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Seite:Die Gartenlaube (1855) 640.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

eine fanatisch-blutgierige religiöse Revolution im Königreiche Oude, das von den englischen Banquiers und Krämern seit Jahrzehenden demoralisirt und zerrüttet ward, damit es reif werde zum Anschlusse an das englische Indien. Dazu kommen Empörungen, Blut- und Mordscenen durch noch ungezählte Theile des englischen Indiens. Woher das? Diese friedlichsten, graziösesten, weichlichsten aller Völker, woher nehmen sie ihre Revolutionswuth, ihre Blut- und Mordgier? Ein englisches Aktenstück möge antworten.

Wir erinnern zuerst daran, daß Indien nicht ein wirklicher Theil Englands ist, sondern eine melkende Kuh für eine Masse Banquiers in London und die ungerathenen Söhne der Aristokratie, welche die obersten Staatsstellen in Indien bekleiden, und nach je acht bis zehn Jahren mit einer jährlichen Pension von 5 bis 10,000 Pfund Sterling entlassen werden. Wir bitten sodann, nicht zu vergessen, daß die Thatsachen, welche wir genau nach dem amtlichen Aktenstücke erzählen werden, unter dem auswärtigen Ministerio Palmerston’s sich anhäuften und unter diesem „vollkommensten Gentleman der drei Königreiche“ die Tortur in Indien allgemein Mode ward. Unter Tortur in Indien verstehe man gleich von vorn herein wirkliche und wahrhaftige Tortur mit Daumenschrauben und besonders von englischen Steuereinnehmern erfundenen Marterinstrumenten, die an Grausamkeit und Brutalität selbst die genialsten Erfindungen der Inquisition und des hochnothpeinlichen Halsgerichts im Mittelalter übertreffen.

Das Aktenstück vor mir führt den Titel: „Bericht der Untersuchungscommissarien über illegale Fälle von Tortur in der Präsidentschaft Madras.“[1] Wir müssen hier gleich bedenken, daß der Bericht ein offizieller ist und die Sache im mildesten Lichte darzustellen sucht, die grausamsten Fälle unterdrückt und von andern Theilen Indiens gar nicht spricht. Der Bericht entstand auf folgende Weise. In verschiedenen Sitzungen des Parlaments, besonders 1853, brachten einige unabhängige Mitglieder des Unterhauses Interpellationen, wie es mit der Tortur in Indien stehe, von der sie gehört. Das fromme Haus empörte sich über die Fragen, da die Frauen zu Hause gerade über „Onkel Tom“ weinten, und eine Petition an die Frauen Amerika’s unterschrieben, sie möchten die Sklaverei abschaffen, obgleich die amerikanischen Sklaven nicht mit der Tortur behandelt werden und gegen grobe Mißhandlungen sogar gesetzlichen Schutz finden. Das fromme Haus lachte über die Interpellation, zumal da Lord Palmerston das alberne Gerede über Tortur in Indien als altes Weibergewäsch bezeichnete. Der Präsident des Colonial-Central-Amtes erklärte bei dieser Gelegenheit, daß er zum ersten Male von Tortur in Indien höre. Aber das alte Weibergewäsch nahm zu an Stärke, Detail, offenbarten und speciell nachgewiesenen Thatsachen, so daß endlich eine Untersuchung der Sache nicht mehr zu umgehen war. Die Untersuchung ergab nun dem Unterhause, dem Lord Palmerston, dem Präsidenten des Colonial-Central-Amtes in’s Gesicht eine Menge von Thatsachen angewandter Tortur, die uns in das finsterste, fanatischste Mittelalter zurückversetzen würden, wenn nicht überall deren neues Datum angegeben wäre.

Die ostindische Compagnie mit ihren aristokratischen Beamten und Günstlingen hat viel Geld und braucht deshalb desto mehr. Mit dem Essen kommt der Appetit. Die ostindische Compagnie giebt Festessen, deren jedes 10 bis 20,000 Pfund Sterling kostet. Es essen dort Leute, die jährlich 20 bis 100,000 Pfund und mehr und viel mehr zu verzehren haben, aber damit nicht auskommen, so daß Indien beisteuern muß.

Die größte und die tödtlichste Steuer, welche Engländer in Indien eintreiben, ist die Landtaxe, die fast ausschließlich den Grundbesitzern indischer Geburt anheimfällt. Alle Jahre schickt die Obrigkeit Englands ihre steuereintreibenden Harpyien mit Soldaten, Gewehren und Zwangsmitteln über die weit ausgedehnten Lande. Zu den allgemein gebräuchlich gewordenen Zwangsmitteln gehörte die Tortur. Mehrere der grausamsten und empörendsten Fälle in dem Berichte muß ich unterdrücken, da sie mit den unglaublichsten Beispielen von Unzucht und Gewaltanthun zusammenfallen.

Die Marterinstrumente der englischen Steuereintreiber in Indien sind besonders zweierlei Art, der „Kittie“ und der „Anundal.“ Ersteres Instrument ist sehr einfach, es besteht aus zwei Stäben, die an einem Ende zusammengebunden sind. Die Finger des Steuerverweigerers oder Zahlungsunfähigen werden dazwischen geklemmt und die Stäbe am andern Ende zusammengepreßt. Also die Daumenschraube in moderner, westlich civilisirter, Christenthum und Bildung verbreitender Vervollkommnung und Vereinfachung. Statt des „Kittie“ wurde oft ein einfacher Stock angewandt. Zum Schlagen? O nein, Schlagen ist verboten. Man zwang den unglücklichen Steuerpflichtigen, die Hand flach auf eine hart Fläche, auf einen Stein unten zu legen; der Peon (Polizeidiener) nahm dann einen Stock, stellte ihn senkrecht auf den Rücken der Hand und setzte sich oben auf das dicke Ende des Stocks.

