Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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No. 49. | 1855. |
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteur Ferdinand Stolle.
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Die Apotheke.
In einer der lebhaftesten Straßen Semlins prangte an einem freundlichen zweistöckigen Hause ein blaues Schild, auf dem mit großen goldenen Buchstaben die Worte standen: „Drachenapotheke.“ Neben der großen Glasthür, die in das Innere des Hauses führte, stand auf einem weißen Piedestale von Holz die Illustration zu dem Texte im blauen Schilde, ein gelber Drache nämlich, der seinen Schweif um eine Säule wand und den Rachen weit aufriß.
Das Erdgeschoß dieses Hauses enthielt außer dem Verkaufslokale und den Wohnzimmern des Besitzers noch die Küche und die Speisekammern. Die Haustür ging nach dem Hofe hinaus und in dem Hofe befand sich das Laboratorium.
Der erste Stock ward von einem jungen Advokaten bewohnt. Die Fenster desselben schmückten saubere Gardinen, und ein Flor ausgewählter Blumen prangte hinter zierlichen Eisengeländern auf den reinlichen Brüstungen.
Der Besitzer dieser Niederlage von Heilmitteln war ein Mann von fünfzig Jahren, er nannte sich Istvan Czabo. Sein Haupthaar war bereits ergraut, die Stirn war hoch und glänzend, und in dem feinen weißen Gesichte zeigten sich Furchen. Aber die Lebendigkeit seiner Bewegungen, das Feuer der großen schwarzen Augen und die mäßige Corpulenz seiner hochgewachsenen Gestalt schienen einem kräftigen Manne von vierzig Jahren anzugehören.
Um die Zeit, wo wir Herrn Czabo kennen lernen, pflegte er einen angehenden Schnurrbart, dem er durch eine selbst erfundene Tinktur die schönste schwarze Farbe zu geben wußte. Der Apotheker hatte dadurch ein martialisches Ansehen erhalten, das dazu beitrug, seine fünfzig Jahre zu verspotten. Dies war jedoch nicht der Grund dieses kriegerischen Gesichtsschmuckes, wir werden ihn bald erfahren.
Herr Czabo war seit sieben Jahren Wittwer, seine Lebensgefährtin hatte die Cholera hinweggerafft, obgleich er in seiner Apotheke ein bewährtes und untrügliches Mittel gegen diese gräßliche Seuche bereitete. Netti, seine einzige Tochter, zählte bei dem Tode der Mutter elf Jahre, so daß in ihr eine Stütze für die Wirthschaft nicht zu finden war; der betrübte Wittwer war daher gezwungen gewesen, eine Haushälterin zu nehmen, der er die Sorge für die Oekonomie unumschränkt übertrug. Die Wahl dieser Person war eine glückliche gewesen, denn Katharina, eine kinderlose Wittwe, ersetzte vollkommen die waltende Hand der geschiedenen Gattin, und half durch Sparsamkeit den Wohlstand ihres Herrn erhöhen, den man jetzt zu den begütertsten Einwohnern der Stadt zählte.
Netti reifte indeß zu einer blühenden, schönen Jungfrau heran, auf die mehr als ein Dutzend junger Leute aus dem mittlern und höhern Bürgerstande der Stadt sehnsüchtige Blicke warfen. Netti hatte auch bald gewählt: der Advokat Ferenz, der den ersten Stock des Hauses bewohnte, war der Auserkohrene. Beide liebten sich mit dem ersten Feuer der Jugend, und der Vater billigte diese Liebe, da Ferenz, obgleich er nur erst kurze Zeit prakticirte, einer der tüchtigsten und gesuchtesten Advokaten der Stadt war. Sein jährliches Einkommen erlaubte ihm, ein gutes Haus zu führen.
Schon seit einem halben Jahre hätte Herr Czabo die Verlobung seiner Tochter mit dem jungen Advokaten festgesetzt; aber die unglückliche Revolution der Ungarn, die auch Semlin, die äußerste Grenzstadt, in steter Gährung erhielt, war dem sorglichen Vater ein Stein des Anstoßes gewesen, und die Liebenden mußten sich in Geduld fügen, das Ende der Volkserhebung abzuwarten.
Ferenz liebte aus voller Seele seine junge Braut, aber er billigte die Verzögerung seiner Verbindung, da er die Absichten einiger der Anführer für eigennützig und ihre Handlungsweise für nicht zweckdienlich hielt. Er war ein Freund der Freiheit, aber der ordnungsmäßigen, auf verständige Gesetze gegründeten. Von der Revolutionsparthei hoffte er wenig Gutes, und da er außerdem die Abneigung seines künftigen Schwiegervaters gegen den Umsturz des Bestehenden kannte, sprach auch er nicht selten seinen Unmuth über die Zerrüttung aus, welche über das unglückliche Vaterland gebracht worden war. Er hatte sich mit Herrn Czabo dahin geeinigt, daß die Verheirathung stattfinden sollte, sobald Ruhe und Ordnung zurückgekehrt seien.
Oesterreich hatte die Erhebung unterdrückt, in allen Städten flatterten die kaiserlichen Fahnen von den Thürmen, und die Führer der Insurrectionspartei wurden verfolgt, und, im Falle man ihrer habhaft ward, vor ein Kriegsgericht gestellt.
Mit der Uebergabe des Görgey’schen Corps fiel eine Anzahl junger ungarischer Edelleute in die Hände der Sieger, und viele, die als höhere Offiziere in dem Heere der Ungarn gekämpft, wurden als gemeine Soldaten in die Reihen der österreichischen Armee gestellt, um sie für ihre Tollkühnheit zu bestrafen und ihren Uebermuth zu zügeln.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 643. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_643.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)