Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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Tasche zog – es ist Dein halbjähriger Lohn im Voraus – kaufe Dir Kleider oder was Du sonst gebrauchst, ich habe es gern, wenn meine Domestiken nett gekleidet gehen.“
Ohne zu zögern, nahm Kathi die Börse an; sie machte einen Knix, und verbarg sie in der Tasche ihrer Schürze. Diese Bereitwilligkeit machte den verliebten Apotheker so kühn, daß er die Wange der Köchin streichelte. Fast wäre er in laute Bewunderung ausgebrochen über die Zartheit der weichen Haut.
„Kathi," murmelte er zärtlich, „wenn ich meine Sorge für Dicht etwas mehr ausdehne, als ich es sonst für meine Mägde gethan, so bedenke, daß ich Wittwer bin und Niemandem Rechenschaft von meinen Handlungen schulde. Hörst Du, Kathi? Vergiß nicht, daß ich Wittwer bin!“
„Herr Czabo!“ rief in diesem Augenblicke eine tiefe Baßstimme.
Die Köchin sprang erschreckt zu dem Herde. Der Gerufene wandte sich nach der Küchenthür. Da stand der lange Niklas mit aufgerissenem Munde auf der Schwelle.
„Was giebt’s?“ fragte der Hausherr in einem strengen Tone. „Warum ziehst Du nicht die Glocke, wenn ich in der Apotheke nöthig bin?“
„Herr Czabo, hören Sie denn Nichts?“ fragte der Gehülfe, dessen Blicke unablässig auf Kathi ruhten.
Alle lauschten. Ein Marsch von Trommeln ließ sich in der Entfernung vernehmen.
„Sehen Sie nur die Straße hinunter!“ sagte Niklas. Der Apotheker trat zu dem
Der Apotheker trat zu dem Fenster. Ein Wald von Bajonnetten blitzte in der Sonne. Der Marsch kam immer näher, und bald hörte man den festen, taktmäßigen Schritt der Soldaten. Ein Regiment österreichischer Infanterie marschirte an dem Hause des Apothekers vorüher.
„Kaiserliche Soldaten!“ rief Herr Czabo, indem er das Fenster öffnete.
In diesem Augenblicke begann die Regimentsmusik einen rauschenden Marsch. Die Töne drangen hell durch das geöffnete Fenster in die Küche. Herr Czabo war so entzückt von dem kriegerischen Schauspiele, daß er die schöne Köchin darüber vergaß.
„Gott sei Dank,“ rief er aus, „daß wir endlich wieder Soldaten in unsern Mauern haben, nun kann man sich doch ruhig zu Bette legen und ruhig wieder aufstehen! Es lebe der Kaiser!“
Kathi theilte die Begeisterung ihres Herrn nicht; der Anblick der Soldaten schien einen tiefen Eindruck auf sie ausgeübt zu haben. Unbeweglich stand sie an der Seite des Fensters und sah mit schmerzlichen Blicken die sonngebräunten und bestäubten Krieger vorüberziehen. Die Musik verhallte und der letzte Mann des Regiments verschwand. Man hörte nur noch das Geräusch der nachziehenden Volksmenge.
„Zu Tische!“ sagte Herr Czabo. „Kathi, trage die Speisen auf.“
Eine Viertelstunde später saßen Herr Czabo, Netti und Ferenz in dem freundlichen Wohnzimmer bei Tische. Niklas speiste in dem kleinen Kabinette neben der Apotheke.
Kathi saß in der Küche auf einer Bank und hielt sinnend den Kopf in der Hand. Die Speisen, die ihr Netti reichlich zugetheilt, blieben unberührt.
Die Einquartirung.
Es war drei Uhr Nachmittags.
Ferenz ordnete in seinem Zimmer die Rechnungsbücher und Herr Czabo befand sich in dem Verkaufslocale, weil um diese Zeit Niklas, der Gehülfe, die Geschäfte in dem Laboratorium zu besorgen pflegte. Netti saß in dem Wohnzimmer und arbeitete an einer Stickerei. Von Zeit zu Zeit sah sie durch das Fenster nach der Straße hinaus, in der Soldaten mit Zetteln in der Hand auf- und abgingen. Die müden Krieger suchten sich die ihnen angewiesenen Quartiere.
Um diese Zeit schlich Niklas aus dem Laboratorium über die Hausflur nach der Küche. Er steckte seinen Kopf durch die halbgeöffnete Thür. Die Küche war still und leer, aber der Eingangsthür gegenüber stand eine andere offen, die zu der Kammer der Magd führte, und in dieser Kammer stand Kathi vor einem Spiegel; sie war beschäftigt, ein buntes Tuch turbanartig uzm ihren Kopf zu schlingen. Dabei hob sie natürlich die vollen runden Arme empor, die von einem weißen Hemde zur Hälfte bedeckt waren, und Niklas sah die runde elastische Taille der schönen Kathi in ihrer ganzen Vollendung. Der arme Mensch stieß bei diesem Anblicke unwillkürlich einen tiefen Seufzer aus.
