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Seite:Die Gartenlaube (1855) 697.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

den Kampf jeden Tag so lange und oft, als wir irgend Zeit erübrigen konnten. Dabei fiel uns besonders ein tapferer Wache stehender Schwalbensoldat auf.

„Wochen lang bemerkten wir ihn jeden Morgen zuerst und jeden Abend zuletzt immer in derselben Position wie angemauert: nämlich den Schwanz zum Neste herausstreckend, vor dem die Sperlinge solchen Respect bewiesen, daß sie nie einen persönlichen Angriff auf dieses Nest wagten. Dieser wachende, ewige Schwalbenschwanz ward bald die Curiosität und Merkwürdigkeit der ganzen Nachbarschaft und aller unserer Freunde. Er stand auch noch ununterbrochen Wache, als endlich die Sperlinge (nachdem die jungen Schwalben ausgebrütet waren) sich vollständig zurückzogen. Der Schwanz der Schwalbe stand Wache noch, als der Herbst die ganze Kolonie schwärmend umher trieb und endlich ganz mit sich fortnahm.

„Die Blätter fielen, der Schwalbenschwanz stand noch Wache. Alles war still und herbstlich draußen, jedes Nest, aus dem es so lustig aus- und eingeflogen, aus dem die Jungen so appetitreich hervor gepiept, war öde und leer. Mit unerträglich gewordener Neugier nahm ich endlich eines Morgens die Leiter, um die heroische Schwalbenwache näher kennen zu lernen. Ich entfernte vorsichtig einige Brocken des Nestes und griff hinein. Das Nest war leer. Die ganze Wache bestand aus nichts als drei Federn, die mit kluger Berechnung so befestigt worden waren, daß sie genau einem Schwalbenschwanz glichen. Die Sperlinge hatten ihn auch fortwährend als ganze reelle, tapfere Schwalbe respectirt. War es Zufall oder Kriegslist? Ich will es nicht entscheiden, die Thatsache aber ist richtig und hat eine große Menge Zeugen für sich.“




Blätter und Blüthen.

Ein Tag aus dem Leben eines großen Kriegers. In Algier, zwischen den Städten Tenes und Orleantrille und dem rechten Ufer des Scheliff liegt eine große, von einzelnen Hügeln übersäete Ebene, die Dahara genannt. Viele dieser Hügel sind mit Feldern, Orangen und Feigenbäumen bedeckt, und zwei von ihnen durch eine natürliche Mauer, hoher, wild über einander gethürmter Felsblöcke, El Kantara (die Brücke) genannt, verbunden. In dieser von einem tiefen Graben begrenzten Felswand öffnen sich mehrere Höhlen, deren von zackigen Felsstücken begrenzte Eingänge leicht zu vertheidigen sind, und den Kabylen jeder Zeit einen sichern Zufluchtsort vor den Verfolgungen der Türken und Araber darboten.

Im Juni 1845 brach in dieser Genend ein Aufstand aus. Der Gouverneur Bugeaud rückte selbst in’s Feld, überließ jedoch nach einer Reihe von Kreuz- und Querzügen und Razzia’s ohne Ende das Commando den Obersten Pelissier, Ladmirault und de St. Arnaud, welche fortfuhren, „Feuerbänder“ hinter sich herzuziehen. Einige Stämme unterwarfen sich, um der Vernichtung zu entgehen, andere widerstanden muthig. Unter den Letzteren befanden sich die Med-Riah, ein Kabylenstamm, welcher sich nach mehreren Gefechten mit Weib und Kind, ihren Heerden und allen Habseligkeiten in eine jener Höhlen, Dahree Freschih genannt, zurückzog und den Eingang besetzte.

Am 17. Juni kam Oberst Pelissier mit 21/2 Bataillonen, einem Berggeschütze und einem Detachement Kavallerie vor den Höhlen an. Seine Avantgarde drängte einige Kabylenhaufen, die ihm die Passage streitig machen wollten, in dieselben zurück, und nur mit großer Mühe gelang es, einen der Vertheidiger herauszulocken. Man sagte demselben, daß, wenn sie sich nicht unterwürfen, sie von den Franzosen verbrannt werden würden. Ohne zu zittern, sagte er, daß seine Brüder sich zu vertheidigen beschlossen hätten.

