Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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16. November ist jedoch eine Depesche hier angelangt, nach welcher das erste leichte Regiment in Malta gelandet sei, von dort aber nach kurzem Aufenthalt dem ersten Jägerregimente nach Skutari folgen werde.
In meinem nächsten Schreiben werde ich Ihnen die Offizierlisten der verschiedenen Regimenter mittheilen, die vielleicht nicht ohne Interesse für manchen Freund und Bekannten im Vaterlande sein dürfte.
Blätter und Blüthen.
Norddeutsch und Schwäbisch. In dem soeben erschienenen Buche: „Ideal und Kritik“ wird sehr bitter über die sogenannte schwäbische Gemüthlichkeit und Sprache geurtheilt, namentlich kommt die Universitätsstadt Tübingen schlecht weg. „Die Schwaben“, heißt es, „sind ausschließlich. Jeden, der nicht in ihrem Lande geboren ist, halten sie für norddeutsch, was bei ihnen gleichbedeutend mit arrogant, unwissend, oberflächlich ist. Am Stärksten äußert sich dies bei den Stiftsköpfen, d. h. den Zöglingen des protestantischen Seminars in Tübingen. Weil aus ihrer Anstalt in Wahrheit rasch hinter einander einige Zierden der Wissenschaft, Männer wie Schelling, Hegel, Bauer, Strauß, Vischer hervorgegangen sind, so glauben sie, man brauche nur in dem Hause zu wohnen, um ein vollendeter Weltbeglücker zu sein oder zu werden – eine Arroganz, die eben so colossal und eben so naiv ist, wie die eines jetzigen nassauischen Staatsdieners, der in früherer Zeit immer ein Dichter sein wollte und während seines Aufenthaltes in Heidelberg sich auf die Schloßbank setzte, auf der Matthisson seine bekannte Abendelegie gedichtet hatte, und nun meinte, es müsse ihm gelingen, weil er auf der Bank sitze. Er hatte einige Reime aus seinem Vorbilde abgeschrieben und brachte heraus:
„Hier stehe ich im Mondenschein
Und leide, ach, welch’ Höllenpein!“
Etwas Besseres haben die Nachkommen der Hegel und Vischer auch wohl kaum geleistet. – Es ist eigenthümlich, daß wir den Schwaben (ich spreche hier immer speciell von Tübingen) durch unsere Sprache, welche sie affectirt finden, schon zuwider sind. Ueber die Schönheit des schwäbischen Dialektes etwas sagen zu wollen, ist überflüssig. Es liegt in ihm der eigenthümlichste Zauber, was auch die Verbreitung der Dorfgeschichten ungemein begünstigt hat. Wenn in Schwaben „ä nett’s Mädele,“ das „ä herzig’s Stimmele hat,“ sagt: „Magst mi – hast mi a gern, bist mir a gut?“ so klingt das freilich süß und wie Musik. Zu vergessen ist aber nicht, daß gedruckt steht: „magst, hast, bist,“ daß es aber in Wahrheit lautet: „magscht, hascht, bischt,“ und daß ferner „die nette Mädele, mit de herzige Stimmele“ sehr selten und in Tübingen gar nicht vorhanden sind. Die Sprache des Volkes ist unbestritten schön, aber die Sprache der Gebildeten – o Graus! sie hat alles Harte und Abschreckende, ohne etwas von dem Weichen und Melodischen des Volksdialekts zu besitzen. Ach! es klingt wahrlich wie Mozart, wenn Dr. Kraft in Tübingen, der eben nicht gerade ein herzig’s Stimmele hat, in der Archäologie beginnt: „Das Gröschte, Schönschte und Erhabenschte in der Kunscht der Plaschtik ischt;“ oder, wenn er gar begeistert von dem „Bruschtkaschte“ der medicäischen Venus spricht. – Glaube nicht Auerbach und seiner sentimentalen bestechenden Mosaikarbeit! Nur einmal, als ich Abends spät etwas erleuchtet von Lustnau nach Tübingen wankte und der Mond über dem Schlosse stand und die Gipfel der Berge und Bäume versilberte, so daß das Ganze blauweiß auf dunklem Grunde erschien, sah ich mit seinen Augen, sonst aber hatte ich nur ein Wort, um Alles in Allem auszudrücken; ein Wort, das hier das dritte der Studenten, das vierte des Bürgers, und ich weiß nicht das wie vielte in dem Munde der Damen ist. Es ist das Wort „saumäßig.“ Ein Tübinger (nicht nur die Studenten allein, sondern alle) findet etwas entweder saumäßig schön oder saumäßig häßlich. Börne behauptet, daß bei Anwesenheit von Henriette Sontag in Frankfurt alle Ausdrücke erschöpft worden. Hier hätte er einen neuen hören können. Als die Sontag in Stuttgart sang, verbreitete sich alsbald die Kritik durch Tübingen, daß sie saumäßig schön gesungen. Ebenso hat Therese Milanollo, als sie an einem mir unvergeßlichen Abende hier spielte, saumäßig gespielt, saumäßig dunkle Augen und einen saumäßigen Anstand gehabt. Setze dies Wort als Motto über das Ganze, und du hast die Wahrheit. In Tübingen ist Alles saumäßig schön.“