Kathi fuhr erschreckt vom Spiegel zurück, ließ die Arme sinken und sah nach der Thür. Der lange Niklas trat in die Küche, um sich so vortheilhaft als möglich zu zeigen, hatte er unter seinem grauen Arbeitsfracke weiße Wäsche angelegt und ein schwarzes seidenes Tuch um den hagern Hals geschlungen. Verlegen lächelnd stammelte er einige unverständliche Worte, die, wie es schien, einen Gruß bedeuten sollten.
Die Köchin hatte die zarten Gefühle des langen Apothekers seit einiger Zeit schon mit Schrecken bemerkt, denn Niklas hatte sie bei jeder Gelegenheit kundgegeben. Sie bedauerte ihn, deshalb sah sie ihn freundlich an und fragte in einem sanften, fast bewegten Tone:
„Was meinen Sie, lieber Herr Niklas?“
Die freundlichen Worte hatten dem schüchternen Muth eingeflößt.
„Was ich meine?“ fragte er laut. Und dabei verschlang er das reizende Gesicht Kathi’s, die nach Tische ihre einfache Toilette gemacht hatte, mit den Blicken.
„Nun ja.“
„Soll ich es Ihnen offen bekennen, liebe Kathi?“
„Wenn Sie anders gekommen sind, mit mir zu reden, so ist dies das beste Mittel, rasch zum Ziele zu gelangen.“
Als ob die Verzweiflung seinen Muth noch erhöhte, holte er tief Athem, und murmelte in der tiefsten Tiefe seines Basses:
„Ich meine, daß ich nicht mehr weiß, was ich meine, noch was ich thue. Ich unterscheide die Büchsen in der Apotheke nicht, lege verkehrte Gewichte in die Wage und gebe doppelte Dosen statt einfacher. Darüber macht mir Herr Czabo die bittersten Vorwürfe, und ich kann doch Nichts dafür. Vorhin stieß ich Senf in dem Laboratorium, da habe ich mit der schweren Keule beinahe meine eigene Hand zerschlagen. So kann das nicht mehr gehen, Jungfer Kathi, ich muß Abschied von Ihnen nehmen.“
Niklas ließ den Kopf sinken und trocknete mit der grünen Schürze seine Stirn, als ob ihm dieses Geständniß blutsauer geworden wäre.
„Mein Gott, Herr Niklas,“ sagte Kathi verwundert, „Sie wollen das Haus des Herrn Czabo verlassen, der es stets so gut mit Ihnen meint, und dessen einziger Gehülfe Sie sind?“
„Glauben Sie denn, daß ein Apotheker kein Herz im Leibe hat?“ schluchzte Niklas in wahren Bärentönen. „Im Gegentheil, dieses Organ des menschlichen Körpers ist bei ihm sehr gefühlvoll – bei Herrn Czabo nicht minder als bei mir. Herr Czabo ist funfzig Jahre alt – er hat schon eine Frau gehabt – er hat eine große Tochter – aber er ist Apotheker!“
Niklas konnte keine Worte mehr finden; er ergriff abermals seine Schürze und trocknete sich die schweißtriefende Stirn.
„Was ist Ihnen?“ fragte Kathi theilnehmend. „Sind Sie krank?“
„Nein, ich stampfte vorhin Senf in dem Laboratorium, und dieses beißende Gewürz ist mir in die Nase gefahren – das ist Alles – nun ist die Wirkung vorüber.“
„Das freut mich, lieber Herr Niklas,“ sagte Kathi, indem sie das Porzellan in dem Küchenschranke zu ordnen begann.
„Darf ich fortfahren, Jungfer Kathi?“ fragte der Apothekergehülfe nach einer Pause.
„Wenn Sie mir noch etwas zu sagen haben, so legen Sie sich keinen Zwang an.“
„Herr Czabo hat Ihnen die Backen gestreichelt, Kathi!“
„Wie?“
„O, ich habe es wohl gesehen. Kathi, trauen Sie dem alten Fuchs nicht. Die alte Katharina, seine vorige Haushälterin, hat er auch heirathen wollen – die arme Person ist darüber blind geworden.“
Kathis stellte sich, als ob sie diese Verleumdung nicht gehört hätte, sie fuhr ruhig in ihrer Arbeit fort.
„Ich muß wissen, woran ich bin,“ sagte Niklas leise, „und soll ich alle Minen springen lassen.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 662. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_662.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)