Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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„Die Börse,“ fuhr Kathi mit gepreßter Stimme fort, „habe ich ihm gegeben, damit er sie meiner armen Mutter schicke.“
Sie schwieg und stieß einen tiefen Seufzer aus. Diese Unwahrheit war nur gewaltsam über ihre Lippen gekommen; aber sie glaubte sie nicht verschmähen zu dürfen, um ihre Sicherheit in den letzten Stunden nicht zu gefährden.
Kathi verhüllte mit der Schürze ihr Gesicht und schien still zu weinen.
Herr Czabo war wie vernichtet. Er konnte nicht einmal seinen Zorn an Niklas auslassen, denn der lange Mensch hatte nicht gelogen, er hatte sich nur getäuscht. Da stand nun die schöne Kathi weinend vor ihm, er hatte sie schwer beleidigt. Was würde er darum gegeben haben, wenn er seine Worte hätte zurücknehmen können.
„Kathi,“ sagte er, „weine nicht, ich glaube Dir. Wenn ich in meiner Entrüstung ein wenig zu weit ging, so geschah es, weil ich Dir wirklich gut bin, weil ich alle meine schönen Pläne zertrümmert glaubte, die ich in Betreff Deiner Person entworfen habe. Gieb mir Deine Hand, Kathi!“
Während sie mit der rechten Hand immer noch die Schürze vor die Augen hielt, reichte sie ihm die linke.
„Bist Du wieder gut, mein Kind?“
Sie nichte mit dem Kopfe. Herr Czabo streichelte die kleine, weiche Hand.
„Höre, Kathi,“ flüsterte er ganz leise, „Du hast bei dieser traurigen Gelegenheit die Gefühle kennen gelernt, die ich für Dich hege. Ich weiß selbst nicht, woher sie gekommen sind, aber ich habe sie einmal. Antworte mir, Mädchen, kannst Du Dich entschließen, für immer bei mir zu bleiben, willst Du“ – er sah sich erst nach der Küchenthür um, dann neigte er sich an ihr Ohr und flüsterte ganz leise – „willst Du meine Frau werden?“
Kathi schien hinter ihrer Schürze heftiger zu weinen. Dem Commandanten wollte fast das Herz zerspringen. Er brachte seinen Kopf dem ihrigen noch näher, dabei fiel der Federhut zu Boden. Der gute Mann bemerkte es kaum, denn seine Lippen hatten den Sammt der Wange Kathi’s berührt und ein Schauer durchrieselte seinen ganzen Körper.
„Mädchen,“ lallte er berauscht, „o so antworte mir doch: willst Du meine Frau werden?“
Er fühlte, daß Kathi seine Hand leise drückte. Er zog die Hand der Köchin an seine Lippen.
„Mädchen, Du mußt meine Frau werden!“ stammelte er. „Entscheide Dich, ich kann ohne Antwort nicht von Dir gehen! Ja oder nein?“
„Sprechen Sie mit meinem Vetter,“ flüsterte sie.
„Kathi, zeige mir Dein Gesicht!“
Er wollte die Hand mit der Schürze zurückziehen; sie aber sprang mit einem Satze in die Kammer und schloß die Thür hinter sich.
Herr Czabo rieb sich vergnügt die Hände.
„Ich soll mit ihrem Vetter sprechen!“ flüsterte er entzückt vor sich hin. „Das ist eine Einwilligung in bester Form. Ja, liebe Kathi, das wird morgen geschehen!“
Er ergriff seinen Federhut, verließ, auf den Zehen schleichend, die Küche und ging in sein Zimmer. Der glückliche Wittwer hatte gefürchtet, daß er vor Unruhe nicht würde nicht einschlafen können – jetzt verscheuchte das Glück den Schlaf. Gegen Morgen übermannte ihn der Schlummer. Er sah im Traume Kathi; sie trug ein seidenes Kleid und einen kostbaren Federhut, und er selbst hätte darauf wetten mögen, daß sie nie eine Köchin gewesen sei.
„Der arme Mann!“ dachte Kathi in ihrer Kammer. „Gott verzeihe mir, daß ich eine solche Rolle mit ihm spiele, daß ich ihn so arg täuschen muß. Aber meine Freiheit, vielleicht mein Leben steht auf dem Spiele – ich kann nicht anders, wenn ich mich nicht verrathen will!“
Entdeckungen.
Der nächste Morgen brach an. Herr Czabo war die Liebe und Güte selbst. Er vermied es, Kathi zu sehen, denn er fürchtete sie in Verlegenheit zu setzen. Mit Ungeduld erwartete er den Fischer – aber Lajos kam nicht. Mehr als einmal ging er in den Garten hinaus, aber es zeigte sich kein Kahn auf der ruhig strömenden Save. Auch der Korporal war nicht zu sehen, er hatte sich in die Stadt zum Appel begeben.