Für stille Stunden. Alle Freunde einer sinnig-gemüthvollen Poesie bitte ich die Anzeige am Schluß der heutigen Nummer nicht zu übersehen. Die „Palmen des Frieden“ haben sich trotz der Sündfluth von Gedichten, und obwohl erst vor einigen Wochen erschienen, rasch die Gunst des Publikums gewonnen und finden täglich mehr Freunde und mit diesen steigende Verbreitung. Ein reiches weiches Gemüth spricht sich hier in einfacher Weise aus, und das ist das Schöne an diesen Poesien, daß sie überall hin versöhnend und beruhigend wirken. Wie anerkennend sich auch die Kritik über diese Sammlung ausspricht, beweist eine Besprechung des bekannten Literarhistoriker Grässe im Dresdner Journal:
„Schon sind acht Jahre verflossen,“ heißt es dort, „als der Verfasser dieser Dichtungen, Ferdinand Stolle, ein Mann, dessen Name in jedem deutschen Gau einen guten Klang hat, den armen Erzgebirgern seinen Weihnachtsbaum anzündete und durch die herrlichen Früchte seiner Muse so manche Thräne trocknen half. Jetzt bietet er uns „Palmen des Frieden“ an, denen wir schon ihrer Tendenz wegen aus vollem Herzen einen eben so freudigen Willkommen verheißen dürfen, als seiner obgedachten ersten Gedichtsammlung allenthalben zu Theil ward. Dieses vortreffliche Liederbuch zerfällt in vier Theile: Frühling, Gottvertrauen, Lieder für das Herz und Saaten, von Gott gesäet, am Tage der Garben zu reifen, und reiht sich den besten Erzeugnissen der deutschen Lyrik im Laufe des jetzigen Jahrhunderts an. Obwohl die Haltung der einzelnen Dichtungen durchaus eine ernste, würdevolle ist, sehen wir doch überall die einfach sinnige Gemüthlichkeit eines alten Freundes, des „Dorfbarbiers,“ durchschimmern. Wir empfehlen daher dieses jüngste Kind seiner Muse, die immer noch so frisch, nur noch geläuterter ist als vor acht Jahren, allen Kreisen der Gesellschaft.
Als vorzüglich gelungen dürfen wir ohne Ausnahme die Lieder der zweiten und dritten Abtheilung, Gottvertrauen und Lieder für das Herz, betrachten, da sie mit einer wahrhaften Begeisterung empfunden sind. Die äußere Ausstattung ist übrigens dem trefflichen Inhalte vollkommen angemessen.“
Du Wandrer auf des Lebens Pilgerwege,
O kehr’ vertrauend bei mir ein,
Auf daß Dein Haupt ich weich in Blumen lege
Und Quellgeriesel wiege sanft Dich ein.
Den Frühlingshimmel laß ich Dir erblauen,
Und athmet bang Dein krankes Herz,
Ich heil’ es Dir durch frommes Gottvertrauen
Und richt’ es segnend himmelwärts;
Was Gott mir gab an Frühling und an Frieden,
Geliebter Wandrer, sei auch Dir beschieden.
In diesen Widmungsversen spricht sich der ganze schöne Inhalt dieser gemüthreichsten aller neuern Gedichtsammlungen treu aus. Sie ist von Anfang bis Ende durchklungen von Frühling, Liebe und Frieden.
Die Leser der Gartenlaube, welche mit so großem Beifalle die vor einiger Zeit mitgetheilten Proben dieser Sammlung – wir erinnern an die schönen Lieder:
„O könnte mir ein Lied gelingen, Wie Gott es selbst in’s Herz mir schrieb etc.“ – „Wenn eine Mutter betet für ihr Kind etc,“ – „Was ist das Herz – es ist ein Blumengarten etc.“
begrüßten, werden diesen herrlichen Blumenstrauß, in welchem sich derselbe Geist, dasselbe Gemüth in schöner Form wiederspiegeln, gewiß doppelt willkommen heißen. Diese Palmen des Frieden in ihrer prachtvollen Ausstattung dürften unter den poetischen Geschenken, die sich Freundschaft und Liebe einander darbieten, mit Recht einen der ersten Plätze einnehmen.
Leipzig, December 1855.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_658.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2023)