Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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„Lieber Herr, setzen Sie Mißtrauen in mich?“ fragte sie mit demselben Lächeln. „Ich habe in Ihrer Abwesenheit nicht eine Minute die Küche verlassen.“
Diese Worte wurden in einem so wunderbaren Tone gesprochen, daß dem Apotheker der Muth fehlte, seine kränkende Untersuchung fortzusetzen. Er konnte kaum den aufrichtigen Blick des Mädchens ertragen, das er auf die Aussage des langen Niklas hin verdächtigte. Wie gern hätte er die Unterredung abgebrochen, aber die Furcht vor der schlaflofen Nacht, die jedenfalls kommen würde, wenn er ohne Gewißheit zu Bette ginge, stachelte ihn an, von der Köchin einen triftigern Beweis ihrer Unschuld zu erlangen, als diesen Blick.
„Kathi, ich will Dich nicht kränken,“ begann er verlegen nach einer Pause. „Du weißt, daß ich es herzlich gut mit Dir meine. Ich bin Wittwer, und habe mir vorgenommen, Dein Glück zu machen.“
„Was soll das heißen, Herr Czabo?“
„Zunächst vernimm, daß ich in vierzehn Tagen meine Netti verheirathe. Ich will dem Glücke der beiden jungen Leute nicht länger im Wege stehen.“
„Dann wäre ich allein bei Ihnen im Hause?“
„Ganz recht, und darum begreifst Du, daß kein Makel, selbst nicht der leiseste Verdacht auf Dir haften darf. Du wirst dann immer bei mir bleiben - hast Du Lust dazu?“
Kathi preßte die rechte Hand auf ihr Herz, als ob sie einen stechenden Schmerz unterdrücken wollte. Nach einem Seufzer sagte sie:
„Lieber Herr, Sie müssen am Besten wissen, was Ihnen gut ist.“
„Und Du, Kathi?“
Sie senkte die Augen zu Boden, und flüsterte:
„Sprechen Sie mit meinem Vetter Lajos!“
Der Commandant hätte das reizende Mädchen fast umarmt.
„Der verdammte Korporal!“ dachte er, indem er sich in die Lippen biß, und die beschämte Kathi betrachtete.
Plötzlich zuckte er zusammen, ihm war eine List beigefallen, mit deren Hülfe er sofort klar sehen konnte. Er schwor sich selbst, Niklas aus dem Hause zu jagen, wenn er das reizende Mädchen verleumdet hätte. Ein Liebhaber von zwanzig Jahren würde über Kathi’s Reizen ihre Fehler vergessen haben - der Apotheker aber, trotzdem er verliebt war, ging mit der Ruhe zu Werke, die das vorgerückte Alter mit sich führt. Die Worte des Gehülfen saßen wie ein brennender Pfeil in seinem Herzen, und um sich ganz des Glückes der Liebe zu erfreuen – Herr Czabo war kein Freund von Halbheiten – mußte dieser Pfeil herangezogen werden.
„Kathi,“ sagte er, „Du sollst von diesem Augenblicke an die Wirthschaft unumschränkt leiten.“
„Aber, lieber Herr, ich bin ja noch so unerfahren – –“
„Ich bin mit dem zufrieden, was Du thun wirst.“
„Wenn mir Mamsell fehlt –“
„Mir wird sie nicht fehlen. Um Dir also einen Beweis meines Vertrauens und meiner Achtung zu geben, überliefere ich Dir das wöchentliche Wirthschaftsgeld.“'
„Aber, Herr Czabo.“
„Ich dulde keinen Widerspruch. Bevor ich handele, habe ich reiflich überlegt. Gieb mir einmal Deine Börse.“
„Meine Börse?“ fragte sie überrascht.
„Nun ja, ich selbst werde das Geld hineinstecken, dessen Du für die nächste Woche bedarfst. „Gieb, Kathi – ich habe es einmal beschlossen – –“
Er vermochte nicht weiter zu reden, die ängstliche Befangenheit Kathi’s fiel ihm wie eine ungeheure Last auf das Herz, er glaubte die ersten Zeichen ihrer Schuld entdeckt zu haben. „Wenn Niklas dennoch die Wahrheit gesagt hätte!“ dachte er bestürzt, und dabei sah er das junge Mädchen wider seinen Willen mit durchbohrenden Blicken an.
Kathi war wirklich einen Augenblick bestürzt; sie hielt den Apotheker, den sie als einen erbitterten Feind der Revolution kannte, für einen listigen Menschen, für einen Spion, der Ahnung von ihrem wahren Stande hatte, und sie in das Verderben zu stürzen suchte. Warum fragte er nach der Börse, deren Inhalt zum Ankaufe des Bootes verwendet war, das die Flucht der proscribirten Gräfin ermöglichen sollte? Sie sah, wie die Lippen des Commandanten der Schutzwehr zitterten, sie sah die veränderten Blicke, die sie kurz zuvor noch so freundlich angesehen hatten. Die Zärtlichkeiten des Apothekers waren also eine List gewesen, um sie zu fangen. Das arme Mädchen hielt sich für verloren. Sie wähnte, das erste Begegnen des Grafen, wobei sie ein wenig außer Fassung gerathen, habe den ersten Anlaß zu dem Verdachte gegeben.