Vom „Anundal“ giebt’s viele Spielarten. Er ist blos ein Name für allerhand extemporirte Torturen. Am Häufigsten unter diesem Titel kommen folgende vor: Ein Mann wird mit dem Kopfe zwischen die Knie festgebunden, worauf ein Stein oder der Polizeidiener auf seinen Rücken placirt wird. Der eine Fuß wird vermittelst eines Strickes um die große Zehe möglichst nahe an den Hals gebunden und so das Opfer gezwungen, auf einem Beine zu stehen, und zwar nicht selten in der brennendsten Mittagshitze. Auch Fälle von Kittie und Anundal zugleich sind erwähnt. Die beiden Stäbe werden um die Finger festgeknebelt und der Kopf zwischen die Knie gebunden, worauf sich der Polizeidiener auf den Rücken setzt oder sich durch Steine von Centnergewicht ablöst. In der Luft halten, an den Ohren oder am Barte kommt auch zuweilen vor (viele Inder sind sehr leicht, mager und klein). Außerdem rothglühende Eisen in die Arme oder Weichen eingestoßen – Fälle von Stricktortur mit einem Geflecht, das, naß gemacht, sich mit großer Gewalt zusammenzieht, (Stricke von solchem Geflecht wurden trocken um den nackten Körper geknebelt und dann naß gemacht) – Schlagen, Peitschen, Stechen, Kneifen, Haarausraufen u. dergl. kamen dazwischen in der Regel vor, auch Fälle, wo das lange Haar des Indiers an den Schweif eines Esels oder Buffaloochsen gebunden und letzterer gehetzt ward. Auch die Natur mußte helfen Steuern eintreiben.

In Indien ist ein Insekt unter dem Namen „Zimmermannskäfer“ wegen seines furchtbaren Bisses sehr gefürchtet. Der Schmerz, den er verursacht, ist weit größer als ein Wespenstich. Solche Käfer wurden zuweilen von den Steuereintreibern in die Hälfte einer Nußschale gesteckt und diese dann Männern oder weiblichen Wesen an unnennbare Körpertheile gehalten, bis der ungeheuerste Schmerzensschrei verkündete, daß der Käfer gebissen. Das ist satanisch, aber noch nicht die scheußlichste Art. Diese besteht jedenfalls in den vielen, amtlich ermittelten und detaillirten Fällen von Anwendung des Kittie an weiblichen Brüsten. Der Bericht erwähnt einen Fall, daß in einem ganzen Dorfe die Busen aller Weiber in die Torturstäbe gequetscht wurden, so daß mehrere an den Folgen des daraus entwickelten Brustkrebses elendiglich langsam starben. Außerdem wurden mehrere derselben Weiber mit glühenden Eisen gestochen. Eine schöne Wittwe, mit Namen Baulambal, wies die unsittlichen Zumuthungen eines Collectors entrüstet zurück, worauf der Peon sie bei den Haaren in die Hütte zog, ihre Arme hinten zusammenband und sie an diesen gebundenen Händen an der Decke aufhing. Außerdem wurden ihre Brüste in Kittie’s geknebelt und ein Tuch in den Mund gestopft, um ihr Geschrei zu unterdrücken. Erst als sie bewußtlos geworden, erlöste man sie. Die Wittwe ließ sich hinterher von einem englischen Wundarzte curiren und sich die an ihr gefundenen Verrenkungen (die Arme waren aus den Gelenken gerissen und gebrochen, die Brüste entzündet) attestiren. Sie suchte, mit diesen Beweisen bewaffnet, Rechtshülfe bei der rechten englischen Behörde, welche aber die Klage ohne Weiteres abwies und zwar aus dem Grunde, weil sie gegen „eine respektable Person im Amte“ gerichtet sei. – Die gemeinste Bestialität, das schwärzeste Verbrechen ist straflos, wenn es respektabel und amtlich ist. Das ist so Gesetz nicht blos im ostindischen England, nicht blos in England, aber in England allerdings am Häufigsten und Regelmäßigsten.

Die Aussagen der Gepeinigten wurden alle öffentlich und vor Zeugen vernommen und niedergeschrieben, so daß die Untersuchungscommission trotz aller ihrer Bemühungen, Alles zu mildern, nicht immer durchkam. So wurde sie förmlich gezwungen, das Wort „Tortur,“ welches sie durchweg durch „persönliche Gewalt“ ersetzen wollte, im Berichte beizubehalten.

Wir übersetzen noch einige Fälle wörtlich: „Im April 1854 verweigerte Kifna Pillay fünf Rupien (3 Thaler 10 Sgr.) als Rest der Landtaxe zu bezahlen, weil er behauptete, er habe schon


  1. „Report of the Commissioners for the Investigation of Illegal Cases of Torture in the Madras Presidency.“
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 640. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_640.jpg&oldid=- (Version vom 2.8.2023)