Verschiedene: Die Gartenlaube (1855) | |
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nun in Verlegenheit, wie er sich mit Nachdruck und Erfolg des gewaltigen Raubthieres erwehren solle. Seine ruhige Besonnenheit verließ ihn nicht; er entdeckte schnellen Umblicks sofort eine passende Waffe im Horste des Adlers selbst, denn da diesem aus schwanken Ruthen und Haidekraut aufgeschichtetem Bau, dicke Aeste und Zweige zur Grundlage dienten, so entriß er dem Gesperre rasch einen kurzen und schweren Prügel und kam damit dem ersten Schnabelhiebe seines Feindes so nachdrücklich zuvor, daß er betäubt vom Nestrande wieder abfiel, auf dem er eben festen Fuß gefaßt hatte, um mit gespreizten Flügeln und unter lautem Zischen dem Jünglinge zu Leibe zu gehen; ein zweiter und dritter wuchtiger Schlag auf den Kopf tödtete ihn vollends, und ein letztes Erzittern seine schlaffen Schwingen verkündete, daß des Alpenkönigs Macht gebrochen sei.
Aber auch der Sieger fühlte sich zum Tode erschöpft, sobald des Kampfes Aufregung aufgehört hatte; und schon zufrieden damit: doch nun in Frieden sterben zu können, streckte er die müden Glieder auf hartem Lager hin. Nach kurzer Erholung schämte er sich jedoch dieser feigen Resignation, er trat wiederum hinaus in’s Freie und rief zur Staffel über ihm: „Heda, oben, habt Ihr ein Heuseil zur Hand?“
„Nein, armer Junge, keinen Faden eine Spanne lang!“ – lautete die entmuthigende, traurige Antwort.
„Es muß eins in der Wildheutrifft liegen. Holt das herauf und laßt’s dann zu mir herab, ich kann’s schon erwarten.“
Die Hirten beeilten sich, seinem Willen nachzukommen und Johann durchsuchte seine Taschen nach einem etwa vorhandenen Brotrindchen, um es, nachdem er es an seinem Munde angefeuchtet hatte, dem wimmernden Kinde zum Saugen an den Mund zu halten. Das Kind sich wieder in eines Menschen wiegenden Armen fühlend, entschlummerte bald und Johann war glücklich darüber.
Da kamen endlich die Männer, die nach dem Seile ausgewesen, zurück und riefen ihm zu, das herab gelassene zu ergreifen. Welch Glück, daß bei dem Kampfe mit dem Adler sein Schaft, eine lange Stange, an dem einen Ende mit einem eisernen Haken, an dem andern mit einer Spitze versehen, dessen sich die Gebirgsbewohner sowohl zum Forthelfen beim Aufsteigen bedienen, indem sie sich auf den Schaft stützend, die Spitze in die Felsenritzen einstoßen, als auch beim Herabsteigen, indem sie den Haken an einem hervorragenden Steine anhängen und sich dann an die Stange herablassen, – daß beim Kampfe dieser Schaft nicht herabgeworfen wurde. Mittelst des Schaftes zog er nun das Seil zu sich heran, da solchem wegen der überhängenden Wand weit ab vom Borde der Platte, in freier Luft, ein Spiel des Windes, hin und her schwankte und mit den Händen nicht zu erreichen war. Sobald er des Stranges habhaft geworden, warf Johann Schaft und Adler voraus in die Tiefe, trat mit beiden Füßen in die dem Strickende eingeknüpfte Schlinge, wie in einen Steigbügel ein, schnallte dann, zur Sicherung der aufrechten Stellung und des freien Gebrauches seiner Hände mit seinem Ledergürtel sich und den straffen Strick unterhalb der Schultern fest zusammen, – nahm vorsichtig das schlafende Kind in den linken Arm und rüttelte nun mahnend am Seile und rief getrosten Muthes: „Holt an!“
