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Seite:Die Gartenlaube (1855) 657.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

sein Bewenden. Unternehmende Punktirer suchen die Kantinen und Wirthshäuser der benachbarten Oerter heim, und wehe den Flaschen, Gläsern und überhaupt allen transportabeln Gegenständen, welche der Wirth nicht wie ein zweiter Argos zu bewachen versteht. Dieses Punktirsystem muß nothwendig auf die Demoralisation der Truppen hinwirken. Schon hört man vielfach über Kameradendiebstahl klagen; gebe Gott, daß es nicht noch schlimmer kommen möge!

Ich erzählte Ihnen oben von dem frühern Konstabler-Wachtmeister Kaiser. Noch eine andere berliner Pflanze ist jetzt hierher versetzt, Herr Gödsche, Postsekretär a. D., bekannt geworden als Zeuge im Prozeß Waldeck. Er ist gegenwärtig Unteroffizier bei der 7. Kompagnie des 2. Infanterie-Regiments. Auf geschehene Anrede soll indeß der hiesige Gödsche erklärt haben, daß er durchaus nicht jener berliner Gödsche sei und mit jenem nichts zu schaffen habe.

Es ist übrigens erstaunlich, nach und nach zu erfahren, wie viel Leute bei der Anwerbung ihren Namen verändert und einen falschen angenommen haben. Es kommt daher oft vor, daß wenn Jemand hört, es befinde sich noch ein Landsmann von ihm aus dem gleichen Orte, wie er, bei dem Regimente, und man nennt ihm den Namen desselben, er sich nicht erinnern kann, jemals einen Menschen mit solchem Namen gekannt zu haben; sobald er den angeblichen Landsmann aber selber erblickt, erkennt er in ihm einen alten Freund, den er schon lange, aber freilich bis jetzt immer unter einem ganz anderen Namen gekannt hat. Manche Namen der Legionäre sind gar zu kurios gewählt, als daß man es ihnen nicht auf den ersten Blick ansehen müßte, daß die jetzigen Inhaber sie nicht von ihrer Geburt an getragen haben.

Wegen des fortwährenden schlechten Wetters habe ich von den drei erlaubten Ortschaften bis jetzt nur Sandgate, dieses aber bereits verschiedene Male besucht. Sandgate ist ein Flecken, in welchem seiner angenehmen Lage wegen während des Sommers viel wohlhabende Leute wohnen, während der Ort sonst im Winter ziemlich verödet sein soll. Gegenwärtig hat Sandgate noch ein einigermaßen lebhaftes Ansehen. Der Ort ist gewiß nicht so groß als Buxtehude oder Schöppenstedt, hat aber Läden, die an Eleganz und Reichhaltigkeit hinter denen von Hannover und ähnlichen Städten nicht zurückstehen. Und Sandgate hat seine Gasbeleuchtung. Ach, wenn werden Buxtehude oder Schöppenstedt jemals von Gasflammen erhellt werden! Man merkt hier leicht den Unterschied zwischen den deutschen und den englischen Verhältnissen. Uebrigens bietet sich unsern Blicken in Sandgate ein deutsches Bierhaus dar, welches auf seinem Schilde nicht nur diese Worte trägt, sondern auch die schwarz-roth-goldene Fahne von seinem Giebel aus wehen läßt. An welchem Orte Deutschlands kann man jetzt noch diese Fahne so frei flattern sehen? Uebrigens ist in diesem deutschen Wirthshause nichts weiter deutsch, als der Kellner und die Zeitung, Speisen und Getränke sowohl als deren Preise sind vollkommen englisch. Die Zeitung, welche man hier findet, ist die kölnische. Für jede Nummer, welche man liest, muß man einen Sixpence (4 gGr.) deponiren, welchen man bei der Wiederabgabe des Blattes zurückerhält. Zu dieser Vorsicht ist der Wirth gewiß durch früheres „Punktiren“ der Soldaten gekommen.




Mitte November. 

Heute beginne ich mit einigen Nachträgen. Jene Offiziere vom dritten leichten Infanterieregimente, welche desertirt und in London wieder eingefangen worden waren, hatten, als ich meinen vorigen Bericht an Sie abschickte, ihr Urtheil noch nicht empfangen. Sie wurden später gefangen in’s Lager geführt, und am 14. November wurde ihnen vor den sämmtlichen hier anwesenden in Parade aufgestellten Truppen das Urtheil gesprochen, welches der Generalmajor von Stutterheim mit einer wahren Donnerstimme verkündete. Alle drei, von Woina, Rotzol und von Proczinsky (von Geburt Preußen) wurden infam kassirt und mit Schimpf und Schande von der Legion fortgejagt. Zwei von ihnen wurden nicht nur des Verbrechens der Desertion, sondern auch des Diebstahls für schuldig erklärt (richtiger wohl der Unterschlagung), indem sie Kompagniegelder, im Betrage von etwa 80 Pfund Sterling, mit sich fortgenommen. Zwei der Inkulpaten hatten auf der Flucht ihre Degen in’s Meer geworfen, „sie mögen dort rosten,“ sagte der General; der dritte Degen wurde Angesichts seinem frühern Inhabers vom Profoß zerbrochen. Als die Unglücklichen ihr Urtheil empfangen, wurden sie von einer geringen militärischen Bedeckung bis an das Ende des Exercierplatzes in der Richtung nach Hythe zu geführt, dann aber ihrem Schicksale überlassen.