„Ich hatte den armen Mann mit Unrecht im Verdachte,“ flüsterte der Apotheker, als er an dem Pavillon vorüberging; „ich will ihn dafür entschädigen, er soll nicht in das schwarze Roß. Jetzt kann ich sicher sein, daß er mir nicht schadet!
Der gute Wittwer hätte die ganze Welt so glücklich sehen mögen, als er selbst war. An der Einwilligung des Vetters Lajos zweifelte er nicht einen Augenblick, und Kathi’s Einwilligung hatte er ja – er konnte die schöne Köchin schon als seine Frau betrachten.
Der Vormittag verfloß wie gewöhnlich. Nach Tische machte Herr Czabo sein Mittagsschläfchen. Diese Zeit benutzte der lange Niklas, um bei Kathi zu sondiren, wie es mit dem Korporal stehe. Er schlich in die Küche, um seinen Kaffee zu holen. Als Einleitung zu der Unterhaltung erzählte er die Neuigkeit, daß man der Gräfin Andrasy, der gefährlichen Revolutionärin, auf der Spur sei. Man wisse bereits, daß sie sich nach Semlin gewendet habe, um von hier aus über die Grenze zu flüchten.
Kathi hörte schweigend zu, ohne sich in ihrer Arbeit stören zu lassen. Niklas entfernte sich wieder. Die Geringschätzung der Köchin erbitterte ihn.
„Ich werde Soldat,“ dachte er; „aber ehe ich gehe, spiele ich der Jungfer noch einen Streich!“
In einer fieberhaften Aufregung, und kämpfend mit der Angst vor Verrath, stieg Kathi um drei Uhr die Treppe hinan, um nach der Hausordnung dem Advokaten Ferenz den Kaffee auf das Zimmer zu bringen, den sie auf einem Präsentirteller in den zitternden Händen trug. Leise trat sie ein, weil sie wußte, daß der junge Mann um diese Zeit arbeitete. Ruhig blieb sie stehen, als sie hörte, daß der Advokat in dem Nebenzimmer, dessen Thür weit geöffnet war, auf- und abging und mit lauter Stimme las:
Da stand urplötzlich eine hohe Frau,
Wie einst Johanna d'Arc, im Volksgewühl,
Die Menge ward begeistert, denn so schön
War selbst die gottgesandte Jungfrau nicht!
„Ein Dichter,“ dachte Kathi, und verhielt sich ganz still, denn es war das erste Mal seit langer Zeit, daß sie wieder Verse hörte, sie, die selbst als Dichterin bekannt war.
Der Advokat fuhr begeistert fort, da er sich allein wähnte:
Du bist die Gottgesandte, hohe Tochter
des würdigen Andrasy, denn dich schmückt
Das Attribut der höchsten Majestät.
Im Kampfe groß, und nach dem Siege mild
Bist Du es, die die Thränen Armer stillt;
Du trägst mit Würde der Verbannung Schmerz,
Vertrauend blickt dein Auge himmelwärts –
Vom Glorienlicht der Hoffnung mild umzogen,
Stehst eine Heldin du in Sturmeswogen!
Die arme Gräfin zitterte, als sie vernahm, daß diese Verse an sie gerichtet waren. Ein heller Thränenstrom entstürzte ihren schönen Augen. Begeisterter, als ob er diese Thränen gesehen, fuhr der schwärmerische Advokat fort:
Und herrlich hat die Gottheit dich geweiht,
Mit Stolz verbindest du Bescheidenheit.
Der Frauen höchste Schöne strahlt darin,
Mein Ideal, du, meine Königin!
Mit großer Selbstzufriedenheit, sein Taschentuch in der Hand, trat der Advokat plötzlich in die Thür. Er sah Kathi, deren Gesicht von Thränen erglänzte.
„Mein Gott,“ fragte er erschreckt, „was ist geschehen? Sie weinen, Kathi, Sie befinden sich in einer Aufregung.“
Die Gräfin konnte nicht ausweichen.
„Ach, Herr Advokat, diese Verse!“ schluchzte sie.
„Hast Du mich belauscht?“
„Ohne daß ich es wollte. O, wie schön, wie groß ist es, eine verbannte, eine verfolgte Frau zu besingen!“
Ferenz starrte die Köchin an. Diese Worte waren nicht in dem gewöhnlichen Dialecte der Landleute gesprochen. Und welche Empfindung verriethen sie!
Die Gräfin Thekla Andrasy, von ihrem Gefühle hingerissen, hatte ihre Maske vergessen. Doch schon im nächsten Augenblicke erinnerte sie sich daran. Bestürzt trat sie zu dem Tische und setzte das Kaffeeservice nieder. Ihre kleinen Hände zitterten, ihr Gang war schwankend. Sie wollte sich entfernen; doch ehe sie noch die
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 690. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_690.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)