit einem Gewehr in den Wald lief, um sich zu tödten.
Eines Tages läßt ihn sein Vater rufen. Der alte Vicomte nimmt feierlich seinen alten Degen von der Wand, überreicht ihn seinem jüngsten Sohne und zugleich das Patent als Unterlieutenant im Regiment Navarra. Mit der Empfehlung, niemals das blanke Wappenschild derer von Chateaubriand zu beflecken, entläßt der alte Herr seinen Sohn, und dieser geht zu seinem Regiment nach Dieppe, in weißer Uniform, weiß gepudert und mit rosigen Wangen.
Im Anfang des Jahres 1789 wird der junge Lieutenant nach Paris gerufen. Malesherbes nahm sich seiner väterlich an, und stellte ihn bei Hofe vor, nachdem er, um courfähig zu sein, zum Hauptmann gemacht worden war. Der junge Chateaubriand fand indessen keinerlei Reiz darin, dem Könige auf der Jagd zu folgen, und ihn beim Lever das Hemd zu wechseln; er zog es vor, mit den literarischen Notabilitäten jener Periode zu verkehren, einem Fontanes, Bertin, Laharpe und Champfort, welcher von seinen Versen meinte, sie seien so übel nicht für einen Edelmann; ja, der jugendliche Dichter, welcher noch keine Ahnung hatte, daß er dereinst der ganzen damaligen gepuderten und mit Schönpflästerchen bedeckten, bleichen, süßlich faden, kalt geistreichen Poesie der Boudoirs den Garaus machen sollte, brachte es zu der Ehre, daß durch große Protektion eine Idylle von ihm in den Musenalmanach aufgenommen wurde.
Die Revolution begann und Chateaubriand, überdies als treuer Schüler Rousseau’s ein Feind der bürgerlichen Gesellschaft, sehnte sich fort aus Paris, nach den Urwäldern hin, in welche Rousseau die Menschen, um glücklich zu werden, hineinjagen wollte. Amerika hatte damals durch Lafayette und Washington einen Glorienschein; zudem hatte es Wälder und Indianer – genug, der Chevalier Chateaubriand beschließt, sich nach Amerika einzuschiffen, die Menschen zu fliehen und die Epopöe des Naturmenschen zu dichten.
Chateaubriand’s erstes Geschäft in Amerika war, Washington einen Brief zu überreichen. Dann reiste er mit großer Eile, um der Civilisation zu entrinnen, über Baltimore, Philadelphia, Newyork und Boston den kanadischen Wäldern zu, wo er überselig war, endlich keine Wege und keine Städte, keine Menschen und Steinhäuser, keine Könige und keine Demagogen mehr zu finden. Das Entzücken über seinen Naturzustand, in welchem er zärtlich die alten Bäume umarmte, ließ seinem ernsthaften holländischen Bedienten bedenklich den Sancho-Pansakopf schütteln und verleitete ihn, nach einigen Wochen seinen Herrn bei den Wilden sitzen zu lassen, um so mehr, als er Rousseau nicht gelesen hatte, und folglich am Naturzustande keinen Geschmack fand.
Chateaubriand begann nun ganz „wild“ zu leben; er aß mit den Wilden, deren Jungfrauen den weißen Fremdling lieben; er raucht mit ihnen das Kalumet und trinkt das „flüssige Feuer;“ er sieht zu, wie ein französischer Tanzmeister den jungen Irokesen Unterricht in seiner Kunst ertheilt, indem er seine Zöglinge immer ces messieurs sauvages et ces dames sauvages titulirt; er schläft endlich auf der Bärenhaut, inmitten rothhäutiger Indianerinnen. Nach einem Jahre solchen Lebens erblickt der junge Mann eines Tages in dem Hause eines Farmers eine englische Zeitung, welche die Beschreibung von der Flucht Ludwig’s XVI. enthält und die Flucht des Adels nach den Grenzen, um Frankreich von da aus wieder zu erobern. Chateaubriand erinnert sich, daß er Edelmann und Offizier ist; er glaubt den Ruf der Ehre zu hören; er verläßt seine geliebte Wildniß, sagt den rothen, ihn liebenden Indianerinnen Lebewohl, und eilt nach Philadelphia, um sich nach Frankreich einzuschiffen. Er hatte in den Wäldern aber vergessen, daß ein civilisirter Mensch Geld haben muß, und der Schiffskapitain mußte seinen Passagier auf sein ehrliches Gesicht mitnehmen.
Schiffbrüchig kam er in St.-Malo an, und nachdem er sich dort verheirathet, ging er nach Paris, um von dort aus die Grenze zu erreichen, da die Emigration damals Ehrensache war. Aber es fehlte an Geld. Ein Notar streckt dem Exlieutenant endlich 12,000 Franken vor; der Chevalier betritt zufällig ein Spielhaus, und verliert sein Vermögen bis auf 1500 Franks. Mit dieser Summe reist Chateaubriand und seine Frau zu den französischen Prinzen nach Koblenz.
Um für den König zu wirken, trat er darauf als gemeiner Soldat in das Regiment der Edelleute, welche Thionville belagerten. Chateaubriand schickte sich als Poet in das Leben, trug seinen Tornister, kochte die Suppe und wusch sein Hemd am nächsten Bach mit aller Eleganz eines Edelmannes und dem Gleichmuth eines Menschen, der vom Niagara kommt, um sich eine Wunde und die Blattern vor Thionville zu holen. Krank, verwundet und auf dem Rückzuge nach dem Rhein, schleppte sich der Chevalier mit; endlich sank er todesmüde in den Ardennen nieder. Vorübergehende Köhler rafften ihn jedoch auf, und lieferten ihn an eine vorbeiziehende Kompagnie ab, mit welcher er nach Brüssel kam. Von da aus ging er, nach dem Tode Ludwig’s XVI., nach London.
In England lernte Chateaubriand die traurigste Noth kennen. Ohne Geld, wohnte er mit einem Freunde zusammen; oft blieben
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 652. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_652.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)