Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Kinder und Frauen mit kleinen Kehlköpfen und kurzen Stimmbändern haben eine höhere und weichere Tonbildung und singen Diskant, Sopran oder Alt; erwachsene Männer dagegen Tenor, Baryton oder Baß. Während der Punbertätszeit, d. h. desjenigen Lebensabschnittes, in dem der Knabe zum Jüngling, das Mädchen zur Jungfrau heranreift, ändern sich die Stimmwerkzeuge in ziemlich stürmischer Weise und dabei wird die Stimme unrein, schnappt leicht über und wandelt sich allmälig aus der höheren und schwachen in eine tiefere, klangvollere, kräftigere um. Man nennt diesen, 2 bis 3 Jahre dauernden Stimmwechsel das Brechen oder Mutiren der Stimme. Es darf zu dieser das Stimmorgan ja nicht angestrengt werden, wenn die Stimme nicht für immer verdorben werden soll. Aber auch nach Beendigung der Mutation, bei der Jungfrau um das 16te Jahr, beim Jüngling zwischen dem 17ten und 19ten Jahre, muß die Stimme noch anfangs sehr geschont und vorsichtig behandelt werden. Der systematische Singeunterricht bei Kindern sollte vor dem 10ten Jahre nicht beginnen.
Innerhalb des Bezirkes jeder Stimmart lassen sich dreierlei Stimmweisen oder Stimmregister unterscheiden, welche vorzugsweise für Töne verschiedener Höhe bestimmt sind; doch lassen sich manche Töne, besonders die, welche auf der Gränze zwischen den Registern stehen, auch in allen drei Registern singen. Man unterscheidet: die Brust-, Kopf- und Falset- (oder Fistel-) Stimme und erklärt die Bruststimme, welche voll und stark ist und sich vorzugsweise in den tieferen Tönen bewegt, durch das Schwingen der ganzen Stimmbänder bei schwacher Spannung derselben und starkem Anblasen, während bei der flötenartigen weichen Fistel- oder Falsetstimme, mit der die höchsten Töne gesungen werden, nur die innern freien Ränder der Stimmbänder allein schwingen sollen. Die Kopfstimme, welche zwischen Brust- und Falsetstimme mitten inne steht und weichere, zartere, aber etwas gedämpftere Töne als die Bruststimme liefert, scheint durch Schwingungen der ganzen Stimmbänder bei starker Spannung und schwachem Anblasen, sowie durch Verengerung der Kehlkopfshöhle dicht unterhalb der Stimmbänder, zu entstehen. Es kann nämlich jeder Ton von ein und demselben Stimmbande zweimal gewonnen werden, bei stärkerer Spannung und schwachem Winde und bei schwacher Spannung und starkem Winde. Das Letztere ist charakteristisch für die Brusttöne und um so sehr, je mehr sie forte und fortissime gesungen werden, das Erstere für die Kopftöne und um so mehr, je mehr sie piano und pianissimo gesungen werden. Daher gehen die Brusttöne gegen das Piano hin in Kopftöne und diese gegen das Forte hin in Brusttöne oder bei stärksten Spannungsgraden in Fisteltöne über. Mit den Fisteltönen haben die Kopftöne die geringe Windstärke, mit den Brusttönen die Schwingungen der Stimmbänder in ganzer Breite gemein und deshalb sind sie besonders geeignet, den Uebergang des einen Registers in das andere zu bilden, was besonders dann geschieht, wenn derselbe Ton bei seinem allmäligen Anschwellen nach und nach von der Brust-, Kopf- und Fistelstimme gesungen wird. Es ist die Aufgabe des Sängers und Gesanglehrers, durch Uebungen diese drei Register so mit einander zu verschmelzen, daß ihre Uebergänge in einander unmerklich werden. Sodann verlangt es aber auch die Schonung der Stimme, daß der Sänger diesen Registern ihre bestimmten Töne anweist und nicht etwa Töne, welche er durch die Kpofstimme mit Leichtigkeit singen kann, durch die Bruststimme herausquält. Im Mittel umfaßt die Bruststimme etwa 1 bis 11/2 Octave der tiefsten Töne und alle höheren werden dann leichter mit der Kopf- und Falsetstimme gesungen. – In jedem Stimmregister können die Töne hell oder gedämpft (verhüllt) gegeben werden und dies dürfte hauptsächlich durch die höhere und tiefere Stellung des Kehlkopfes zu Stande kommen.
Während des Singens darf das Spiel des Brustlastens nicht durch unzweckmäßige Stellung, enge Kleidungsstücke, gefüllten Magen u. s. w. beeinträchtigt werden, sowie auch Alles, was die Athembewegungen beschleunigt, vor und nach dem Singen vermieden werden muß. – Aus dem Gesagten wird sich ein Jeder die Regeln herausnehmen können, welche beim Singenlernen zu beobachten sind.
