Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Zur Physiologie des Gesanges
Wo man singt, da laß’ Dich häuslich nieder u. s. w., aber um’s Himmels Willen nur nicht da, wo man mit schlechter Stimme schlecht singt, wie dies heutzutage privatim und publice Mode zu werden droht und Jeder zu denken scheint: „Singe, wenn Gesang gegeben.“ Nein! wer kein musikalisches Gehör hat und neben einer zweckmäßigen Einrichtung seiner Stimmwerkzeuge nicht Fleiß und Ausdauer genug auf die Ausbildung seiner Stimme verwenden will, der schweige sich lieber aus und überlaste das Singen Andern. Auch reicht selbst ein reiner Ton und eine wohlklingende Stimme noch lange nicht zum öffentlichen Singen aus, erst die gehörige geistige Auffaßung und die richtige Bearbeitung des Vorzutragenden macht einen Sänger, von dem man sagen kann: „er singet dem Gesang zu Ehren.“ Das bloße mechanische Einlernen von Gesangsparthien setzt den Sänger gleich neben den studirten Papagei.
Was für Ansprüche macht man denn nun aber beim Singen an einen Ton, wenn er als schön gelten soll? Er muß rein (von richtiger Höhe) und ohne Klangbeimischung, klangvoll und metallisch, gehörig stark und voll, fest (nicht tremulirend) und dauerhaft sein. Auf alle diese Eigenschaften läßt sich Einfluß ausüben, zumal wenn schon von Jugend auf dahin gewirkt wird. Versuchen wir dies zu beweisen. – Wie bekannt (aus Gartenlaube 1855. Nr. 43) entsteht der Ton im Kehlkopfe durch Schwingungen der mit Schleimhaut überkleideten untern Stimmbänder oder besser Stimmhäute, und diese Schwingungen werden durch die Luft veranlaßt, welche mit einiger Kraft von unten, von der Lunge her durch die Luftröhre und Stimmritze hindurch getrieben wird. Gleichzeitig setzen die Stimmbänderschwingungen aber auch die Luft und die Wände der Luftwege oberhalb und unterhalb der Stimmritze, sowie selbst die Wand des Brustkastens in Mitschwingen und geben dadurch, nach der verschiedenen Beschaffenheit der mitschwingenden Theile (besonders nach der verschiedenen Weite der Lufträume und der Schwingungsfähigkeit ihrer Wände) dem Tone einen stärkern oder schwächern Wiederhall (Resonnanz). Befühlt man beim Singen den Brustkasten, die Luftröhre, den Kehlkopf, den Gaumen oder die Zähne, so wird man deshalb an allen diesen Theilen ein leises Vibriren wahrnehmen, was um so deutlicher wird, je stärker man singt. Vermehren läßt sich diese Resonnanz, wodurch der Ton an Fülle und Klang gewinnt, wenn man Lunge und Brustkasten durch tiefes und kräftiges Athmen, sowie durch passende gymnastische (Knickstütz-)Uebungen, besonders von Jugend auf, gehörig zu erweitern sucht. Geichzeitig kräftigen diese Uebungen aber auch die Athmungsmuskeln und können insofern auf die Stärke und Gleichmäßigkeit des Tones, welche von der Kraft und Gleichmäßigkeit abhängt, mit welcher die Luft durch die Stimmritze getrieben wird und die Stimmbänder in Schwingungen versetzt, großen Einfluß ausüben. Es darf der Ton nicht herausgestoßen, sondern er muß, wie die Italiener sagen, herausgesponnen werden (filar il tuono). – Ebenso, wie nun die Erweiterung des Brustkastens und der Lunge die Resonnanz des Stimmapparates verbessern kann, so vermag dies auch noch das Weitsein der Räume oberhalb des Kehlkopfes, wie des Schlundkopfes, der Mund- und der Nasenhöhle, weshalb diese Räume so lufthaltig als möglich sein müssen. Hierzu trägt aber bei: die richtige Stellung der Mund- und Gaumentheile, die Verkleinerung großer Mandeln und die Verdünnung der verdickten Nasen- und Gaumen-Schleimhaut – Was das Metall und die Reinheit (hinsichtlich der Klangbeimischung) des Tones betrifft, so sind diese Eigenschaften hauptsächlich von dem Schleimhautüberzuge der Stimmbänder abhängig und Alles, was diesen dicker, härter, trockner oder feuchter, als sich gehört, machen kann, thut dem Metall der Stimme Eintrag. Deshalb muß jeder Sänger und wer überhaupt singen will, seine Kehlkopfschleimhaut ängstlich behüten und so behandeln, wie in der Gartenlaube (1855. Nr. 48) angegeben worden ist. Bisweilen läßt sich mit Höllenstein der Zustand dieser Schleimhaut und damit die Stimme verbessern.
