Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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aus (siehe Weimar. Sonntagsblatt Nr. 39) erhobenen Vorwurfs, in dem bekannten „Gedenkbuch“ des Schillervereins sei „Mißbrauch“ mit dem Namen des großen Dichters getrieben. Der Redner nannte den Goethe-Kultus als den Kreis, aus welchem dieser Vorwurf hervorgehe, einen Kreis, den die Bildungswelt Deutschlands noch immer dem Volksthum Deutschlands gegenüberstelle. Und doch würden, schloß der Redner, beide Dichter auf demselben Postament in Weimar stehen, zwei brüderliche Apostel, die vereint dem Deutschen das Evangelium der Freiheit und Schönheit verkündeten.
Der Festrede Kühne’s folgten mehrere Gesangstücke und Declamationen, und diesen eine Reihe lebender Bilder aus Schiller’s Leben, wozu E. Büchner die Musik componirt und Theodor Apel ein Gedicht verfaßt hatte, welches von Wenzel, Mitglied des hiesigen Stadttheaters mit erhebendem Ausdruck gesprochen wurde. Sieben Tableaux führten nun, im Verein mit dem Apel’schen Gedicht, das wir, um der tiefempfundenen Begeisterung willen, die es in sich trägt, unsern Lesern nicht vorenthalten können, folgende Momente aus Schiller’s Lebens- und Verklärungsgeschichte vor:
Er kam zur Welt – gesegnet war der Tag
Und wird gesegnet sein zu allen Zeiten!
So lange noch das Wort der Menschen Schmuck,
Das freie Wort des Mannes Zierde bleibt,
Strahlt sonnenkräftig vor am deutschen Himmel
Des Deutschen Stolz, der Name: Friedrich Schiller!
Wen aber Gott zur großen That erwählt,
Dem weckt er früh den Funken im Gemüth,
Deß Feuerkraft von Jahr zu Jahr sich mehrt,
Daß aus des Jünglings Thun und kräft’gem Handeln
Sich wetterleuchtend schon die Flamme kündet,
Die dann als Feuerstrahl, als Blitz des Himmels,
Wie in des Gottes Hand der Donnerkeil
Des Mannes That hinschleudert in die Welt,
Daß staunenswerth sie allen Zeiten leuchte!
Die Himmelskraft in Schiller’s großer Seele,
Sie leuchtet uns im Strahle seines Wortes:
Im Strahle, der vernichtend niederbrennt,
Was ungediegen nicht des Lebens werth –
Im Strahle, der als Gruß von Gottes Sonne
Befruchtend, segnend neues Leben schafft.
Des Wortes Held muß früh dem Wort sich weihen:
Dem Knaben schon muß sich die Macht erschließen,
Die ihn als Jüngling drängt zur raschen That,
Die er als Mann, als Meister kräftig nutzt –
D’rum Heil dem Dichter, dem in früher Kindheit
Sich Gotteswort in reiner Brust erschließt!
Heil ihm, der mit der Mutterliebe Gruß
Das Buch des Herrn die junge Brust erwärmt,
Der mit des Kindes klarem, treuen Auge
Der Mutter Bild untrennbar sieht verwebt,
In erster Ahnung unsers Weltenschöpfers,
Den betend sich die Millionen neigen!
Des Vaters Ernst, der Mutter milder Blick
Schau’n segnend, wie des Kindes helles Auge
Vertrauensvoll nach oben auf sich hebt,
Den Gott zu schauen, den die Mutter ihm
Im Evangelium lesend ahnen läßt!
Den guten Vater über’m Sternenzelt,
Der dort vom Himmel seine Menschen segnet!
Wem Gottes Wort des Lichtes Segen gab,
Des klares Auge spät der Wahrheit nach!
Wo er die Himmlische nur ahnet, strebt
Sein Feuergeist sie stark sich zu erobern,
Der Menschheit sie zu ihrem Heil zu schenken.
Wohl irrt sein Blick, denn irren muß der Mensch
Erlernen, der sich schweren Pfad erwählt;
Wer nie vom falschen Weg sich frei gekämpft,
Um mühevoll den rechten zu erringen,
Geht selten zweifelsfrei den rechten Weg.
Ist dann die Wahrheit nur des Strebens Ziel,
Ist echt das Streben, frei von eitlem Stolz:
Dann hilft ein Gott, und führt den muth’gen Kämpfer
Früh oder spät doch endlich an das Ziel.
Ein herbes Loos fiel unserm Dichter zu:
Das Wort des Herrn ließ ihn sein Ziel erkennen,
Sein ganzes Herz gehörte diesem Ziel –
Doch andrer Pfad ward ihm von mächt’ger Hand,
Und andres Ziel nach Vorschrift angewiesen.