Am folgenden Tage machte eine Compagnie Grenadiere einen Versuch, den Eingang zu erstürmen. Nachdem man an den zugänglichsten Punkten Kavallerieposten aufgestellt, rückte die Kolonne den hohlen Weg hinauf, allein eine wohl gezielte, aus dem dunklen Schlunde hervorblitzende Salve, die sie nicht erwidern konnten, nöthigte sie zum Rückzuge. Die Stellung war unangreifbar. Die Araber wurden noch einmal aufgefordert, sich zu ergeben; allein, noch niemals den Franzosen unterworfen und stolz auf ihre natürlichen Verschanzungen, in welche sich die Türken niemals gewagt hatten, verweigerten sie die Unterwerfung. Sofort gab der Oberst Befehl, Holzwellen mit Stroh vermischt zu machen, welche, mit vieler Mühe von der Höhe der El Kantara hinunter geworfen, richtig vor dem Eingange der Höhle zu liegen kamen, aber theilweise von den Arabern trotz des Feuers der französischen Tirailleure in die Höhle gezogen wurden. Endlich, nachdem mehrere von den Unglücklichen niedergeschossen und der Eingang ganz von Wellen bedeckt war, ließ man brennende Holzbündel hinabfallen, um diesen ungeheuern Scheiterhaufen anzuzünden. Den ganzen Tag über wurde das Feuer unterhalten. Bald tönte ein furchtbarer Tumult aus dem Innern der Höhle hervor. Menschengeheul, Thiergebrüll, Stöhnen und Gewehrschüsse hallten durcheinander. Der Oberst, welcher seine Gegner mürbe glaubte, ließ mit dem Feuer inne halten, allein die Unterhandlungen führten zu keinem Ziele. Der Oberst wollte ihnen nach Ablieferung der Pferde und Waffen freien Abzug gestatten, widrigenfalls er fortfahren würde, „ihnen einzuheizen.“ Die Med-Riah hingegen verlangten, daß sich die Franzosen zurückziehen sollten, worauf sie die Höhle verlassen und sich unterwerfen wollten. Nachdem eine vom Oberst gestellte letzte Bedenkzeit von drei Stunden verstrichen war, wurde am 19. Mittags das Feuer wieder angezündet und die ganze Nacht hindurch unterhalten. Der Wind trieb Rauch und Flammen in die Höhle hinein. Die französischen Truppen in ihren rothen Hosen sprangen wie die dienstbaren Geister Satans um dieses Höllenfeuer herum, es geschäftig nährend und schürend, und die Holzbündel eifrig „wie in einen Backofen“ hineinschiebend. Von Zeit zu Zeit schlugen die Flammen bis über den Gipfel der Felsen empor und dicke Rauchwolken wirbelten von der Höhle in die Lüfte. Dazwischen ertönte das dumpfe Gestöhne der Männer und Frauen, das Gewinsel der Kinder, das Geheul der unbändig gewordenen Thiere. Felsenstücke lösten sich von der Hitze los und stürzten krachend und zerschmetternd auf die unglücklichen Opfer nieder; Schüsse donnerten im Innern der Höhle und schaurige, Mark und Bein durchdringende, herzzerreißende Töne kamen aus diesem Hölkenschlunde hervor. Um Mitternacht ertönten noch einige Schüsse; – dann war Alles ruhig. Nur das Knistern der Flammen und der Zuruf der Posten unterbrach die traurige Stille. Das Werk war vollbracht. –

Gegen Anbruch des Tages machte ein Detachement des Artillerie- und Genie-Corps den Eingang zur Höhle frei. Die ersten Räume waren mit Ochsen, Eseln und Hammeln angefüllt, deren Instinkt sie nach dem Ausgange getrieben hatte. Bis an den eigentlichen Eingang mußte man durch eine fußhohe Lage von Asche wandeln und von dort aus gelangte man erst in die eigentlichen, bald eng verschlungenen, bald sich weit auseinander dehnenden Felsenhallen. Nichts kann eine Idee von dem furchtbaren Schauspiele geben, welches sich den Blicken der Eindringenden darbot. Durch eine dicke von Asche geschwängerte Atmosphäre erblickte man in einander verschlungene Haufen von Leichnamen, und die Stellung, in der man sie fand, konnten einen Begriff von den Konvulsionen und Martern geben, die sie ausgestanden haben mußten, ehe sie ausgehaucht hatten. Die Vordersten, dem Feuer am Meisten Ausgesetzten, waren von versenkten Lumpen umhüllt, theilweise verkohlt, während andere ganz nackte Leichname Geschundenen ähnlich aussahen. Vielen stand das Blut in Mund und Nase; Mütter mit Kindern an der Brust lagen zwischen Trümmern aller Art, Ueberresten von Thieren und Geräthen. Andere hatten sich an die Felsenritzen geklammert, um einen Hauch frischer Luft zu erschnappen; noch Andere hatten sich umschlungen und in den Konvulsionen des Erstickens die Zähne einander tief in’s Fleisch geschlagen. Umgestoßene Gefäße, halb verbrannte Teppiche, Geräthe und Waffen aller Art vollendeten das Grausige des fürchterlichen Bildes. Unbeachtet der Anstrengungen der Offiziere konnte man die Soldaten nicht hindern, sich der Effekten zu bemächtigen, den Leichnamen die Arm- und Halsbänder von den halbverkohlken Gliedern zu lösen und die blutigen Burnusse von den Schultern zu reißen.

Man hat nicht erfahren können, was sich im Innern der Höhle zugetragen hat; ob sich sich die Araber mit jenem Stoicismus, dessen sie sich rühmen, dem Tode geweiht, oder ob ihre Chefs und Marabu’s sich ihrer Unterwerfung widersetzt haben. Wie dem auch sei, das Drama war entsetzlich, und die Geschichte weiß ihm wenige an die Seite zu stellen. Die Anzahl der heraus geschleppten Leichen belief sich auf 800–1000, ohne diejenigen zu zählen, welche wie eine Pastete halb verkohlt über einander gehäuft und wie in einander verschmolzen, und die Kinder, welche fast ganz in den weiten Gewändern ihrer Mütter verborgen waren, wo sie Schutz vor der Glut zu finden gehofft hatten. Nur 60 vom ganzen Stamme wurden dreiviertel todt herausgezogen; 40 allein überlebten diese furchtbare Katastrophe, 30 von ihnen wurden in die Ambulance aufgenommen, und die letzten Zehn in Freiheit gesetzt, um in ihre Heimath zurückzukehren – sie hatten nichts mehr als Ruinen, ihre Heimath war eine traurige

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 697. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_697.jpg&oldid=- (Version vom 8.8.2023)