Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Thür erreicht halte, ließ sich ein Trommelwirbel in der Straße vernehmen. Thekla mußte sich an dem nahestehenden Stuhle halten, um nicht zu Boden zu sinken.
„Diese Angst, diese Verwirrung!“ rief Ferenz. „Wer bist Du, wer sind Sie?“ fügte er rasch hinzu, indem er das Gesicht der Gräfin, deren Schönheit selbst der bäuerische Kopfschmuck nicht beeinträchtigen konnte, anstarrte.
„Lassen Sie mich! Lassen Sie mich! Ein augenblicklicher Schwindel – er ist vorüber!“
Thekla lauschte ängstlich auf das Trommeln in der Straße, das noch fortdauerte.
„Großer Gott, Sie zittern vor diesem Signale!“ rief Ferenz. „Und diese Züge, die ich schon im Bilde gesehen. – Nein, nein, Sie sind nicht, was Sie scheinen – Sie sind die Gräfin Thekla Andrasy!“
Die Gräfin erhob sich wieder, ehe der Advokat ihr Beistand leisten konnte. Angst und Besorgniß schienen plötzlich verschwunden zu sein, denn aus ihren Augen strahlte das Feuer des Muthes, der große Geist, der Gefahren trotzt - die Schwäche der Frau war besiegt.
„Ja, ich bin es!“ sagte sie stolz. „Ihre Hand, mein Herr, dem Dichter darf ich mich vertrauen, – ich bin die flüchtige Thekla, auf deren Erlangung man einen Preis gesetzt.“
„O, mein Gott,“ rief der schwärmerische Ferenz, „dies ist der schönste Lohn, der je einen Dichter krönen konnte! Bauen Sie fest darauf, daß ich mit meinem Leben bereit bin, Sie den Verfolgungen zu entziehen.“
Der Advokat ergriff die Hand der Gräfin und küßte sie.
„Wissen Sie, was der Trommelwirbel bedeutet?“
„Er ruft die Schutzwehr zum Appel, deren Commandant Herr Czabo ist. Sie haben für diesen Augenblick nichts zu fürchten.“
„Und was habe ich von dem Dichter zu hoffen?“
„Daß er mehr thun, als Verse schreiben, daß er Sie retten wird!“
Auf der Hausflur ließ sich Herrn Czabo’s Stimme vernehmen, der Niklas, Netti und Kathi rief.
„Mein Schwiegervater!“ flüsterte Ferenz. „Tragen Sie Sorge, daß er Ihren wahren Stand nicht entdeckt, er ist zwar gut, aber schwach. Um sich als Commandanten zu zeigen, könnte er leicht eine Unbesonnenheit begehen, die Sie in das Verderben stürzt.“
„Kathi, Netti, Niklas!“ rief lauter der Apotheker. „Meinen Degen, meine Schärpe, meinen Federhut!“
„Mein Herr,“ sagte Thekla, „daß Sie an meinem Schicksale Theil nehmen, ist mir ein schöner Trost, der mich an meiner Rettung nicht verzweifeln läßt. So darf ich im Augenblicke der Gefahr fest auf Ihre Hülfe zählen?“
„So wahr ich hoffe, daß es eine ewige Gerechtigkeit giebt! Noch diesen Abend werden Sie von mir hören. Beugen Sie sich nur heute noch in das Joch der Köchin.“
„Ich eile, um keinen Verdacht zu erwecken.“
Als Thekla die Hausflur betrat, war sie ganz wieder Köchin, Niklas und Netti waren beschäftigt, Herrn Czabo Säbel und Schärpe anzulegen.
„Kathi,“ sagte der Commandant, indem er den großen Federhut auf das Haupt setzte, „ich verlasse auf eine, vielleicht auch auf zwei Stunden das Haus, weil meine Mannschaft auf dem Sammelplatze zusammentritt. Es ist etwas Wichtiges im Werke. Wahre die Küche und besorge das Abendessen. Sobald es völlig dunkel geworden, schließe die Fensterladen und bleibe ruhig in Deiner Kammer. Meine Handschuhe!“
Netti eilte in das Wohnzimmer.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 691. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_691.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)