Es scherzt so leicht sich mit Bequemlichkeit
Vom sichern Standpunkt angeerbter Größe,
Und sieht sich gut dem wirren Treiben zu,
Wie seltsam oft auf ganz verkehrtem Weg
Die Wand’rer unten nach der Höhe streben.
Der Eichbaum duldet gern, daß sich die Rebe
Gefügig leicht an ihn zur Höhe schmiegt;
Drum fügt Euch nur, und aufwärts sollt Ihr klimmen!
Doch dieses Klettern an dem andern Stamm
Vermag die Rebe, nicht der Lorbeerbaum –
Er trägt sein eignes Haupt; eh’ er sich beugt
Wird er zersplitternd, todt zu Boden fallen.
Und unser Dichter steht vor seinem Herrn,
Er hört die Worte, die der Mächt’ge spricht,
Um freundlich ernst ihm seine Bahn zu zeigen –
Es ist die Bahn nicht, die sein Gott ihm zeigte;
Doch mächtig sind die Banden dieser Welt,
Unlösbar oft, sind sie der Heimath Bande.
So schaut der Adler, dessen Fuß gefesselt,
Der Sonne nach, die ihn zum Fluge lockt –
Stark sind die Schwingen und er regt sie frei,
Doch zieht die Fessel ihn zum Boden nieder!
Er fühlt die Kraft zum Flug und sieht sein Ziel
Ihm unerreichbar weiter sich entfernen!
Frei oder Tod – der Würfel ist gefallen,
Die Fessel hält nicht länger mich zurück!
Ich sprenge sie, und wär’ sie mir zu stark,
Mag sie mich tödtend, mir die Freiheit geben!
Der Mensch ist frei, geboren selbst in Ketten
Ist frei der Geist; wohlan, ich wag’ es drauf,
Sei’s in Gefahr, das Letzte zu verlieren!
Der Aeltern Haus, der Heimath theuren Boden,
Ich fliehe sie, mir neue Heimath suchend.
Denn Heimath ist allein auf dieser Erde,
Wo frei der Geist die eigne Bahn verfolgt,
Wo fremdem Zwange nicht die Kraft erliegt.
Ein Lebewohl, gedacht nur, nicht gesprochen,
Mit ernstem Blick dem Vater zugebracht,
Der sonder Ahnung, daß der Sohn entflieht,
Von Lustbarkeiten sorglos ihm erzählt,
Die höchsten Orts das Fest verschönern sollen –
Und dann sich arglos an’s Geschäft begiebt.
Ein Lebewohl, der Mutter heiß gesagt,
Die Mutter konnt’ er schweigend nicht verlassen –
Ihr mußt’ er sagen von der schnellen Flucht;
Denn Muttersegen stärkt das Herz, den Geist,
Und hält uns aufrecht auch im schwersten Leiden.
Zeit wird’s zu gehen, zur Eile drängt der Freund,
Der willig Glück und Unglück mit ihm theilt.
O Mutter, Lebewohl! Und durch die Nacht
Rollt mit den Freunden rasch der kleine Wagen;
Nach Manheim führt die Bahn – o Manheim! Manheim!
Mögst freundlich du dem Manne Heimath werden!
Und Er entrann der Heimath schweren Banden –
Und athmete der Freiheit Himmelsluft!
Doch weigert nur zu oft des Glückes Göttin
Dem ihre Gaben, der die Freiheit liebt!
Von Schritt zu Schritt lockt sie den Schwärmer weiter,
Zeigt ihm so nah ihr reizend Angesicht,
Und greift er zu, dann flieht sie lächelnd fort,
Und er umarmt statt Glück nur leere Hoffnung!
So unser Dichter; sorgenschwer durchirrt
Sein Fuß die Gauen deutschen Vaterlands.
Wohl zeigt sich Ihm zu kurzer Rast ein Ort,
Der Zeit Ihm bietet, daß sein Schöpferdrang,
Im glüh’nden Lied der Menschen Herz erobere;
Doch nirgends winkt der Heimath Friedensheerd,
Der Ihm des Hauses dauernd Glück verkündet. –
Da endlich dringt der Zauber seiner Dichtung
In Weimars Musentempel ein, und bald
Winkt Ihm der Fürst mit seinen Meistersängern.
In Jena, von der Saale Fluth umrauscht,
Ward unserm Dichter ein Asyl geboten.
Hier soll Er wirken, soll dem Hörerkreis
Lerngier’ger Jugend durch des Wortes Macht
Aufrollen das Gebild der Weltgeschichte,
Und hier gelang es Ihm durch eigne Kraft
Des langersehnten Hauses Grund zu legen.
Im stillen Garten sehn wir Ihn erfreut
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 684. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_684.jpg&oldid=- (Version vom 7.8.2023)