„Kathi,“ wiederholte Herr Czabo, „wo ist die Börse?“
„Die Börse?“ flüsterte sie.
„Warum siehst Du mich nicht an? Warum schlägst Du die Augen nieder? Kathi,“ rief der Apotheker, der von der Schönheit des bestürzten Mädchens wie geblendet war, und einen aufrichtigen Schmerz über ihre Schuld empfand –„Kathi, habe ich es um Dich verdient, daß Du mich hintergehst? Ich bin Wittwer, ich meine es gut mit Dir, und Du – Du –“
Der verliebte Wittwer konnte nicht weiter reden, denn Kathi, die leise zitterte und bald roth, bald bleich geworden, war in dieser Verfassung so schön, daß sie in den Augen des Herrn Czabo einem gefallenen Engel glich, um den das Herz trauert.
Es konnte dem scharfen Blicke der Gräfin nicht entgehen, daß der Schmerz des Apothekers kein erkünstelter war. Aber wo hinaus wollte der gute Mann mit seinen Forschungen? Der Drang der Umstände gebot ihr, sich darüber Gewißheit zu verschaffest.
„Nun, und ich?“ fragte sie, den Commandanten mit großen Augen anblickend.
Herr Czabo fühlte sich zum Verzeihen so geneigt, daß er wie bittend ausrief:
„Mädchen, hast Du mir Nichts zu bekennen?“
„Mein Gott, lieber Herr, ich habe so nichts begangen.“
„Und das sagst Du mir mit dieser treuherzigen Miene?“
„Herr Czabo!“ flüsterte sie in einer Anwandlung von Entrüstung.
„Wo hast Du die Börse? Das will ich wissen! Das hast Du mir zu bekennen! Du schweigst. Nun wohlan, so will ich es Dir sagen, Du Schlange!“
Kathi zuckte zusammen. Dann aber faßte sie sich wieder, und sah den Apotheker fest an.
„Wer war an diesem Fenster?“ fragte der Apotheker.
Das schöne Mädchen zitterte, es glaubte, der Commandant der Schutzwehr sei auf der rechten Spur.
„Wer hat mit Dir gezischelt und geflüstert?“ fuhr der Commandant anfgeregt fort. „Wem hast Du das Geld, die ganze Börse gegeben? Und zu welchem Zwecke? O, der Zweck ist noch das Abscheulichste!“
„Er weiß Alles!“ dachte die Gräfin.
„Mädchen, erwacht Dein Gewissen nicht? O, ich sehe, Du bist eine verstockte Sünderin, denn Du beharrst hartnäckig in Deinem sträflichen Schweigen. Ich dachte, Dein Vetter Lajos führte mir die Unschuld selbst in das Haus, und nun muß ich erfahren, daß ich eine Heuchlerin unter meinem Dache beherberge. Kaum hat der verwünschte Korporal meine Schwelle überschritten – ach, Du erröthest - ich spreche von dem Korporal, und Du blickst zu Boden – Kathi, Du hättest an Deine und meine Ehre denken sollen!“
„Ihre Ehre, Herr Czabo, habe ich sie gekränkt?“
Der Alte gerieth in Zorn.
„Ein Geschenk, das ich Dir aus wohlmeinendem Herzen mache, giebst Du einem Korporal? O, von dem Gelde, das er auf Dein Wohl vertrinken soll, spreche ich nicht; aber von der Börse, die meine arme Netti gestrickt hat.“
„Der Korporal soll an meinem Fenster gewesen sein?“ fragte Kathi, die nun begriff, daß die Eifersucht aus dem Apotheker sprach. „Lieber Herr, wer Ihnen das gesagt hat, ist ein boshafter Lügner. Ich kenne den Korporal nicht, und habe ihn, außer in Ihrem Zimmer, nicht gesehen!“
Herr Czabo stutzte.
„Mädchen,“ stammelte er, „warum zeigst Du mir die Börse nicht?“
„Weil ich sie nicht mehr habe.“
„Und wer hat sie?“
„Mein Vetter Lajos. Er und kein Anderer war am Fenster!“ Nach diesen Worten wandte sich Kathi beleidigt ab.
„Das ist wahrscheinlich,“ dachte der Apotheker. „Lajos hat in der Save gefischt, ist durch den Garten gekommen, und hat, da die Thür verschlossen war, an das Fenster geklopft. Ich darf Nichts sagen, da ich ihm erlaubt habe, seine Nichte zu besuchen.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 689. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_689.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)