Das Verbrechen der Geächteten erscheint um so auffallender und unverzeihlicher, wenn man erwägt, daß dieselben, oder mindestens zwei von ihnen, während der kurzen Zeit ihres Hierseins das rasche Avancement von Privaten (gemeinen Soldaten) bis zum Ensigne (Fähndrich, oder nach deutschen Verhältnissen Secondelieutenant) durchgemacht hatten. Ihre Strafe muß in den Augen eines jeden Offiziers als die schlimmste erscheinen, die sie treffen konnte, aber mit dem Maße der Offiziere messen bei weitem nicht alle Soldaten. Manche von diesen beneiden geradezu die Geächteten. „Nun haben sie ja, was sie wollten,“ ist eine Aeußerung, welche in Bezug auf dieselben unzählige Male gemacht worden ist. Gewiß hätte man besser gethan, die Unwürdigen, wenn man sie mit der Todesstrafe verschonen wollte, mit einer mehrjährigen Deportation zu bestrafen.

In Betreff des angeblichen Goedsche aus Berlin, muß ich Ihnen melden, daß das fragliche Individuum, welches sich übriegens Götsch nennt, von vielen Berlinern nicht für Gödsche, sondern für dessen Geistesverwandten Ohm, der im Prozeß Waldeck eine wo möglich noch zweideutigere Rolle spielte, gehalten wird. Daß der mysteriöse Götsch übrigens eine jener beiden berüchtigten Persönlichkeiten sei, daran zweifelt bei uns fast Niemand.

Am 10. November führte ein stationirtes Transportschiff 750 Mann (71/2 Kompagnie) vom zweiten Jägerregiment nebst einigen Kavalleristen von Helgoland hierher. Mit der Bildung der noch fehlenden 21/2 Kompagnien jenes Regiments wird auf Helgoland fortgefahren. Die Bildung des dritten leichten Infanterieregiments hierselbst ist vollendet, und man hat mit der Errichtung des vierten so eben begonnen. Sobald in Helgoland das zweite Jägerregiment kompletirt ist, wird man vermuthlich mit der Bildung des fünften leichten Infanterieregiments den Anfang machen.

Der Feldkaplan für die zweite Brigade ist angelangt. Es ist ein Herr Wilmans, früher Pastor-Adjunkt in irgend einem hannoverschen Orte. Der neue Feldprediger ist ein Mann von einnehmendem Aeußern, und, wie ich gute Gründe habe anzunehmen, der pietistischen Richtung, für welche hier durch unentgeltliche Austheilung von Traktätchen und Betgesängen fleißig gewirkt wird, nicht sehr zugethan.

In Verfolg des in meinem vorigen Schreiben erwähnten Vorfalls, welcher sich mit dem frühern berliner Constabler-Wachtmeister Kaiser zugetragen, kann ich Ihnen jetzt den durch denselben veranlaßten Regimentsbefehl vom 11. October mittheilen. Derselbe lautet: „Durch einen Zufall, welcher sich bei der an diesem Nachmittag stattfindenden Uebung mit Platzpatronen ereignete, empfing der Feldwebel Kaiser eine leichte Verwundung an der Schulter. Major Bathurst fühlt sich veranlaßt, dem ganzen Regiment zu versichern, daß er nach angestellter Untersuchung überzeugt ist, daß der Vorfall ein ganz zufälliger und wahrscheinlich durch die mit Bindfaden zusammengebundene auf das Pulver festgesetzte Patronenhülse veranlaßt worden ist. Major Bathurst glaubt, daß in der sechsten Kompagnie so wenig wie im ganzen Regimente ein Mann ist, der sich einer solchen feigen Handlung, als einen Angriff auf das Leben eines non commission officier, schuldig machen wird.“

Nachstehend lasse ich den Legionsbefehl vom 6. November folgen, die Einschiffung des ersten Jägerregiments nach Skutari betreffend: „Den Truppen der Legion wird hierdurch zur Kenntniß gebracht, daß das erste Jägercorps am 2. d. M. zu Skutari gelandet und dort von dem Brigadier Wooldridge in Empfang genommen worden ist. Das Corps hat auf der Ueberfahrt einen empfindlichen und beklagenswerten Verlust erlitten durch den Tod des Major Lettgau, eines durch die glänzendsten militärischen Eigenschaften ausgezeichneten Offiziers, dem in den Herzen Aller, die ihn kannten, stets das ehrendste Andenken bewahrt bleiben wird. Auch der Hauptmann Hake ist einem Leiden, das schon länger ihn heimsuchte, auf der Seereise erlegen.“

Zu den beunruhigenden Gerüchten, mit welchen die hiesige Luft geschwängert ist, gesellte sich in diesen Tagen auch das, daß das erste leichte Infanterieregiment, welches etwas später als das erste Jägerregiment von Portsmouth eingeschifft wurde, Schiffbruch erlitten habe und mit Mann und Maus untergegangen sei. Am

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 657. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_657.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2023)