Ausflüge in chemisch-technische Werkstätten.
Giebt es wohl etwas Interessanteres und zugleich Erhebenderes, als der Natur Geheimnisse zu belauschen, zu sehen wie oft durch unscheinbare Ursachen dennoch so große Wirkungen hervorgebracht werden, und wie doch alle diese Wirkungen durch ewig unabänderliche Gesetze nothwendig bedingt sind? Die Naturwissenschaften nehmen immer mehr und mehr den Rang ein, der ihnen als Förderer der Wahrheit, und in Folge dessen als Förderern des geistigen und leiblichen Wohles der Menschheit von Rechts wegen zukommt, und Niemand wird ferner auf Bildung Anspruch machen dürfen, dem nicht mindestens die Pforten der Wissenschaft eröffnet sind. Nur Zeloten und sonstige Freunde allgemeiner Unwissenheit können diesen Gang der Dinge beklagen und anfeinden, aber alles Gegenarbeiten wird nutzlos sein und der Wahrheit nur die Bahn ebnen helfen. Vor Allem erfreulich ist es zu sehen, wie die einzelnen Zweige der Naturwissenschaften immer mehr und mehr praktisch in das Leben eingreifen lernen, wie neugemachte Entdeckungen nicht mehr im Wuste der Stubengelehrsamkeit vorkommen, sondern von speculativer Thätigkeit erfaßt, schnell lebenskräftig werden und so zur Hebung von Kunst und Industrie das Ihrige beitragen. Früher war es wohl eine gewöhnliche Erscheinung, daß die Praxis längst übte, wovon die Wissenschaft eine Erklärung zu geben nicht vermochte: man bereitete lange vorher Essig, ehe man wußte, daß der Sauerstoff der atmosphärischen Luft es sei, welcher die geistigen Flüssigkeiten sauer macht; in Sidon und Alexandrien bestanden Glashütten schon zu Plinius und Strabo’s Zeiten, aber erst die neuere Chemie lehrte, daß es die sauren Eigenschaften der Kieselerde seien, welche die Glasbildung bedingen.
Anders heut zu Tage: kaum ist eine neue Eigenschaft eines Körpers bekannt, so ist man bemüht, sie nutzbar zu machen, und selten bleibt die Mühe unbelohnt. Der näheren Kenntniß von den Eigenschaften des Wasserdampfes folgte seine Benutzung als bewegende Kraft; dem Nachweise, daß Stärkemehl sich durch Einwirkung von Wärme und Salpetersäure in eine gummiartige Substanz verwandeln lasse, folgte die fabrikmäßige Darstellung des Dextrins, welche mit Ersparung vieler Tausende, die für arabisches Gummi in das Ausland gingen, einen in gleicher Weise zu verwendenden Stoff aus einheimischen Produkten liefert. Tausend Beispiele dieser Art ließen sich noch aufführen, und wir mögen unsere Blicke hinwenden, wohin wir wollen, in die Werkstube des bürgerlichen Handwerkes oder auf den Acker des Landmannes, in die großen Etablissements der Fabrikstädte oder in die Tiefe zu den Revieren des Bergmannes, überall werden wir derselben Erscheinung begegnen: dem wohlthätigen Einfluß wissenschaftlicher Theorie auf die werkthätige Praxis. Nirgends aber tritt sie uns überzeugender und bekehrender entgegen als in jenen Werkstätten der technischen Chemie, die wir im Allgemeinen mit den Namen „chemischer Fabriken“ bezeichnen. Begleite mich, verehrter Leser, in einige derselben, und Du sollst die Ueberzeugung mit Dir fortnehmen, daß in der Natur Nichts unbedeutend ist, daß der unscheinbarste Stoff nur ein notwendiges Glied des großen Ganzen und einer Verklärung fähig ist, die stets fördernd auf das Ganze zurückwirkt.
Wir stehen vor einer Reihe Gebäude mit einigen hohen, dampfenden Schornsteinen, denen sich rundum verschiedene kleinere beigesellt finden, diese wie jene bemüht, den früher hellen Anstrich der Häuser möglichst balb verschwinden zu machen. Treten wir ein und betrachten zuvörderst die Rohstoffe, die hier verarbeitet werden, von denen wir in den Vorrathshäusern große Mengen finden: da begegnet uns zuerst ein alter Bekannter aus dem täglichen Leben, das Kochsalz oder wie die Chemiker es nennen, das Chlornatrium, weil Chlor und Natrium die beiden Elemente sind, welche es zu gleichen Atomen bilden; dort sehen wir einen Berg von Schwefel, ein Artikel, durch dessen Produktion das Königreich Neapel sich die ganze industrielle Welt zinspflichtig erhält, und dessen erschwerte oder verbotene Ausfuhr mehr als einmal
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 678. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_678.jpg&oldid=- (Version vom 6.8.2023)