Eine Hauptaufgabe beim Singen ist es nun, daß der im Kehlkopfe erzeugte Ton oder die Schallwellen, auch so ungetrübt als möglich zum Munde hervortönen. Um dies zu können, müssen die obersten Luftwege, nämlich die sogen. Rachenenge (d. i. die von dem Gaumenkegel, den Mandeln, dem Zäpfchen und den Gaumen begrenzte, Mund- und Schlundkopfshöhle verbindende Oeffnung über der Zungenwurzel; s. Gartenlaube 1855. Nr. 38), die Mundhöhle und der Mund ordentlich weit sein und gehörig geöffnet werden, damit der Ton nicht zu stark gequetscht werde und an zu vielen Stellen anpralle, wodurch er unangenehme Klangbeimischungen erhält (wie der Kehl-, Gaumen-, Nasen- und Zahnton). Deshalb ist vorzüglich auf die Gaumen-, Zungen-, Zähne- und Lippenstellung zu achten und der Sänger muß durch häufige Uebungen (Zungen- und Gaumenturnen) große Herrschaft über diese Theile (Gewandtheit in der Bewegung derselben) zu erlangen suchen. Auch ist die Größe der Mandeln soviel als möglich zu verringern, was durch Bestreichen mit Höllenstein oder Jodtinktur, sowie durch Abschneiden eines Stückes derselben ermöglicht wird. Am besten soll der Tonanschlag, wie die Gesanglehrer sagen, sein, wenn die Schallwellen vorn am harten Gaumen, dicht hinter den obern Schneidezähnen antreffen. Das bedeutet aber nichts Anderes, als wenn die Schallwellen (der Ton) so unbehindert als möglich und in der größt-möglichsten Menge zum Munde herausströmen. Dies ist aber der Fall, sobald beim Singen die Vokale, besonders a und o, klar, rein und edel ausgesprochen werden. – Hinsichtlich der Festigkeit und Dauerhaftigkeit des Tones, welche von der Kräftigkeit der Kehlkopfsmuskeln abhängig ist, so kann diese nur dadurch erlangt werden, daß man die genannten Muskeln zuvörderst gut ernährt (durch thierische, Blut bildende Kost) und daß man dann ganz allmälig beim Singen eine Steigerung an Kraft und Ausdauer, mit den gehörigen Pausen, eintreten läßt. Zu starke, zu lange und zu schnell auf einander folgende Anstrengungen des Kehlkopfes erzeugen einen lähmungsartigen Zustand der Stimmnerven und Muskeln, sowie eine Verstimmung der Stimme (s. Gartenlaube 1855 Nr. 48), so daß dieselbe zittert (tremulirt), betonirt oder sogar gänzlich versagt. Wie mancher Gesangslehrer und Sänger hat nicht schon durch solche Ueberanstrengungen die schönste und kräftigste Stimme ruinirt. – Bevor die Muskeln des Kehlkopfs den nöthigen Grad von Uebung und Kraft erlangt haben, detonirt die Stimme gewöhnlich öfters, d. h. die Töne weichen von ihrer richtigen und bestimmten Höhe nach oben oder unten hin etwas ab und werden unrein. Dies findet wie bei Schwäche der Stimmorgane auch noch bei schlechtem musikalischen Gehöre und nicht selten auch in Folge einer schlechten Lehrmethode statt. Hiernach muß also, um das Detoniren (wie auch das Tremuliren) zu heben, entweder das Stimmorgan gekräftigt (durch zweckmäßige Behandlung) oder das Gehör durch Hören guter Sänger, eines rein gestimmten Instrumentes und große Aufmerksamkeit bei den Gesangsübungen verbessert werden.
Die Höhe und Tiefe des Tones hängt von dem Grade der Spannung der Stimmbänder und von der Weite der Stimmritze ab. Je straffer diese Bänder gespannt sind, je scheller sie also schwingen, und je enger die Ritze, desto höhere Töne werden erzeugt; im Gegentheil wird der Ton um so tiefer, je erschlaffter die Stimmbänder sind, je langsamer sie also schwingen, und je mehr die Stimmritze erweitert ist. Im Mittel hat der niedrigste Ton 80 ganze Schwingungen in einer Secunde, der höchste Ton aber 992 ganze Schwingungen. – Die Größe und Beschaffenheit der Stimmwerkzeuge giebt nicht nur der Stimme, deren Umfang etwa 2 bis 3 Octaven beträgt, ein eigenes Klanggepräge (timbre), sondern ist auch die Ursache der verschiedenen Stimmarten. Es giebt deren folgende: hoher Sopran (c - – c ≡), Mezzosopran (a – a =), Alt (f – f =), Tenor (c – a -), Baryton (A – g -) und Baß (E – f -).
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 677. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_677.jpg&oldid=- (Version vom 6.8.2023)