Kaum jedoch, daß der Zug kräftiger Arme Johann dem Boden entrückt hatte, so schwang er nach Außen weit hin, und gerieth in ein so bedrohliches Drehen und Schwingen, daß er schwerlich einem verderblichen Anstoße an die Felsen entgangen sein würde, hätten nicht die Hirten, die Gefahr gewahrend, angehalten und dann nur ganz allmälig den Schwebenden in die Höhe gezogen. Dadurch gewann Johann Zeit, sich mit vorgestreckter rechter Hand von der Wand abzuhalten, oder mindestens doch die Gewalt der Anstöße zu brechen. Weder Furcht noch Grauen wandelten den Muthbeseelten während dieser gefahrvollen Fahrt an, – aber es war ein grausenhafter Anblick für die unten Stehenden, zwei in der Frische des Lebens stehende Wesen zwischen Himmel und Abgrund schweben zu sehen. Ein Faden des rettenden Seiles durfte reißen – nur eine der hülfreichen Hände erlahmen und Beide, Kind und Jüngling, waren dem gräßlichsten Tode, zerschmettert in die jähe Tiefe zu stürzen, geweiht. Die arme Mutter war zum Glück des angstvollsten Anblicks enthoben. In ihrer Liebe Ungeduld hatte sie sich auf dem gewöhnlichen Wege beeilt, zu den rettenden Hirten zu gelangen. Dort lag sie auf den Knieen und flehete inbrünstig zu Gott. Da! – endlich war das Werk vollbracht, – das Knäbchen lag in den Armen des schluchzenden Weibes und als es nun in vollen Zügen die Labung der Mutterbrust einsog, – da hatte die Freude keine Worte – nur heiße Thränen des Dankes. – Die Hirten aber – diese einfachen Leute voll Gefühls – entblößten mit Johann ihre Häupter, falteten andachtsvoll ihre Hände und dankten dem Allmächtigen für Johanns, für des Kindes Rettung.
Närrische Welt. Die Zeitungen erzählen von einer friedlichen
Landung einiger französischer und englischer Schiffe bei Kaffa, die von einem russischen Offizier empfangen wurden, der dann zum Gabelfrühstück auf dem Schiffe blieb und den alliirten Offizieren die Erlaubniß auswirkte, an’s Land gehen zu dürfen. Dort fanden diese Kosackenpferde, auf denen sie in Begleitung vieler russischen Offiziere einen Ausflug bis zum Landhause des Fürsten Gagarin machten, der, selbst General, sie auf’s Freundlichste bewirthete, ihnen beim Abschied Wein und Trauben auf’s Schiff bringen ließ und dagegen Thee, Käse und sonstige Kleinigkeiten empfing. Die fremden Eindringlinge schieden von den russischen Offizieren am Ufer unter Umarmungen und Händedrücken. Und acht Tage später standen vielleicht dieselben Menschen, die sich hier in kurzer Zeit lieb gewonnen und unter andern Verhältnissen sicher intime Freunde und Kameraden geworden, auf Schußweite gegenüber, bereit, sich auf die schnellste und grausamste Weise gegenseitig das Lebenslicht auszublasen oder doch wenigstens unfähig oder unglücklich für das ganze Leben zu machen. Giebt es eine tollere, unsinnigere und verdrehtere Welt als – unsere sogenannte civilisirte?
Literarisches. Wie wir hören, erscheint von Glaßbrenner’s komischen Gedicht: Die verkehrte Welt in den nächsten Tagen schon die zweite Auflage. Bei dem Aufwand von Witz und Humor, mit dem in diesem satyrischen Epos die Thorheiten und Verkehrtheiten der Jetztwelt gegeißelt sind, war ein solches Resultat wohl zu erwarten. – Daß gute Poesien überhaupt ein dankbares Publikum finden, beweist die so eben ausgegebene siebente Auflage der Gedichte von Alfred Meißner. Besonders in Süddeutschland sind Meißner’s kräftige Poesien eine Lieblingslektüre geworden. Auch sein jüngst erschienener Roman: Der Pfarrer von Grafenried – eine Episode aus Thüringens Sturmperiode in den Jahren 1848 und 1849 behandelnd – wird vielfach gelobt.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 642. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_642.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2023)